Schiedsrichter über Angriffe im Stadion: „Kannten Ausmaß der Gewalt nicht“
Die gewaltsamen Übergriffe auf Schiedsrichter nehmen zu. Hamburger Verbandsschiedsrichter schreiben nun einen offenen Brief.
taz: Herr Ehrenfort, ist das Gewaltpotenzial im Amateurfußball gestiegen?
Michael Ehrenfort: Das lässt sich schlecht beantworten, weil es darüber keine Statistiken gibt. Gefühlt hat gerade im unteren Bereich des Amateurfußballs die Berichterstattung darüber zugenommen. In den oberen Spielklassen kannten wir ein solches Ausmaß an Gewalt lange Zeit nicht, bis auf wenige Einzelfälle. Aufgrund der zahlreichen Zwischenfälle in den letzten Wochen haben wir Schiedsrichter uns nun mit einem Brief an die Öffentlichkeit gewandt.
Sind die Übergriffe zahlenmäßig mehr geworden oder haben sie an Intensität zugenommen?
Meinem Gefühl nach sind die Übergriffe gewaltsamer geworden.
Wie erklären Sie sich das?
Die Hemmschwelle, uns verbal zu beleidigen und zu attackieren, ist relativ gering. Das ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Da könnte man genauso gut die Polizei befragen. Der Respekt, der Entscheidungsträgern entgegengebracht wird, geht verloren. Wir sind auf dem Platz ja so etwas Ähnliches wie die Polizei in der Gesellschaft.
Ein Schiedsrichterkollege von Ihnen wurde krankenhausreif geschlagen – wie kam es dazu?
Das war ein Spiel am 4. September in der Landesliga Hansa. Der Bramfelder SV spielte gegen Dersimspor Hamburg. Der Kollege ist nach einem hitzigen, aber nicht auffälligen Spiel auf dem Weg in die Kabine von einem Zuschauer von hinten attackiert worden. Er wurde durch Schläge und Tritte zu Fall gebracht und auch am Boden liegend ist er noch geschlagen worden. Er hat erhebliche Gesichtsverletzungen davon getragen und musste im Krankenhaus behandelt werden.
30, ist seit 1999 Schiedsrichter und Sprecher des Verband-Schiedsrichterausschusses (VSA). Er war einer der Herausgeber des offenen Briefes wegen der steigenden Gewalt.
Bei diesem Beispiel kam der Täter also aus der Anhängerschaft des Vereins.
Ja. In den letzten Wochen haben wir in unserer Kritik die Mannschaften ins Visier genommen. Das muss man aber relativieren. Die Mannschaft Dersimspor hat nach dem Vorfall aktiv zur Aufklärung beigetragen und den Täter aus ihrer Anhängerschaft identifiziert. Dadurch konnte der Fall vor das Sportgericht gebracht werden und auch eine Anzeige gestellt werden.
Wer will denn da noch Schiedsrichter werden?
Wir verlieren Schiedsrichter. Wir bilden pro Jahr in den Bezirken eine dreistellige Zahl an Schiedsrichtern aus. Man kann statistisch gut nachvollziehen, dass von den ausgebildeten Schiedsrichtern 50 Prozent direkt nach dem ersten Jahr wieder aufhören. Weitere 25 Prozent hören nach dem zweiten Jahr auf. Das ist seit Jahren so.
Begründen die Abbrecher das mit Angst vor Gewalt?
Das ist eine der Hauptbegründungen. Es sind häufig junge Kollegen im Alter von 14 bis 16 Jahren, die als erste Spiele Jugendspiele leiten. Das Erschreckende ist, dass sie nach einem Jahr beleidigt, bepöbelt und bedroht wurden. Das wollen sie sich einfach nicht antun.
Hindern solche Vorfälle die Schiedsrichter bei der Ausführung ihrer Tätigkeiten? Haben sie Angst vor Ausschreitungen?
Ich stehe weiterhin dazu, dass das nicht passieren darf. Auch rote Karten sollten wegen so etwas nicht stecken bleiben. Wenn wir an den Punkt kommen würden, dass die Schiedsrichter Fouls nicht mehr pfeifen, dann wäre es zu spät. Wenn das passieren sollte, haben alle Instanzen, von Vereinen, über die Verbände, die Sportgerichte bis hin zur Gesellschaft versagt. In solche Situationen dürfen wir nicht kommen, dass Gewalthandlungen die Schiedsrichter bei ihren Entscheidungen einschränken.
Wie können Schiedsrichter besser geschützt werden?
Es gibt Sicherheitsrichtlinien, die nur für die Hamburger Oberliga gelten. Diese müssen auf alle Spielklassen ausgeweitet werden. Bezeichnend ist, dass auch der DFB reagiert und eine Sicherheitszone bei allen Jugendspielen einrichtet. Eltern müssen dann einen bestimmten Abstand zum Spielfeld einhalten, damit sie keinen Einfluss nehmen können. Wir wollen zunächst in den Dialog mit den Vereinen treten, um in gemeinsamen Gesprächen die gegenseitige Akzeptanz wiederherzustellen. Wir wollen einfach wieder auf einen gemeinsamen Nenner kommen.
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