: VW-Schmutz verschlingt Winterkorn
VerantwoRtung Der Vorstandsvorsitzende des Automobilkonzerns tritt zurück, obwohl er sich persönlich keiner Schuld bewusst ist. Doch das mögen viele Beobachter dem detailverliebten Autofreak nicht abnehmen
Aus Hannover Andreas Wyputta
Nach massiven Kursverlusten infolge des Abgasbetrugs bei Volkswagen ist Konzernchef Martin Winterkorn am späten Mittwochnachmittag zurückgetreten. Er sei „bestürzt über das, was in den vergangenen Tagen geschehen ist“, hieß es in einer Stellungnahme des Vorstandsvorsitzenden, die die VW-Pressestelle gegen 17 Uhr verbreitete. „Vor allem bin ich fassungslos, dass Verfehlungen dieser Tragweite möglich waren“, erklärte Winterkorn.
Das VW-Aufsichtsratspräsidium hatte im Stammwerk Wolfsburg seit dem Morgen getagt. Beherrschendes Thema der Gespräche des Aufsichtsratsvorsitzenden Berthold Huber mit Großaktionär Wolfgang Porsche, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), Betriebsratschef Bernd Osterloh und dessen Vize Stephan Wolf war die berufliche Zukunft Winterkorns. Der Technikfreak an der Konzernspitze gilt vielen als letztverantwortlich für die Milliardenverluste, die Volkswagen seit Wochenbeginn an den Börsen hinnehmen musste: Der Aktienkurs ist um mehr als 30 Prozent abgestürzt und sackte zeitweise auf unter 100 Euro, bevor Schnäppchenjäger stabilisierend zugriffen. Zumindest auf dem Papier ist VW damit aktuell rund 23 Milliarden Euro weniger wert als am Montagmorgen.
Keine Gnadenfrist verschaffen konnte Winterkorn deshalb seine Verbundenheit zu vielen der Chefkontrolleure. Zwar hatten der Kapitalvertreter Porsche, Regierungschef Weil und Betriebsratsboss Osterloh den VW-Chef in einem aufsehenerregenden Machtkampf erst im April vor dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Ferdinand Piëch gerettet, zwar sitzt auf Piëchs Posten mit Huber jetzt der einstige Boss der Gewerkschaft IG Metall. Trotzdem galt Winterkorn im Aufsichtsratspräsidium als nicht mehr haltbar.
Nicht nur in Niedersachsen kann sich kaum jemand vorstellen, dass der detailverliebte promovierte Physiker, der sich auf Automessen auch mal in aller Öffentlichkeit unter seine Fahrzeuge beugt, nichts von den betrügerischen Software-Manipulationen wusste, mit denen seine Ingenieure weltweit mehr als 11 Millionen Diesel-Fahrzeuge des Konzerns sauberer aussehen ließen, als sie in Wahrheit sind: Unter realistischen Bedingungen auf der Straße stoßen die Wagen bis zu 40-mal mehr Schadstoffe aus als bei behördlichen Tests auf dem Abgasprüfstand, enthüllte die US-Umweltbehörde EPA am letzten Wochenende und brachte damit den Skandal ins Rollen.
Martin Winterkorn
Winterkorn beteuerte am Mittwoch noch einmal, sich völlig korrekt verhalten zu haben. Er selbst habe den Aufsichtsrat gebeten, „eine Vereinbarung zur Beendigung“ seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender zu treffen. „Ich tue dies im Interesse des Unternehmens, obwohl ich mir keines Fehlverhaltens bewusst bin“, sagte der bis dahin bestbezahlte Manager eines DAX-Konzerns. Mehr als Ehrenrettung ist das nicht – schließlich hatte Ministerpräsident Weil eine VW-Gewinnwarnung in Höhe von 6,5 Milliarden Euro schon am Dienstag als „außerordentlich unangenehm“ und „besorgniserregend in dieser Höhe“ bezeichnet. Das Bundesland hält mehr als 20 Prozent der Anteile an Volkswagen. Personelle Konsequenzen hatte auch Niedersachsens Wirtschaftsressortchef Olaf Lies (SPD) verlangt. Weils sozialdemokratischer Finanzminister Peter-Jürgen Schneider gab für den aktuellen Landeshaushalt aber Entwarnung. Der Buchwert der landeseigenen VW-Aktien sei gering angesetzt, Korrekturen seien deshalb nicht notwendig. Auch werde das Land zumindest im Moment keinerlei Verluste realisieren, da ein Verkauf der VW-Aktien überhaupt kein Thema sei.
Allerdings gerät Volkswagen immer mehr ins Visier der Justiz. Mehrere US-Staaten formten ein Bündnis für Ermittlungen gegen den Konzern, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft in New York. Auch Kanada und Frankreich kündigten eine harte Untersuchung des Abgas-Betrugs an. In Deutschland begann die für den Konzernsitz Wolfsburg zuständige Staatsanwaltschaft Braunschweig bereits mit Vorermittlungen.
Nicht nur in Niedersachsen wird jetzt über mögliche Nachfolger Winterkorns spekuliert. Eine Entscheidung darüber soll frühestens am Freitag fallen. Als Favorit gilt Porsche-Chef Matthias Müller. Der Manager war im April vom Ex-Aufsichtsratschef Piëch als möglicher Nachfolger Winterkorns ins Gespräch gebracht worden. Zwar soll Müller selbst angedeutet haben, sich mit 62 Jahren für zu alt zu halten – zumindest für eine Übergangszeit könnte er nun aber doch VW-Chef werden. Patriarch Piëch dürfte das freuen: Der einstige VW-Übervater hasst nichts mehr, als zu verlieren.
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