: „Anfangs dachte ich, das ist nur Unvermögen“
Asyl Die Flüchtlingslage am Lageso spitzt sich zu. Grünen-Politikerin Canan Bayram glaubt, dass es ein inszenierter Notstand ist
49, Sprecherin für Integration, Migration und Flüchtlinge bei der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus und Anwältin.
von Stefan Alberti
taz: Frau Bayram, die Kälte macht die Lage am Lageso noch dramatischer. Ist es Unvermögen, oder warum wird es einfach nicht besser?
Canan Bayram: Anfangs dachte ich, dass es nur Unvermögen ist, dass es am Konflikt zwischen Sozialsenator Czaja und Lageso-Chef Allert liegt …
… der ist doch für die Flüchtlingsunterbringung gar nicht mehr zuständig.
Trotzdem gibt es eine Grundstimmung im Lageso, dass Czaja der Hauptverantwortliche für das Chaos ist. Aber ich glaube eben inzwischen nicht mehr an bloßes Unvermögen.
Was soll es denn sonst sein?
Ich habe den Eindruck, dass das ein inszenierter Notstand ist. Da sollen Bilder produziert werden, die die hilfsbereite Stimmung kippen lassen, wie etwa Bilder von Schlägereien. Das müsste gar nicht stattfinden
Und wer inszeniert da?
Herr Czaja natürlich.
Sie werfen dem Sozialsenator vor, die Leute bewusst in der Kälte stehen zu lassen?
Ich weiß, dass das ein schwerwiegender Vorwurf ist. Aber ich habe genügend Belege dafür.
Ich schreibe gern mit …
Da ist zum Beispiel das Rathaus Wilmersdorf, wo über 1.000 Flüchtlinge unterkommen könnten. Derzeit sind dort aber nur 860 – und nun haben die auch noch einen Brief bekommen, dass sie reduzieren sollen. Und das, während am Lageso die Leute frieren.
Ein zweites Beispiel?
Warum werden nicht erst mal Turnhallen für Flüchtlinge genutzt, die nicht für den Schulsport nötig sind, sondern nur von Vereinen genutzt werden? Da erzeugt man Unmut auch bei den Eltern. Ich meine, das ist gewollt. Und in einer neuen Präsentation für das künftige Registrierungsverfahren steht etwas von „geordnetem Warten“. Die Leute wollen aber nicht geordnet warten – sie wollen ihre Verfahren abgeschlossen bekommen.
Sie werfen Czaja ja auch vor, leer stehende Privatgebäude nicht zu beschlagnahmen. Er sagt, das gehe rechtlich nicht, solange nicht jedes öffentliche Gebäude für die Flüchtlingsunterbringung genutzt sei.
Aber er hat doch schon beschlagnahmt.
Czaja sagt, das sei im Einverständnis mit dem Eigentümer und gegen Entschädigung passiert – was ja quasi eine Vermietung ist. Etwas anderes erlaube das Gesetz nicht.
Das ist eine Lüge! Dann müsste sich das Land Hamburg, wo beschlagnahmt wird, ja gerade außerhalb der Gesetze bewegen. Der CDU ist einfach nur das Privateigentum heilig. Im Grundgesetz steht dazu aber nichts von heilig, sondern ganz klar, dass Eigentum verpflichtet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen