piwik no script img

Das schlechte Gefühl genügt

ÜBERWACHUNG Das Filmen einer Demonstration mit einem Videowagen ist ein Eingriff in Grundrechte der Teilnehmer, sagen die Verwaltungsgerichte Niedersachsens. Selbst dann, wenn keine Bilder aufgezeichnet werden

Die Bereitschaftspolizeien der Länder setzen sie ein, obwohl ihre Funktion rechtlich umstritten ist: Fahrzeuge zur Beweissicherung, die einen hochfahr- und schwenkbaren Mast und eine Videokamera auf dem Dach haben, die Bilder auf einen Bildschirm in den Transporter überträgt oder den Verlauf speichert. Obwohl das Bundesverfassungsgericht ein solches Filmen ohne Ermächtigungsgrundlage verbietet, kommt es immer wieder zu rechtswidrigen Grundrechtseingriffen – wie jetzt das Oberverwaltungsgericht Niedersachsens in Lüneburg in einem Fall in Bückeburg feststellte.

Der Kläger war Teilnehmer der Demonstration „Same Shit Different year – kein Rückzugsraum für Nazis“ am 21. Januar 2012 in Bückeburg. Obwohl die Polizeiinspektion Nienburg einen friedlichen Verlauf prognostiziert hatte, setzte sie ein Beweissicherungsfahrzeug ein. Dessen Mastkamera war halbhoch ausgefahren und auf die friedliche Zwischenkundgebung mit 500 Teilnehmern gerichtet.

Laut Polizei fertigte sie jedoch weder Bild- noch Tonaufzeichnungen an und übertrug auch keine Bilder auf den Kamera-Monitor. Die Standby-Position sei notwendig gewesen, um bei Ausschreitungen zwecks Strafverfolgung unverzüglich handlungs- und filmfähig zu sein, was andernfalls erst in 15 Sekunden möglich gewesen wäre.

Das sieht das Oberverwaltungsgericht, ebenso wie zuvor das Verwaltungsgericht, anders: Durch das Vorhalten einer teil­ausgefahrenen Mastkamera während einer Zwischenkundgebung – auch wenn sie nicht im Betrieb war – habe die Polizei ohne gesetzliche Grundlage in die geschützte Versammlungsfreiheit rechtswidrig eingegriffen, sagen die Richter.

Die innere Versammlungsfreiheit sei beeinträchtigt, wenn sich Versammlungsteilnehmer durch staatliche Maßnahmen veranlasst sähen, „ihre Meinungsfreiheit in der Versammlung nicht in vollem Umfang auszuüben“, so das Gericht weiter.

Entgegen der Ansicht der Polizei richte sich die Beurteilung der Einsatzmittel und der Polizeipräsenz ausschließlich auf deren Wirkung auf die Demo-Teilnehmer und nicht nach dem von der Polizei beabsichtigten Zweck ihres Einsatzes , belehren die Richter.

Für die Versammlungsteilnehmer sei nicht mit erforderlicher Eindeutigkeit erkennbar gewesen, dass von der Demonstration keine Bild- und Tonaufnahmen gefertigt wurden. „Die Unsicherheit beeinträchtigte den Kläger bei der Wahrnehmung seines Grundrechtes“, so die Richter, die zugleich vor einer „Wiederholungsgefahr“ warnten. Kai von Appen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen