Die Angst geht um

KRISENKLUB Der VfB Stuttgart, der in dieser Saison alles anders machen wollte, verliert erneut, weil vor allem die Verteidiger überfordert sind. Trainer Zorniger möchte aber nichts am ambitionierten Spielsystem verändern

„Ein Scheiß“: Stuttgarts Torwart Tyton (links), Adam Hlousek und Emiliano Insua Zapata nach dem 1:2 Foto: dpa

Aus STUTTGART Jürgen Löhle

Ein Blick zurück, Sonntag, 16. August 2015. Der VfB Stuttgart verliert zum Auftakt der Bundesliga 1:3 gegen den 1. FC Köln, trotzdem wird nach dem Schlusspfiff die Mannschaft mit warmem Applaus verabschiedet. Tenor des sonst gerne kantig-mürrischen schwäbischen Sitzplatz-Publikums – geil war’s, flott nach vorne, zig Chancen, schöne Kombinationen – und der Rest wird auch noch kommen. So kann man sich täuschen, am Samstag nach dem 1:4 gegen die Frankfurter Eintracht von Stuttgarts Extrainer Armin Veh wurde wieder heftig gepfiffen, nach nur drei Spielen ist der VfB wieder da, wo er nie mehr hinwollte, nämlich ganz hinten. Und das Fußballvolk fragt sich: Wenn man in drei Spielen zehn Tore gegen Mittelklassegegner wie Köln, Hamburg und Frankfurt fängt, was passiert dann gegen München, Leverkusen oder Wolfsburg?

Die Frage darf man stellen, auch wenn Manager Robin Dutt nach dem Spiel betonte, über eine Systemänderung nicht nachdenken zu wollen und von „individualtaktischen Problemen“ sprach. Der neue Trainer Alexander Zorniger war am Ende einfach nur grantig. „Das war scheiße heute“, sagte er. Eigentlich war es mehr – es war eine Vorstellung, die mächtig an dem beschworenen Jetzt-wird-alles-gut rüttelt. Frankfurt kam als Mannschaft, die seit zwölf Spielen nicht mehr gewonnen hatte, und den Hessen reichten ein Eigentor des VfB und ein paar sauber gespielte Konter, um in Stuttgart wieder alle Apparate auf Angst zu stellen. Angst, dass es auch in der vierten Saison nacheinander nur gegen den Abstieg geht. Angst, dass der mutige Schritt, den breit schwäbelnden Bundesligadebütanten Alexander Zorniger als Trainer zu installieren, schon bald in Frage gestellt werden könnte. Die Formkurve geht steil nach unten, nie ist der VfB erfolgloser gestartet.

Gegen Köln war die Leistung taktisch und balltechnisch tatsächlich gut, in Hamburg funktionierte die Offensive, hinten war es da aber schon mit zwei Gegentoren in der Schlussphase wacklig, und gegen die Eintracht lief überhaupt nichts. Vorne versiebte Martin Harnik beste Möglichkeiten, nagelte den Ball sogar einmal aus knapp zwei Metern übers leere Tor. Und in der Abwehr wirkte die Mannschaft trotz der Rückkehr des ivorischen Nationalspielers Serey Die nicht bundesligatauglich.

Vielleicht ist aber auch das System Zornigers zu ambitioniert für ein Team, das seit Jahren attraktiv spielen will, aber stets nur einen 34 Spiele langen Abstiegskampf zustande bringt. Zorniger ist ein Mann des Willens, geboren in Mutlangen auf der Alb, wo die linke Szene, als er ein junger Kerl war, in den 80er Jahren mit viel Druck gegen die Stationierung amerikanischer Nuklearraketen protestierte. Eine raue Zeit damals, und Zorniger ist einer, der sich nicht so schnell aus der Ruhe oder von seinem Weg abbringen lässt. Sein System sieht vor, hoch zu decken, also früh den Ball zu erobern und mit schnellem und präzisem Kurzpassspiel nach vorne zu kommen. Das ist laufintensiv und fordert spielerische Qualität – vielleicht hat er aber dafür einfach nicht die Leute im Kader, zumindest in der Defensive scheint das so zu sein. Ein mieses Spiel wie das gegen die Eintracht ist zwar kein Beweis, aber doch ein Indiz.

Auf jeden Fall ist die Aufbruchstimmung in Stuttgart weg. Noch hat keiner die Frage gestellt, wo eigentlich Huub Stevens gerade Urlaub macht, aber das könnte bald der Fall sein, wenn auch die nächsten Partien in Berlin und zu Hause gegen Schalke verloren werden. Wobei vor allem das Spiel nach der Länderspielpause am 12. September in Berlin Potenzial für eine typische Fußballgeschichte birgt: Die Hertha hat am Sonntag Stuttgarts Stürmer Vedad Ibisevic verpflichtet. Der 31-Jährige verdiente geschätzte drei Millionen Euro pro Jahr – zuletzt nur noch auf der Tribüne und dürfte sich auf die Chance freuen, zeigen zu dürfen, dass er es noch kann. Als Stuttgart Ibisevic vor drei Jahren aus Hoffenheim holte, schoss der ein paar Wochen später gegen seinen Exklub zwei Tore. Es läuft nicht gut für den VfB.