Begegnung nach Neujahr: Der letzte Mohikaner

Auf der Straße kommt mir ein dicker Mann mit hochrotem Kopf entgegen getorkelt. Ihm folgen Polizei und Notarzt. Warum helfen sie dem Mann denn nicht?

Ein Jogger läuft bei trübem Wetter durch eine Allee.

Der Klassiker unter den Neujahrsvorsätzen: mehr Sport, mehr Bewegung Foto: dpa / Moritz Frankenberg

Spät am Nachmittag laufe ich völlig geschafft von der Sonntagsschicht in Halle 4 nach Hause zurück. Ich bin total kaputt. Fast so kaputt wie die deutsch-türkischen Beziehungen. Dass mein Ford-Transit ausgerechnet heute streikt, das werde ich ihm nie verzeihen. Ohne ihn bin ich verloren!

Meine Frau Eminanim hat wohl schon Recht. Als Neujahrsvorsätze müsste ich mir unbedingt mehr Sport und Bewegung, weniger essen und Abnehmen vornehmen. Ich sollte was für meine Fitness tun! Schon durch ein bisschen Gehen bin ich völlig kaputt.

Ich sehe verwundert, dass alle Straßen für Autos abgesperrt sind. Nicht nur unser Karnickelweg. Ich wäre mit dem Wagen also gar nicht durchgekommen.

Bei Allah, war für einen Hellseher doch mein lieber Ford-Transit ist. Man sollte nicht jeden Streikenden gleich als nichtsnutzigen Kommunisten verdammen.

Mitten auf der Straße kommt mir plötzlich ein sehr dicker Mann mit hochrotem Kopf entgegen getorkelt. Er kann sich kaum noch auf den Beinen halten und schwankt sehr bedrohlich hin und her. Ihm folgt mit zehn Metern Abstand, im Schritttempo, ein vollbesetzter Polizeibus. Dicht dahinter zwei Notarztwagen. Warum helfen sie dem Mann denn nicht?

Bei Allah, erst jetzt wird mir die tragische Reichweite der Situation bewusst. Dieser stöhnende, schwankende und wie ein Wasserfall schwitzende Mann ist ein Selbstmordattentäter! Er ist rund wie eine Regentonne, weil er wohl unter dem T-Shirt einen dicken Sprengstoffgürtel trägt!

Niemand kommt dem Mann zu nahe

Kein Wunder, dass ihm niemand zu nahe kommt. Alle warten nur noch darauf, dass er endlich in die Luft fliegt.

Ich wittere plötzlich die einmalige Chance in ganz Deutschland als der große Held gefeiert zu werden und rolle ihm todesmutig meine leere Thermoskanne zwischen die Beine. Er kommt leicht ins Stolpern, aber fängt sich aber leider wieder.

„Hey, sind Sie verrückt geworden?“, brüllt mich ein Polizist an, der ihn in zehn Meter Abstand zu Fuß verfolgt.

„Warum torkelt dieser Terrorist denn? Habt ihr ihn angeschossen?“, frage ich.

„Guter Witz. Aber dieser Marathon-Läufer terrorisiert uns tatsächlich seit Stunden“, lacht er.

„Wie bitte? Das ist ein Marathon-Läufer? Muss man denn so dick sein, um Marathon zu laufen? Und übrigens, wo ist denn hier überhaupt ein Marathon?“

„Da haben Sie schon wieder Recht. Der eigentliche Marathon-Lauf ist schon seit drei Stunden zu Ende. Das ist hier der letzte Mohikaner. Wegen ihm dürfen wir die Absperrungen nicht wegräumen.“

„Mit mehreren Notarztwagen und einer riesigen Polizeieskorte hinter sich kann ja jeder Marathon laufen – sogar ich“, jubele ich und renne nach Hause. Überhole dabei locker den fetten Marathon-Mann.

„Eminanim, Eminanim, du hast ja so Recht. Ich will ab sofort Sport machen. Ich werde Marathon-Läufer. Noch heute fange ich mit dem Training an!“

„Das ist ja toll, Osman. Da hast du aber einiges zu tun“, freut sich meine Frau.

„Das stimmt! Stell bitte jetzt alles Essbare auf den Tisch. Ich muss nämlich erst mal 50 Kilo zunehmen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.