: Ohne ausreichenden Anlass ausspioniert
Polizeispitzel (2) Im Jahr 2010 durchleuchtet ein verdeckter Ermittler unter dem Namen Simon Brenner die linke Szene Heidelbergs und legt Dossiers über sie an. Das Verwaltungsgericht in Karlsruhe zweifelt die Rechtmäßigkeit des Einsatzes an. Die sieben Betroffenen könnten nun auf Schadenersatz klagen
Das Landespolizeigesetz ermöglicht den präventiven Einsatz verdeckter Ermittler gegen „Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass sie künftig Straftaten begehen“. Im Fall Brenner seien diese Anhaltspunkte nicht ausreichend gewesen, erklärten nun die Richterinnen und Richter.
Brenners Ziel war die Antifaschistische Initiative Heidelberg und die Anarchistische Initiative Kraichgau-Odenwald. Der Grund für die Gefahrenlage seien sieben „gebrauchsfertige Molotowcocktails“ gewesen, die bei einem Mitglied der Anarchistische Initiative Kraichgau-Odenwald gefunden wurden. Hieraus folgerte Heidelbergs Polizeichef Bernd Fuchs, dass der Einsatz eines verdeckten Ermittlers nötig sei, um „gegen sich bildende terroristische Vereinigungen rechtzeitig einzuschreiten“.
Aber nicht der Besitzer der Molotowcocktails wurde zur Zielperson des Einsatzes, sondern Michael Dandl aus dem 20 Kilometer entfernten Heidelberg. Die einzige Verbindung zwischen Dandl und dem Besitzer der Brandsätze ist, dass beiden sich auf einer Demonstration einmal unterhalten hätten. Diese Verbindung hätte die Polizei besser begründen müssen, sagt Richterin Mayer. Und weil große Teile der Akten des Einsatzes geschwärzt sind, sei es schwer die Argumentationen nachzuvollziehen, so Mayer weiter. Der Grund: Das SPD-geführte Innenministerium ließ die Akten sperren.
Auch die weiteren Begründungen des Einsatzes waren dem Gericht zu allgemein gehalten. So listet die Einsatzanordnung Demonstrationen auf, an denen Dandl teilnahm, und beschreibt ihn als „Führungsperson der Antifa Heidelberg“.
Aber auch der tatsächliche Einsatz von Simon Brenner und die Anordnung klaffen deutlich auseinander. Die Zielperson und die Antifa Heidelberg lernte Simon Brenner nie wirklich kennen. Stattdessen engagierte er sich im Bildungsstreikbündnis, beim Sozialistischen Demokratischen Studentenbund und in der Anti-Atom-Bewegung. Hier schloss er Freundschaften und verschaffte sich so Zutritt zu den Wohnungen politisch engagierter Studierender.
Bei seiner Enttarnung im Dezember 2010 habe Simon Brenner erzählt, dass er „Dossiers über Personen anlegte und alle zwei Wochen dem Landeskriminalamt Bericht erstattete“, sagt Nicola G. Sie war mit Simon Brenner befreundet, organisierte mit ihm Protestaktionen und ist eine der Klägerinnen. Das Gericht gehe davon aus, dass Daten von Personen erhoben wurden, die nicht in der Einsatzanordnung genannt werden, sagt Richterin Mayer. Daher seien die Klagen zulässig und der Einsatz Simon Brenners unrechtmäßig.
Simon Brenner selbst kann zu alledem nichts sagen. Das Gericht hatte davon abgesehen, ihn als Zeugen zu laden, weil auch ohne seine Aussage genügend Beweise vorlägen, um den Klagen stattzugeben. Brenner könnte zum Beispiel erzählen, wann sein Einsatz tatsächlich begann. Denn obwohl die offizielle Einsatzanordnung erst im Februar 2010 erfolgte, tauchte er bereits im November 2009 in Heidelberg auf und unterhielt sich mit einem Aktivisten ausführlich über die linke Szene. Das war nur zehn Tage nach dem Fund der Molotowcocktails – dem offiziellen Grund für den Einsatz. Die Klägerinnen und Kläger vermuten, dass die sieben Molotowcocktails nur ein vorgeschobener Grund seien und das eigentliche Ziel des Einsatzes ein breites linkes Spektrum gewesen sei.
Nina Bust-Bartels
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen