Gefälschte Abgastests: Der Diesel ist tot, es lebe der Diesel
Die VW-Betrügereien bei Abgastests haben die Dieselmotoren insgesamt in Verruf gebracht. Am Ende sind sie noch lange nicht.
Waren früher Dieselautos vor allem etwas für hartgesottene Viel- und Taxifahrer, die den rauen Klang des Motors liebten, sind sie heute längst ein Massenphänomen geworden. Fast jedes dritte der mehr als 44 Millionen Autos Deutschland ist ein Diesel, Tendenz steigend. Bei den Neuwagen ist etwa jeder zweite ein Diesel. Auch in Frankreich, Spanien, Italien und Großbritannien sind sie weit verbreitet; in den USA hingegen ist der Dieselanteil gering.
„Alle Antriebsarten mit Verbrennungsmotor werden noch einige Zeit eine Zukunft haben, auch der Diesel“, sagt Gerd Lottsiepen vom ökologischen Verkehrsclub Deutschland (VCD). Es komme darauf an, sie effizient und möglichst schadstofffrei zu machen. „Der Diesel hat ganz klar Vorteile auf langen Strecken, er ist ein Vielfahrerauto.“ Das bedeutet: Bei Fahrzeugen gleichen Typs kommt ein Diesel mit deutlich weniger Treibstoff aus als ein Benziner.
Dabei ist allerdings zu beachten, dass der Energiegehalt von Dieselkraftstoff höher ist als der von Benzin. Aber dieser Effekt erklärt noch nicht den ganzen Vorzug des Diesels: Er produziere – bei gleichem Fahrzeug und gleicher Leistung – weniger klimaschädliches Kohlendioxid CO2 als der Benziner, so Lottsiepen.
Laut VCD-Umweltliste kommt etwa ein VW-Passat auf 113 Gramm CO2 pro Kilometer, während der vergleichbare Diesel nur 95 Gramm pro Kilometer emittiert – jeweils gemessen im Labor im derzeit geltenden Testzyklus. Dieser Zyklus, der eine sehr defensive Fahrweise simuliert, bildet zwar nicht die Realität auf der Straße ab, aber zum Vergleich der Fahrzeuge untereinander – erst recht bei baugleichen Karosserien – taugt er schon. Lottsiepen: „Der so ermittelte Unterschied zwischen Benziner und Diesel ist durchaus realistisch.“
Bei Stickoxiden ist der Diesel im Nachteil
Aber kann der Diesel wirklich sauber werden? Problematisch ist ja nicht nur der Ruß bei alten Fahrzeugen, der durch Filter – mitunter nur unzureichend – aufgefangen wird. Es sind auch die Stickoxide, die bei Menschen Atemwegserkrankungen hervorrufen können. Sie entstehen bei der Verbrennung des Treibstoffs, und da ist der Diesel im Nachteil gegenüber dem Benziner.
Etwa ein Viertel der Stickstoffdioxidbelastung in den Städten stammt laut Deutscher Umwelthilfe von Diesel-Pkws. Weitere Anteile haben andere Dieselfahrzeuge – etwa Lkws, Busse und Baumaschinen – sowie Benzinautos. Etwa ein Drittel der Stickstoffdioxidbelastung stammt nicht vom Verkehr, sondern kommt aus Gas-, Öl- und Holzheizungen sowie aus der Industrie.
„Die Technik zur Abgasreinigung ist vorhanden, auch beim Diesel“, sagt Lottsiepen. Man müsse nur für strenge Grenzwerte sorgen und deren Einhaltung überwachen. „Das Entscheidende ist die Kontrolle.“
Hohe Abweichungen bei Abgastests von Dieselfahrzeugen hat der Autofahrerclub ADAC auch in Deutschland festgestellt, der seit 2003 in einem eigenen Test jährlich rund 150 Pkws untersucht. Ergebnis: Die Fahrzeuge halten zwar bei der Typprüfung den Grenzwert ein; im realen Betrieb, insbesondere bei Autobahnfahrten, aber auch im Innerortsverkehr, treten dagegen deutlich höhere Stickoxidemissionen auf.
Drastische Abweichungen
Der Grund: Im derzeit geltenden Testzyklus sind keine starken Beschleunigungen vorgesehen. „Gerade bei hoher Last und hohen Verbrennungstemperaturen steigen die Stickoxidemissionen im Motor aber stark an“, analysiert der ADAC. So ergäben sich Abweichungen um das 7- bis 20-fache zwischen dem Ist- und dem Normausstoß. Zur Erinnerung: Bei VW in den USA gab es Abweichungen um Faktor 10 bis 40.
„Gesetzlich sollte ein sauberer Diesel in keinem Betriebszustand eine höhere Abweichung vom Euro-6-Grenzwert zeigen als den Faktor 1,5“, sagt Clubsprecher Christian Buric. Duch moderne Clean-Diesel-Technologie könnten aber die Stickoxidemissionen im realen Betrieb um 90 bis 95 Prozent gesenkt werden.
Auf solche Technologien will sich Volkswagen bei der Abgasreinigung künftig besinnen. Auch wenn diese deutlich aufwendiger als bisherige sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Wahlkampfchancen der Grünen
Da geht noch was
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“