piwik no script img

Zukunft Sie sind gut für die Umwelt, drängeln nicht und sind nie betrunken. Rettet das selbstfahrende Auto die deutsche Autoindustrie – oder fährt es sie gegen die Wand?Volle Fahrt ins Ungewisse

von Svenja Bergt

Ein selbstfahrendes Auto kann man sich wie einen etwas verwöhnten Touristen vorstellen. Am liebsten mag es Sonnenschein, einen leicht bewölkten Himmel, aber bloß kein grelles Gegenlicht oder Chaos um sich herum. Dann geht es ihm gut: Es fährt, wenn es fahren, und es hält, wenn es halten soll. Um Hindernisse kurvt es herum. Aber wehe, es liegt Schnee oder die Straßen sind vereist. Oder die Sonne blendet. Dann kann es auf dem Testparcours auch mal in die Gegenspur oder in den Bordstein steuern, ein Hindernis nicht erkennen oder eines sehen, wo keins ist. Krach. So war das eigentlich nicht gedacht.

Sie sind anspruchsvoll, diese selbstfahrenden Autos. Kein Wunder, dass Testfahrten bevorzugt in Kalifornien stattfinden und nicht in Sibirien. Und das, obwohl die Verkehrssicherheit von den Herstellern immer als großes Argument für die autonomen Autos angeführt wird.

Alle 13 Sekunden gibt es auf deutschen Straßen einen Unfall. 3.368 Menschen sind im vergangenen Jahr dabei umgekommen. Weil jemand auf sein Handy geschaut hat oder das Stoppschild übersehen oder letzte Nacht schlichtweg nicht genug geschlafen hatte. All das sind Fälle, die sich vermeiden ließen, wenn das Auto mit dem Stoppschild sowie dem Auto davor kommunizieren und über Sensoren wahrnehmen würde, dass da ein Hindernis auf der Straße ist. Ein Fußgänger zum Beispiel oder ein Ball, der auf die Straße rollt.

Wenn der Assistent übernimmt

Werbung: Sollte das autonom fahrende Auto Wirklichkeit werden, wird es beworben werden wie das Bahnfahren heute: Nutze die Zeit, in der du unterwegs bist! Schon heute können Autofahrer zwar nachdenken, telefonieren, Radio und ein Hörspiel hören, träumen oder schlicht aus dem Fenster schauen. Aber die Industrie muss nun mal Gründe finden, warum sie so viel Ressourcen investiert, um den Fahrer überflüssig zu machen.

Der Weg: Zunächst sollen immer mehr Fahr- und Sicherheitsassistenten dem Menschen am Lenkrad die Verantwortung abnehmen. Die Industrie unterscheidet dabei mehrere Stufen.

Definitionen: Beim assistierten Fahren wird dem Fahrer durch einen Spurhalteassistenten oder Auffahrunfallschutzassistenten geholfen. Beim teilautomatisierten Fahren übernimmt das System in einer Situation die Führung des Fahrzeugs, etwa beim Stauassistenten oder beim automatisierten Parkassistenten. Der Fahrer muss aber das System überwachen und jederzeit zum Selbststeuern bereit sein. Hochautomatisiertes und vollautomatisiertes Fahren haben gemeinsam, dass das System selbstständig eine Verkehrssituation bewältigt, etwa ein Autopilot im Stop-and-go oder auf der Autobahn. Aber nur beim vollautomatisierten Fahren ist das System in der Lage, das Fahrzeug anzuhalten. Beim hochautomatisierten Fahren muss in diesem Fall der Fahrer einspringen.

Vision: Beim fahrerlosen Fahren kann das System alles allein; das ist hochkomplex, vor allem in den Städten. Das Unternehmen Bosch, großer Zulieferer der Autoindustrie, sieht das hochautomatisierte Fahren bereits im Jahr 2020 serienreif. In der nächsten Dekade soll dann das vollautomatisierte Fahren folgen. Noch früher will Bosch das Parken automatisieren. Demnächst steuere das Auto fahrerlos in die Lücke und finde seinen Stellplatz im Parkhaus selbst.

Um das Jahr 2020, da sind sich Experten weitgehend einig, werden die selbstfahrenden Pkws ganz regulär auf Straßen unterwegs sein. Auf Autobahnen, eventuell auch auf Landstraßen. In Städten eher etwas später, die Komplexität des Stadtverkehrs ist die größere Herausforderung. Wer möchte nicht die Zahl der Verkehrstoten reduzieren, vielleicht sogar auf null senken?

Denn anders als ihre Fahrer lassen sich Autos ziemlich einfach erziehen. Bei ihnen heißt es dann programmieren. Google zum Beispiel programmiert seine selbstfahrenden Autos zum defensiven Fahren. Schaltet eine Ampel auf Grün, fahren sie nicht sofort mit Vollgas los, sondern warten einen Augenblick, für den Fall, dass doch noch ein Fußgänger auf die Straße gesprungen ist. Erst dann geben sie Gas. In der Praxis hat das nur einen Nachteil: Die ungeduldig Wartenden, die sofort beim Signalwechsel aufs Gaspedal steigen, fahren dem defensiv wartenden Google-Auto schon mal hintendrauf – der Konzern verzeichnete mehrere Unfälle dieser Art. Das mit der Koexistenz klappt also noch nicht so gut.

„Selbstfahrende Autos sind auch von der Umweltbilanz her besser“, sagt Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des ökologisch orientierten Verkehrsclubs Deutschland. Zu schnell fahren, spät schalten, abrupt bremsen – all das verursacht Emissionen. Menschen machen das. An Maschinen kann man es einfach abstellen.

Eine Straßenkreuzung in Shenyang, einer Stadt im Nordosten Chinas. Zwei Magistralen, die sich kreuzen, wie viele Fahrspuren, ist nicht wirklich auszumachen. Denn jeder, der irgendwo eine Lücke sieht, nutzt sie. Und so stehen Busse, Vans, Pkws und ein Lastwagen mitten auf der Kreuzung, ineinander verkeilt, es geht nicht vor und zurück schon gar nicht. Mit selbstfahrenden Autos wäre das nicht passiert.

„Das Auto hat für Großstadtbewohner wesentlich an Emotion verloren“

Mobilitätsforscher Dudenhöffer

Das Problem ist: Menschen sind nicht nur schwer zu erziehen, sondern auch dumm. Wenn sie sich in einer Verkehrssituation befinden, denken sie nur an das eigene Vorankommen und haben das große Ganze nicht im Blick. Deshalb sind überall auf der Welt Kreuzungen verstopft, obwohl es schneller ginge, würden sich alle an die Verkehrsregeln halten. Verkehrschaos ist nicht gut, vor allem für die Autoindustrie. Jeder Stau bedeutet, dass Fahrer genervt sind vom Autofahren, dass Unfälle passieren und dass die Leute das nächste Mal womöglich den Bus nehmen oder das Fahrrad.

Menschen sind egoistisch, Maschinen nicht

Um die negativen Folgen des dichten Verkehrs in den Griff zu bekommen, setzt man in China bereits auf eine Beschränkung der Zulassungen: Städte verlosen oder versteigern die Lizenz, die damit teurer werden kann als die Anschaffung des Fahrzeugs selbst. Auch das ist gar nicht im Sinne der Industrie.

Zwar steigen die Absatzzahlen in Ländern wie China und Indien noch. Doch in Europa ist der Trend schon rückläufig, in den USA liegt die Zahl der Neuzulassungen deutlich unter dem Niveau vor der Wirtschaftskrise. Die Zeiten, in denen zur Volljährigkeit Führerschein und Auto gehörten, sind vorbei. Elektrofahrzeuge sind ein Ausweg für die Industrie – die Antwort auf die ökologischen Probleme. Selbstfahrende Autos sind der zweite Weg. Die Antwort auf die Identitätskrise.

„Das Auto hat für Großstadtbewohner wesentlich an Emotion verloren“, sagte Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des CAR-Center Automotive Research an der Universität Duisburg-Essen, bei der Vorstellung der diesjährigen Zahlen zum Alter der Neuwagenkäufer. Durchschnittlich 53 Jahre alt ist heute, wer ein Autohaus betritt, sich zwischen den glänzenden Wagen umsieht und schließlich das Portemonnaie zückt. Ein neuer Altersrekord. Und noch ein Hinweis darauf: Das Auto ist nicht mehr das, was es mal war. Das Statussymbol, dessen Besitz allen zeigt, wo man in der Gesellschaft steht.

Dafür gibt es andere Statussymbole. Smartphones zum Beispiel, kleiner und auch ökologischer als ein ganzer Pkw. Für die Autoindustrie ist das kein Trost. Um sich von den kleinen Elektronikgeräten nicht den Markt abgraben zu lassen, versucht sie alles, um ihre Fahrzeuge zu großen Elektronikgeräten zu machen. Wer in einen Pkw der aktuellen Generation einsteigt, kann nicht einfach nur den Zündschlüssel umdrehen. Das Fahrzeug muss hochgefahren werden, wie ein Computer.

Wer heute in einen Pkw der aktuellen Generation einsteigt, dreht nicht nur den Zündschlüssel um, sondern fährt einen Computer hoch.

Dass die Technik künftig in der Lage ist, mit der aus dem Nachbarauto zu kommunizieren, und anstelle des Fahrers Algorithmen entscheiden, wann gebremst wird, ist nur der nächste logische Schritt. Und gleichzeitig einer, der den Passagieren ermöglicht, noch mehr Zeit mit ihrem neuen Statussymbol zu verbringen. Dazu passt, dass das selbstfahrende Auto gar nicht mehr aussehen soll wie ein Auto. Wozu braucht man eine Heckscheibe, wenn niemand mehr nach hinten schauen muss? Warum die Sitze hintereinander anordnen, wenn man doch auch im Kreis sitzen kann oder quer zur Fahrtrichtung wie in einer Limousine? Oder – auf langen Strecken – liegen?

„Die Industrie will diese Autos“, sagt Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland, „aber ob der Kunde sie will, ist völlig unklar.“ Schließlich mache die Faszination des Autofahrens das Gefühl aus, Herr über Zeit und Raum zu sein. Das selbstfahrende Auto sei dagegen nicht mehr weit vom fremdgesteuerten Zug oder Bus entfernt. Und zudem deutlich teurer.

Doch selbst wenn die Industrie die Autos nicht wollte: Sie hat keine Wahl. Neue Player wie Google und – immer noch gerüchteweise – Apple wollen auf den Markt. Wenn die Kunden eines Tages ihre Autos bei ihnen kaufen, haben Volkswagen und Co. ein Problem. Die Autoindustrie muss also dranbleiben, auch wenn sich das eines Tages für sie als Nachteil erweisen könnte. Aber dazu später.

Auch Strafverfolger hätten Interesse an den Daten

Dass auch Konzerne wie Google dabei sein wollen, ist kein Wunder. Nicht nur, weil der Taxi-Konkurrent Uber eine glänzende Zukunft vor sich hätte, ohne den Streit um Ortskenntnisprüfungen und Personenbeförderungsscheine. Google ist vor allem an den Daten der Autos und ihrer Fahrer interessiert.

Schon die aktuelle Fahrzeuggeneration weiß viel über ihre Fahrer. Zum Beispiel über Beschleunigungs-, Kurven- und Bremsverhalten, über Lenkwinkel und Radgeschwindigkeit, Radar- und Kamerawerte. Wann war der Scheibenwischer an? Wann das Fernlicht? Und wann nicht? Und die Nebelschlussleuchte? Versicherungen, die einen defensiven Fahrstil belohnen, gibt es bereits. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis alle, die sich nicht in die Fahrdaten schauen lassen wollen, mehr zahlen müssen. Auch Strafverfolger hätten ein Interesse an den Daten. Und dann kann es nicht mehr lange dauern, bis Gewerkschaft der Polizei und Unionspolitiker eine Vorratsdatenspeicherung für zurückgelegte Strecken fordern.

„Mit fortschreitender Entwicklung wird die Verarbeitung der Daten zunehmend zentraler“, sagt Daniel Göhring, Leiter des Projekts selbstfahrende Autos an der Freien Universität Berlin. Gleichzeitig öffnen Software und Datenversand ein Fahrzeug auch für Viren, Trojaner und Hacker. Vor wenigen Wochen präsentierten zwei Forscher ihren Hack eines Jeep, dem sie ferngesteuert unter anderem den Motor abstellten. Warum sollte sich ein selbstfahrendes Auto nicht auch bei voller Fahrt hacken lassen? Und auf der Autobahn auf einmal beschleunigen – oder bremsen? „Je mehr wir die Fahrzeuge vernetzen, desto mehr Angriffsmöglichkeiten gibt es“, warnt Tobias Eggendorfer, Professor für IT-Sicherheit an der Hochschule Weingarten.

Doch auch wenn alle Zukunftsvisionen erfüllt werden und die selbstfahrenden Autos sich als ökologischer entpuppen, als vorteilhaft für die Verkehrssicherheit und sicher im Datenschutz – steigende Absatzzahlen für die Industrie sind nicht garantiert. Denn wenn das Auto, nachdem es die Kinder in die Schule und die Eltern zur Arbeit gebracht hat, auch noch die Tante zum Arzt fährt, brauchen viele Menschen überhaupt keinen eigenen Pkw mehr. Ein Carsharing ohne Fahrer würde entstehen. Um zwei Drittel ließe sich der Fahrzeugbestand in Städten senken, schätzt Forscher Göhring. Mit allen Folgen, die sich daraus ergeben: sinkende Emissionen, weniger Verkehr, Straßen und Parkplätze, die zu Parks und Wohnungen umgebaut werden können.

Es könnte sein, dass die selbstfahrenden Autos für die Industrie nicht das erhoffte nächste iPhone werden, das steigende Umsätze garantiert. Und dass die Erfindung die Welt letztlich mehr verändert, als es zunächst den Anschein macht.

Mitarbeit: Richard Rother

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen