Sport zwischen Freizeit und Leistung: Der Besenwagen und ich

Unser Autor wollte wissen, wie die Stadt von oben aussieht und wie es sich anfühlt, mit anderen um die Wette zu laufen: über die Hamburger Köhlbrandbrücke.

Um die Wette über die Köhlbrandbrücke laufen: Unser Autor wollte wissen, wie das ist. Ein Selbstversuch Foto: Klaus Irler

HAMBURG taz | Eigentlich will ich das alles nicht. Ich will keinen Chip am Schuh, der meine Zeit misst, kein Schild auf der Brust, auf dem eine Nummer steht. Ich will nicht mit anderen um die Wette laufen und nachher eine Medaille umgehängt bekommen. Ich will nicht wissen, wie schnell die Schnellsten laufen und wie lange die Langsamsten brauchen. Ich will das alles nicht, weil ich ein hedonistischer Freizeit-Läufer bin und glaube, dass mir der Spaß am Laufen verloren geht, wenn ich es mit einem Leistungsgedanken verknüpfe.

Trotzdem stehe ich jetzt auf diesem Firmengelände im Hamburger Hafen zusammen mit 2.400 anderen und spüre eine gewisse Nervosität vor dem Startschuss. Gleich geht es über die Köhlbrandbrücke, ein mal hoch, drüber, auf der anderen Seite kehrt und wieder zurück. Ich wollte schon immer mal da oben stehen. Außerdem will ich wissen, ob ich das mit dem leistungsbefreiten Laufen auch dann durchziehen kann, wenn ich mich einem Wettkampf aussetze.

Der Besenwagen droht

Die Köhlbrandbrücke ist mit ihren sanft geschwungenen Formen so sehr ein Wahrzeichen Hamburgs, dass sie es auf das Etikett meiner Mineralwassermarke geschafft hat. Normalerweise ist sie für Fußgänger gesperrt. Heute laufen zweimal 2.400 Leute drüber. Ganz vorn laufen Leute, die es sehr ernst meinen. Am Ende des Feldes fährt ein Besenwagen, der alle einsammelt, die die zwölf Kilometer nicht in einer Stunde und 45 Minuten schaffen.

Der Besenwagen ist, das lerne ich schnell, ein silberner Ford-Kleinbus. Bedrohlich nahe kommt er mir nach meiner ersten Fotopause. Ich sehe zu, dass ich Abstand gewinne, sonst fühlt sich es sich schlecht an.

Am Wegesrand stehen Schilder, die die zurückgelegten Kilometer und Bierwerbung zeigen. Der erste Kilometer ist geschafft. Ich bleibe trotzdem im hinteren Feld, da, wo mehr Platz ist und die Leute beim Laufen quatschen. Die beiden Studentinnen neben mir zum Beispiel reden über Fußball. Beim Kilometer-Zwei-Schild sagt die eine: „Hey! In zwei Kilometern gibt’s Krombacher!“ Angenehme Gesellschaft, hier hinten.

Als sich nach einer Kurve vor uns die Brücke aufbaut, sagt die Studentin: „Scheeiiiiße!“ Die beiden himmelwärts strebenden Pfeiler sehen aus wie riesige Fische, die auf dem Kopf stehen. Der Scheitelpunkt liegt 53 Meter hoch über der Elbe, da müssen wir jetzt hinauf.

Drei Neuigkeiten bringt der Ausblick von oben. Erstens: Das Stadtbild ist in der Oktobersonne überraschend weiß. Zweitens: Die Elbphilharmonie spielt keine wesentliche Rolle. Drittens: Der Hafen ist ein Scheinriese. Kräne, Hochhäuser, Lagerhallen, die Köhlbrandbrücke selbst: Alles sieht aus der Ferne riesig aus und schrumpft, je näher man rankommt.

Zwischen Rentnern

Drei Kollegen vom Alpenverein, Sektion Flensburg, haben nach dem Wendepunkt beim zweiten Anstieg Schwierigkeiten. Ich auch. Vor allem damit, dass mich kurz vor Kilometer neun ein Renterpaar überholt. Also ein echtes Renterpaar: weißhaarig, leicht gedrungene Haltung beim Laufen, offenbar steifer Rücken. Beide tragen Laufshirts mit dem Logo einer Unternehmensberatung. Ich kann mich nicht wehren gegen die Gefühlswallung aus Stolz und Trotz und gebe Gas. Es soll eine Art Endspurt werden. Die Idee ist zu optimistisch. Drei Kilometer Endspurt schaffe ich nicht, aber die Unternehmensberater hänge ich ab.

Das Ziel erreiche ich dann knapp hinter einer 70-Jährigen. Das weiß ich, weil der Moderator mittlerweile die Ankömmlinge vorstellt: Er verwendet die Daten, die der Chip sendet. Mich vergisst er zum Glück.

Ich hole mir sogar noch die Urkunde, auf der steht meine Zeit: „1:26:31 (Brutto), 1:24:17 (Netto)“. Ich weiß nicht, was das bedeuten soll. Ich habe nur eine Vermutung. Und ich bin sicher: Ich brauche es nicht.

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