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Anwalt vertrat Phantomzeugin

EKLAT Zweieinhalb Jahre lang betreute der Jurist Ralph Willms im NSU-Prozess eine Nebenklägerin, die er persönlich nie gesehen hat – und die wohl auch gar nicht existiert. Erst jetzt kam die Sache raus

BERLIN taz | Wenn am Mittwoch der Münchner NSU-Prozess in seinen 233. Verhandlungstag geht, wird ein Stuhl leer bleiben: der von Ralph Willms, Anwalt der Nebenklage.

Grund dafür ist eine schier unglaubliche Posse. Denn offenbar saß Willms in dem seit zweieinhalb Jahren laufenden Prozess gegen Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte die ganze Zeit unbegründet im Saal. Der Eschweiler Jurist gestand am Freitag laut Spiegel Online, dass seine Mandantin Meral K., angeblich Geschädigte des NSU-Anschlags in der Kölner Keupstraße, „wahrscheinlich überhaupt nicht existent“ sei. Ihre Existenz sei von einem anderen NSU-Opfer nur vorgetäuscht worden.

Um die vermeintliche Mandantin gab es schon länger Fragezeichen. Sie soll vor dem Anschlag im Juni 2004 in der Kölner Keupstraße ein Restaurant besucht und bei der Explosion der Bombe Schnittwunden erlitten haben, als sie draußen stand und rauchte. So hieß es bisher.

Wiederholt war Meral K. in den Prozess geladen, um zu den Ereignissen auszusagen – zuletzt am vergangenen Dienstag. Sie erschien nie. Anwalt Willms sprach mal von einem verpassten Flug, mal sei sie auf dem Weg zum Gericht zusammengebrochen. Ob er dies alles nur erfand oder von dem anderen NSU-Opfer, das nachweislich in Köln verletzt wurde, „erfuhr“, bleibt vorerst offen.

Richter Manfred Götzl platzte jedenfalls am Dienstag der Kragen. Er stellte Willms eine Frist von einem Tag, um nachzuweisen, was mit Meral K. sei. Darauf legte Willms am Freitag sein Mandat nieder und bat das Oberlandesgericht München um Entbindung aus dem Prozess. Gleichzeitig stellte er Anzeige gegen das NSU-Opfer, das ihm Meral K. „vermittelte“ – offenbar gegen eine Provision.

Warum Willms aber über zweieinhalb Jahre lang nicht bemerkte, dass seine Mandantin „wahrscheinlich nicht existent“ ist, bleibt offen. Eine taz-Anfrage ließ der Anwalt unbeantwortet. Auch das Oberlandesgericht München äußerte sich bisher nicht zu dem Fall. Damit bleibt abzuwarten, ob Willms auch seine Tagesgelder und Reisekosten für die mehr als 230 Verhandlungstage zurückerstatten muss. Der Anwalt saß bis Januar 2014 auch für die CDU im Stadtrat Eschweiler. Er legte dieses Amt mit Verweis auf die Belastung durch den NSU-Prozess nieder.

Der Fall bringt erneut die Nebenkläger-Vertreter im Fall Keupstraße in die Diskussion. Ein Zeuge hatte vor Gericht berichtet, er sei von einem Anwalt regelrecht bedrängt worden, ihn als Nebenklage-Vertreter zu engagieren. Er habe das abgelehnt. Zudem versuchte im Frühjahr die Zschäpe-Verteidigung den Nebenklage-Anwalt Alexander Hoffmann auszuschließen, weil dessen Mandantin keinen „nachweisbaren Schaden“ erlitten habe. Die Frau litt unter Panikattacken, ein Arzt konnte aber keinen sicheren Zusammenhang zu dem Anschlag herstellen. Hoffmann gehört zu den engagiertesten Nebenklage-Anwälten im Prozess.

Bei dem Anschlag in der Kölner Keupstraße wurden 22 Menschen verletzt, vier davon schwer. Konrad Litschko

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