Kommentar Griechenland nach der Wahl: Leidenschaft für Europa wiederfinden

Alexis Tsipras ist ein begnadeter Wahlkämpfer. Jetzt muss der Linkspolitiker noch regieren. Das Europa-als-Sündenbock-Märchen reicht nicht.

Alexis Tsipras

Griechenland zu modernisieren, das ist jetzt seine Aufgabe: Alexis Tsipras Foto: ap

Alexis Tsipras hat eine zweite Chance bekommen. Hoffentlich weiß er sie zu nutzen. Als Wahltaktiker hat der Linkspolitiker schon jetzt einen sicheren Platz in den Geschichtsbüchern Griechenlands. Kein anderer vor ihm hatte es fertig gebracht, seine größten Wahlversprechen über Bord zu werfen, die Banken zu schließen, Kapitalkontrollen einzuführen und Steuern massiv zu erhöhen, um anschließend auch noch mit einem 7-Prozent-Vorsprung wiedergewählt zu werden.

Doch eine echte historische Leistung wäre etwas anderes: Energie und Chuzpe dort einzusetzen, wo es wirklich dringend nötig wäre, nämlich bei dem Versuch, Griechenland zu modernisieren und aus den teils feudalen Strukturen der Vergangenheit zu befreien.

Alexis Tsipras ist ein begnadeter Wahlkämpfer, das bezweifelt niemand mehr. Jetzt muss der Linkspolitiker auch noch regieren. Das hatte er schon im Januar vor, doch boshafte Geldgeber im Ausland und radikale Haarspalter in der eigenen Partei haben ihm das Leben angeblich schwer gemacht.

Nun ist der Syriza-Chef die vermeintlichen Radikalmarxisten losgeworden (dafür bekommt er allerdings künftig erhöhten Druck von der Straße) und mit den Geldgebern hat er auch ein Sparabkommen geschlossen. Dessen schmerzhafte Auflagen kann Tsipras nur dann unversehrt umsetzen, wenn er sie sozial abfedert und dabei die Lasten der Krise auch gerecht verteilt: Wenn die Wohlhabenden und die Kirche ihren Teil zur Krisenbewältigung leisten, wenn Politiker ihre Kinder und Neffen nicht mehr in politische Ämter hieven.

Und noch etwas wäre wichtig: dass Griechenland seine Leidenschaft für Europa wiederfindet – gerne auch mit einem linksgerichteten politischen Narrativ, das dann zur Debatte stünde. Das Europa-als-Sündenbock-Märchen ist jedenfalls zu gefährlich für ein Land, das lange genug gelitten hat in der Einsamkeit des Südbalkans.

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