: Hausbesetzung in Beirut
LIBANON Aktivisten der „Ihr stinkt“-Kampagne okkupieren das Umweltministerium. Der Protest bleibt weitgehend friedlich, abends räumen Spezialkräfte das Gebäude
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Keine halbe Stunde ist vergangen, seitdem dutzende Anti-Müll-Aktivisten in das Umweltministerium in Beirut eingedrungen sind – und schon blockieren Polizisten die Eingänge. Der Befehl: Keine weiteren Zivilisten sollen das Gebäude betreten.
Ein junger Mann steht vor dem Ministerium und tritt nervös von einem Fuß auf den anderen. Der 25-jährige Filmstudent Khalil ist zu spät gekommen, und nun sind die Chancen gering, dass er es noch zu den anderen Aktivisten nach drinnen schafft. Als die Polizisten einen Mann anhalten, schultert Khalil seinen Rucksack und sprintet los. Ein paar Sicherheitskräfte setzen ihm nach, erwischen ihn aber nicht.
Ein paar Stunden später haben sich Tausend Libanesen vor den Eingängen des Ministeriums versammelt, die mittlerweile von Bereitschaftspolizisten mit Schutzschildern verstellt werden. Die Menge ruft: „Los, los, los, Mashnouk, du musst raus!“ Mohammad Mashnouk ist der libanesische Umweltminister, den die Demonstranten für die Müllkrise in Beirut verantwortlich machen. Nach der Schließung der größten Mülldeponie des Landes türmen sich seit über einem Monat die Abfallberge in vielen Vierteln und auf provisorisch eingerichteten Ablageplätzen.
Als die Aktivisten im Ministerium berichten, dass sich Mashnouk in einem Büro verbarrikadiert hat, schwellen die Sprechchöre an. In den Stunden danach gleicht der Protest einem ausgelassenen Volksfest. Es wird getanzt, gesungen und Eis geschleckt. Ein geschäftstüchtiger Verkäufer hat sein Eismobil direkt vor dem Ministerium geparkt. Männer schenken türkischen Kaffee in großen Kannen aus. Jungen verkaufen Wasser an die durstigen Demonstranten, die ab und zu volle Flaschen über die Sicherheitskräfte hinweg in den Innenhof des Ministeriums werfen, um die Besetzer zu versorgen.
Der „Ihr stinkt“-Kampagne ist die Ausstrahlung einer friedlichen Bewegung wichtig, um ihre Forderungen geltend zu machen. Neben dem Rücktritt Mashnouks verlangen sie eine Untersuchung der unverhältnismäßigen Polizeigewalt während der vorangegangenen Proteste sowie eine Neuwahl des Parlaments. Sicherlich bestehen die Aktivisten auch weiterhin auf eine Lösung in Sachen Müll, doch in erster Linie geht es ihnen nun darum, ihre korrupten Politbosse für die Probleme im Land zur Verantwortung zu ziehen.
Die Ineffizienz der Regierung sehen sie in dem konfessionell ausgerichteten Parteiensystem verankert. Das von der Hisbollah-Miliz geführte Lager und die größtenteils sunnitische Opposition blockieren seit Längerem die politische Entscheidungsfindung im Parlament. Seit über 18 Monate konnte man sich nicht auf einen neuen Präsidenten einigen; auch die Regierungsarbeit stagniert. Mit der Eskalation der Proteste will die „Ihr stinkt“-Kampagne nun den Druck auf die Politiker erhöhen, ihren Pflichten nachzukommen.
Vor dem Umweltministerium kommt es am Abend zu kleineren Ausschreitungen gegen die Bereitschaftspolizei, die versucht, den Platz vor dem Gebäude zu räumen. Vermummte werfen Böller, die teilweise in der Menge explodieren, was kurze Massenpaniken auslöst. Währenddessen wird das Ministerium von einem Sondereinsatzkommando geräumt. Die anwesenden Aktivisten berichten später auf Facebook, dass sie dabei auch geschlagen worden seien. Um Mitternacht ist der Platz fast leer. Nur ein paar junge Männer sind noch unterwegs und sammeln auf, was den Protest einst auslöste: Müll.
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