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Gnadenfrist für Glyphosat

Chemie Die EU-Kommission will die Zulassung des umstrittenen Pestizids um sechs Monate verlängern

Noch junges Getreide beim Drogenkonsum Foto: Patrick Pleul/dpa

BERLIN taz | Die EU-Kommission verlängert die Zulassung des Pestizidwirkstoffs Glyphosat bis Ende Juni 2016. Damit verschiebt sie die Entscheidung über eine Neugenehmigung des Pflanzenschutzmittels. Nach Angaben der EU-Kommission brauchen die Prüfer mehr Zeit für die Bewertung des Stoffs, da auch ein Bericht einer Forschergruppe der WHO von Ende Juli dieses Jahres einfließen soll. Die Wissenschaftler hatten das Mittel als wahrscheinlich krebserregend eingestuft.

Glyphosat ist einer der meistgenutzten Pestizidwirkstoffe – und höchst umstritten. In der Landwirtschaft und im Gartenbau wird er auch in Deutschland verwendet. Eigentlich würde die Genehmigung für die Substanz Ende 2015 nach zehn Jahren auslaufen. Der US-Hersteller Mon­santo hatte beantragt, das Pflanzenschutzmittel erneut zuzulassen – doch für eine abermalige Genehmigung müssen zunächst potenzielle Risiken des Stoffs untersucht werden.

Angeheizt hat die Diskussion über den Wirkstoff eine Einschätzung der Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) der Weltgesundheitsorganisation. Sie hat das Unkrautbekämpfungsmittel vor Kurzem als wahrscheinlich krebserregend eingestuft. Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) dagegen war in einem Bericht für die EU zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen als die Forscher der IARC. Es lägen keine Hinweise auf ein Krebsrisiko bei Glyphosat für den Menschen vor, beschied das BfR in dieser Analyse.

Deswegen stehen die deutschen Pestizidprüfer derzeit stark in der Kritik. Die Wissenschaftler des Instituts hatten nach Recherchen der taz unter anderem mehrere Studien nicht berücksichtigt, die das IARC für die Einstufung von Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend bezog. Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung soll das BfR für seine Bewertung außerdem Leserbriefe an eine Fachzeitschrift zurate gezogen haben – die zu einem Großteil von Wissenschaftlern stammen sollen, die für Monsanto arbeiten.

Da der Bericht der IARC nun mit in die Neubewertung einfließen soll, brauchten die ­europäische Lebensmittelbehörde Efsa und die Mitgliedstaaten nun mehr Zeit für die Auswertung, heißt es vonseiten der EU-Kommission. Deswegen wolle die Kommission Vertretern aus den EU-Staaten in der kommenden Woche eine ­Verlängerung der Glyphosat-­Zulassung bis Ende Juni 2016 vorschlagen, teilte eine Spre­cherin der Brüsseler Behörde mit.

Die deutschen Pestizidprüfer vom BfR stehen derzeit stark in der Kritik

Dass die Zulassung von Glyphosat deswegen nun verlängert werden soll, kritisieren Umweltschützer scharf. „Es ist inakzeptabel, dass die EU-Kommission Europas Bevölkerung weiter einer Substanz aussetzen will, die von der WHO als wahrscheinlich krebserzeugend eingestuft wurde“, bemängelte ­Hubert Weiger, der Vorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (Nabu).

Weiger übt auch Kritik an Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CDU), zu dessen Bundesministerium das BfR gehört. Dieser müsse anfangen, die Sorgen der Bevölkerung ernst zu nehmen. „Insgesamt muss sich die Bundesregierung vorwerfen lassen, dass sie dem Schutz der Bevölkerung weniger Bedeutung beimisst als den Profitinteressen von Glyphosat-Herstellern wie Mon­santo“, rügt Weiger.

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