piwik no script img

„Man kannte Terrorpläne“

Diskussion Linke Szene sollte ihren Umgang mit NSU-Skandal aufarbeiten, sagt FSK-Moderatorin

Caro Keller

30,moderiert „Ein Prozess – ein Land – keine Gesellschaft – viel NSU“ beim Freien Sender Kombinat (FSK).

taz: Frau Keller, hat die linke Szene es versäumt, sich ausreichend mit dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zu beschäftigen?

Caro Keller: Ja. Ich hätte erwartet, dass das Interesse nicht so schnell verfliegt. Wenn man davon ausgeht, dass sich eine radikale antifaschistische Linke Neonazis entgegenstellen will, dann ist das beim Thema NSU falsch gelaufen. Man hat die Betroffenen nicht gehört. Die Versäumnisse liegen nicht nach 2011, sondern schon vorher, als der NSU noch im Untergrund war.

Was wurde denn damals versäumt?

Man kannte die Terrorpläne von Neonazis in den 1990er-Jahren, aber die eigene Analyse wurde nicht ernst genommen. Wenn es irgendwo einen Anschlag, Übergriff oder Mord gibt, bei dem die Möglichkeit besteht, dass es sich um einen rassistischen oder antisemitischen Hintergrund handeln könnte, sollte immer genau hingesehen werden. Aufklärung muss die radikale linke Szene solange einfordern, bis sie auch wirklich geleistet wird.

Welche Probleme gibt es bei der Aufarbeitung?

Momentan fehlt die Ruhe für eine umfassende Aufarbeitung des NSU-Komplexes, weil man sich mit den aktuellen Anschlägen auf Unterkünfte für Geflüchtete und einer stärker werdenden Neonazi-Szene beschäftigen muss. Aus dem NSU-Skandal kann man aber viele Lehren für die Betrachtung der heutigen Vorfälle ziehen. Deshalb muss man beide Themenkomplexe zusammen behandeln. Es geht schließlich nicht nur darum, den Komplex aufzuarbeiten, sondern zu diskutieren, wie man zukünftig reagieren kann.

Und wie sollte in Zukunft vorgegangen und reagiert werden?

Man muss die Neonazis und den gesamtgesellschaftlichen Rassismus im Blick haben. Man muss die Neonazis ernst nehmen und ihnen entschieden entgegentreten. Man muss Aufklärung leisten und mit den Betroffenen von rassistischer und antisemitischer Gewalt sprechen und mit ihnen zusammenarbeiten. Es darf nicht noch einmal passieren, dass die Opfer von rechtsextremen Morden sprechen und niemand ihnen zuhört.

Interview: Larissa Robitzsch

Diskussionsveranstaltung der Gruppe für den organisierten Widerspruch und der Gruppe gegen Kapital und Nation Hamburg „Antinationaler Klönschnack – Die Linke und der NSU“: 20 Uhr, Kollektives Zentrum, Norderstraße 65

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen