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US-Bomben auf Klinik in Kundus

Afghanistan Humanitäre Helfer berichten von gezielten Angriffen auf ihre Klinik, doch die Afghanistan-Mission der Nato beharrt auf „Kollateralschaden“

Aus Berlin Thomas Ruttig und aus Kabul OBAID ALI

Bei einem US-Bombenangriff sind in der Nacht zu Samstag 19 Mitarbeiter und Patienten einer Klinik in der umkämpften nordafghanischen Provinzhauptstadt Kundus getötet worden. 37 weitere Menschen wurden verletzt. Mehrere Patienten – darunter drei Kinder – verbrannten in ihren Betten. Der Betreiber, die internationale Organisation Ärzte ohne Grenzen (MSF), musste die Einrichtung schließen. Überlebende Mitarbeiter arbeiten jetzt in anderen Kliniken der Stadt.

Die MSF-Klinik war dort das größte noch funktionsfähige Krankenhaus. Das staatliche Hospital liegt im von den Taliban kontrollierten Nordwesten der Stadt. Dessen Personal arbeitet zumeist nicht mehr.

Ein Sprecher der Nato-geführten internationalen Militärmission in Afghanistan bestätigte noch am gleichen Tag, dass es „in der Umgebung“ der MSF-Klinik einen Luftangriff gegeben habe und dabei „Kollateralschaden“ an der Klinik verursacht worden sein könnte. Man habe Taliban-Stellungen angegriffen und dabei sei die Klinik getroffen worden. Die Taliban hätten auf US-Militärpersonal geschossen. Nur in einer solchen Situation dürfen die Luftschläge ausgeführt werden. Das bedeutete aber auch, dass US-Soldaten direkt an Kämpfen nahe der Klinik teilgenommen hätten.

Bisher war nur bekannt, dass sie am außerhalb gelegenen Flugplatz Operationen mit den Regierungstruppen koordinierten. US-Präsident Barack Obama erklärte den Opfern sein „tiefes Mitgefühl“; eine Untersuchung sei im Gange.

MSF wies einen Bericht des Gouverneurs von Kundus zurück, Taliban-Kämpfer hätten aus der Klinik geschossen: „Die Tore des Krankenhausgeländes waren über Nacht verschlossen, sodass niemand, der nicht zum Personal gehört, Patient oder Wächter ist, innerhalb des Krankenhauses war, als der Angriff geschah.“ Heman Nagarathnam, MSF-Programmchef für Nordafghanistan, der sich im Hospital aufhielt, widersprach auch der Version vom Kollateralschaden: „Die Bomben schlugen ein und dann hörten wir das Flugzeug kreisen. Dann gab es eine Pause, und dann schlugen mehr Bomben ein – wieder und wieder.“ Bart Janssens vom Brüsseler MSF-Büro sagte am Sonntag auf CNN, seine Organisation habe „allen Seiten“ – Taliban, afghanischen und US-Truppen – die Position der Klinik übermittelt.

Der britische Telegraph berichtete, afghanische Regierungsvertreter hätten bestätigt, dass es sich um einen US-Angriff gehandelt habe, aber Wa­shington sich weigere, die volle Verantwortung zu übernehmen.

Die bombardierte Klinik war das größte noch funktions­fähige Krankenhaus

Meinie Nicolai, Präsidentin von MSF Belgien, nannte den US-Angriff eine „schwere Verletzung des internationalen humanitären Rechts“. Im Kriegsfall dürfen Krankenhäuser auch dann nicht angegriffen werden, wenn sich darin feindliche Kämpfer sowie Patienten und Personal aufhalten. UN-Menschenrechtschef Zeid Raad al-Hussein sagte sogar, es wäre ein Kriegsverbrechen, „falls ein Gericht herausfindet, dass der Angriff absichtlich war“.

Die Situation in Kundus ist weiter unübersichtlich. Das Kabuler Verteidigungsministerium gratulierte den Einwohnern am Sonntag schon zum Sieg. Reuters zitiert aber einen Nato-Militär, demzufolge „das gesamte Gebiet noch umkämpft“ sei. Ein lokaler afghanischer Journalist twitterte am Sonntag um 15 Uhr Ortszeit, die Taliban hätten wieder die zen­trale Kreuzung der Stadt eingenommen. Außerdem kontrollieren sie nach taz-Informationen inzwischen vier der sechs ländlichen Distrikte der Provinz Kundus.

Warlords boten bei einem Treffen in Kabul der Regierung an, weitere Milizen nach Kundus zu schicken.

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