piwik no script img

Umzingelt von Volksfeinden

Paranoia Immer aggressiver – und immer heulsusiger: Pegida geriert sich an ihrem Jahrestag in Dresden als große internationale Familie. Doch die Mehrheit der Besucher wurde von vulgären und langweiligen Reden frühzeitig in die Flucht gelabert

Junge, woher kommt nur deine Wut? Pegida-Anhänger in Dresden Foto: Jan Woitas/dpa

Aus Dresden Michael Bartsch​

Er wurde als „weltberühmter Schriftsteller“ angekündigt und sollte zum Pegida-Jahrestag am Montagabend die Hauptrede halten. Doch nach mehr als 25 Minuten erntete der Deutschtürke Akif Pirinçci nach anfänglichem Beifall „Aufhören“- und „Keine Hetze“-Rufe auf dem Dresdner Theaterplatz, der sich nach eineinhalb Stunden Geburtstagsshow vorzeitig zu leeren begann.

Seine primitiven Hasstiraden gegen „fabelhaft gemästete Muslime“, „Gesinnungsarschlöcher“ und gegen die grüne „Kinderfickerpartei“ teilten die etwa 20.000 Demonstranten offensichtlich in einen harten Kern und eine ohnehin passive Peripherie. Wegen des bekundeten Bedauerns, dass die KZs „leider derzeit außer Betrieb“ sind, prüft die Dresdner Staatsanwaltschaft eine Anklage wegen Volksverhetzung (siehe Text unten). Zudem kündigte sein Verlag Random House die Verträge mit dem Schriftsteller.

Dabei hatten die Anführer Lutz Bachmann und Tatjana Festerling zuvor versucht, eine europäische Pegida-Familie heraufzubeschwören. Der Demagoge Bachmann, der sich mittlerweile via Facebook vom Auftritt Pirinccis „öffentlich und aufrichtig“ entschuldigte, präsentierte sich als Kümmerer, zuständig für die Ängste und Sorgen des verkannten Volkes, bekundete sogar Erbarmen mit den in ihrer Erkenntnisfähigkeit angeblich behinderten Gegendemonstranten. Der vorbestrafte Kriminelle, eher in der Halbwelt zu Hause, verstieg sich zur Inanspruchnahme von Künstlern und Geistesgrößen wie Bach oder Einstein. Jetzt soll für jede Pegida-Stadt eine Hymne komponiert werden.

Wie die deutschen Redner bedienten auch die Gäste aus Norditalien, Tschechien, Polen, den Niederlanden und Großbritannien die typisch deutsche Urangst vor der antideutschen Weltverschwörung. Derzeit werde sie von den Flüchtlingen und ihrem „größten Raubzug der Geschichte“ angeführt, wie ein gewisser Horst meinte. Diese plünderten die in Not und Elend liegende deutsche Heimat. Die Berufsapokalyptiker sehen „Kälte und Sturm“ über die Heimat kommen. Überdies führe uns die Merkel-Clique auf geradem Weg in die kommunistische Diktatur.

Die Berufsapokalyptiker sehen „Kälte und Sturm“ über die Heimat kommen

Seit dem Wiedererstarken von Pegida nehmen die Drohungen mit Vergeltung für den erhofften Fall einer Machtübernahme zu. Unterschwellig wird ein Bürgerkriegsszenario propagiert. „Wir werden uns unser Land zurückholen!“, rief Bachmann. Vizekanzler Sigmar Gabriel bezeichnete am Dienstag Pegida als ein „Reservoir rassistischer Fremdenfeindlichkeit“.

Wieder wurden Kamerateams angegriffen, ein Journalist der Deutschen Welle wurde geschlagen. Journalistenverbände verurteilten die zunehmende Gewalt gegen Medienvertreter als „erschreckende Eskalation“. Trotz der Mischung aus wachsender Aggressivität und Larmoyanz im Zentrum wirkt Pegida zu den Rändern hin aber ausgelaugt und ideenlos. Zu den immer gleichen Plakaten und Sprüchen sind „nur“ die offenen Mordaufrufe hinzugekommen.

Nach neuesten Zählungen beteiligten sich an den fünf Sternmärschen unter dem Motto „Herz statt Hetze“ fast ebenso viele Bürger wie an der Pegida-Großkundgebung. Sie führten in unmittelbare Nähe des Theaterplatzes. Insgesamt 1.900 Polizisten konnten hier die Lager noch trennen, obschon sie sich anfangs mit Böllern und Raketen beschossen hatten. Ein Pegida-Demonstrant wurde von einem unbekannten Angreifer misshandelt. Weil der Theaterplatz faktisch eingekesselt war, räumte nach Versammlungsende ein Wasserwerfer, der aber nicht zum Einsatz kam, einen Rückweg frei. Danach attackierten sich Hooligans und offenbar angereiste Linksautonome gegenseitig, auch Pflastersteine flogen. Ein alter Mann, der auf Knien die herausgerissenen Steine wieder einzusetzen versuchte, beschämte beide.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen