piwik no script img

Zu Hause in der Fremde

ASYL Was bedeutet es, einen Flüchtling bei sich aufzunehmen? Welche bürokratischen Hürden und kulturellen Unterschiede gilt es zu überwinden? Die taz zeigt, wie fremde Menschen zusammenleben

Hussein Ali Ehsanis kam 2011 nach Deutschland. Heute lebt er in einer fünfköpfigen Wohngemeinschaft in Lichtenberg Foto: Karsten Thielker

Von Julian Rodemann

Mit Luftballons empfingen SpandauerInnen die Geflüchteten vor ein paar Wochen, als sie in der Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne ankamen. Ehrenamtliche verteilen seither Kleiderspenden und Essenspakete. Und damit sind die SpandauerInnen nicht allein: „Willkommen in Wilmersdorf“, „Moabit hilft“ – überall in der Stadt haben sich in den vergangenen Monaten Initiativen zur Flüchtlingshilfe gegründet.

Ein anderes Bild aber zeichnet sich beim Thema Wohnen. Hier scheint die allgemeine Hilfsbereitschaft weniger groß. Über 600 Geflüchtete haben auf eigene Faust Wohnungen gefunden. 560 kamen bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften unter. In Berlin vermittelt das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk (EJF) Privatwohnungen an regis­trier­te Flüchtlinge – im Auftrag des Landesamts für Gesundheit und Soziales (Lageso).

Die Zahlen sprechen für sich: Nur rund 100 Berliner Vermieter haben beim EJF in diesem Jahr (Stand Oktober 2015) eine Wohnung für Flüchtlinge angeboten. Immerhin: Das sind 62 mehr als im gesamten vergangenen Jahr. Diese Zahlen wirken klein, angesichts der Zahl an Flüchtlingen, die derzeit in Berlin ankommen. Rund 50.000 Menschen werden es in diesem Jahr sein – nach jüngsten Schätzungen des Flüchtlingskoordinators Dieter Glietsch.

Die wenigen Bürger, die an Flüchtlinge vermieten wollen, haben es nicht leicht. Es erwarten sie bürokratische Hürden. Denn wer eine Wohnung anbietet, muss zuerst ein Formular über Lage, Betriebskosten und Kaltmiete ausfüllen. Das EJF prüft anschließend, ob der Wohnraum angemessen ist. Für eine Person darf die Kaltmiete nicht höher als 364,50 Euro sein, damit das Lageso sie später bezahlt. Für vier Personen nicht höher als 587,35 Euro – es gelten die üblichen Hartz-IV-Sätze.

Das EJF vereinbart dann einen Besichtigungstermin. Sind sich Mieter und Vermieter einig, müssen sie einen Antrag auf Kostenübernahme stellen. Das EJF prüft die Angaben und leitet den Antrag ans Lageso weiter. Danach beginnt das Warten. „Das Landesamt brauche meist zwei Wochen für einen Antrag – obwohl das EJF die Angemessenheit bereits geprüften hat“, sagt eine EJF-Mitarbeiterin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Viele Vermieter schrecke die lange Wartezeit ab – sie bekämen zeitweise keine Miete, weil die Geflüchteten erst später einziehen dürfen. „Einige springen ab.“

„Lageso-Präsident Franz Allert hat uns im Juli versprochen, eine Sofortprüfung einzuführen“, sagt Georg Classen vom Berliner Flüchtlingsrat. Statt in zwei Wochen sollte das Lageso künftig noch am selben Tag über den Antrag entscheiden. Einige Wochen später habe Classen Mitarbeiter des EJF auf die Reform angesprochen. Sie hätten ihn verdutzt angesehen, erzählt er. Das Lageso war nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Andere Berliner Vermieter umgehen die bürokratischen Hürden und quartieren Flüchtlinge direkt in ihrer Wohnung ein. „Viele Menschen nehmen Flüchtlinge auf, die sie persönlich kennengelernt haben“, sagt Mareike Geiling von der Internetplattform „Flüchtlinge willkommen“. Sie und ihre Kollegen vermitteln Geflüchtete in Wohngemeinschaften. 50 WGs aus Berlin haben so bisher einen Flüchtling aufgenommen. So wie Agnes Kähler, Frieda Grab­ner und Sohn Mika, die mit Hussein Ali Ehsanis aus Afghanistan zusammenwohnen. Dass er als Flüchtling nach Berlin kam, war dabei Nebensache.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen