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Schwarzmarkt für die Freiheit

Ein Syrer will seine Frau und Kinder aus dem Kriegs­gebiet nach Thüringen bringen. Doch die Bürokratie in den Botschaften macht es schwer. Termine gibt es fast nur auf illegalem Weg – ein blühendes Geschäft für dubiose Händler

Von Julia Nikschick und Marc Röhlig

Amira Schamis* Weg in die Freiheit beginnt hinter Gittern. Die 28-jährige Syrerin steht an einem Freitagmorgen, inmitten einer Menschentraube, vor der deutschen Botschaft in Beirut. Dicke Metallstreben umgeben den taubengrauen Zweckbau, Zäune leiten die Wartenden zu verschiedenen Eingängen. Auf einem Arm hält Amira ihre sieben Monate alte Tochter, auf dem anderen einen dicken Stapel Ausweise und Dokumente. Die Syrerin ist am Vortag aus ihrem Heimatland geflohen. Im Morgengrauen brachte sie ein Auto über die Grenze. Nun steht sie in der Schlange für Visumanträge und hofft. „Nur mit gültigem Termin“, steht auf Arabisch über dem Eingang. Doch ob Amira wirklich einen Termin hat, weiß sie nicht.

Vier Monate vorher, ein Flüchtlingsheim im thüringischen Gera. Das Zimmer hat Platz für ein Bett, davor ein Tischchen und eine Kochecke. Amiras Mann Abdel sitzt über einem Teller Hühnchen und tunkt mit einem Brötchen Soße auf. Vor wenigen Wochen ist er als Flüchtling anerkannt worden. Nun muss er noch seine Familie retten.

Nach deutschem Recht dürfen anerkannte Flüchtlinge ihre Familie nachholen. Doch für viele SyrerInnen ist das ein Pro­blem. Die Botschaft in Damaskus schloss Anfang 2012. Den Angehörigen von anerkannten Flüchtlingen bleibt nur der Weg zu den deutschen Botschaften in der Türkei und im Libanon. Doch dort stoßen sie auf bürokratische Hürden: Auf legalem Wege müssen viele teils jahrelang warten, um einen Termin in einer Botschaft zu erhalten. Tatsächlich aber haben die Fami­lienangehörigen nur drei Monate Zeit, sich für den Nachzug nach Deutschland zu melden.

Auf Jahre ausgebucht

Über mehrere Wochen scheiterte Abdel mit Anfragen bei der deutschen Botschaft in Beirut. Die Botschaft verlangte zu dem Zeitpunkt eine Anmeldung über ein Onlineformular. Doch die waren auf Jahre hinaus ausgebucht. Auch auf E-Mails habe niemand reagiert. In ihrer Verzweiflung wandte sich Abdels Frau an ein Reisebüro in Damaskus. Dort hieß es, für Anfang Juli könne man einen Termin in Beirut beschaffen. Kostenpunkt: 200 Euro Anzahlung plus weitere 140 Euro für die endgültige Buchung.

Abdel selbst war 2014 aus Syrien in den Libanon geflohen, dann ließ er sich von Schleppern in die Türkei und weiter nach Griechenland bringen. „Übers Meer gehen“ nennt er die lebensgefährliche Flucht. Seine Frau Amira hat er seit Monaten nicht gesehen, seine Tochter kennt er nur von Handyfotos. Die Familie hatte beschlossen, dass es für die damals schwangere Frau zu gefährlich ist, „übers Meer zu gehen“. „Auf keinen Fall dürfen sie durchmachen, was ich erleben musste“, sagt Abdel. Er beauftragte das Reisebüro mit der Beschaffung eines Botschaftstermins.

Solche Terminbuchungen sind im Nahen Osten kein Einzelfall. Fast jeder Flüchtling, der eine Familienzusammenführung beantragen will, erzählt von der Unmöglichkeit, legal bei den deutschen Di­plomaten in der Türkei und im Libanon vorzusprechen. Zwischen 100 und 400 Euro koste auf dem Schwarzmarkt ein Termin, ein Flüchtling nennt gar eine Summe von 900 Euro. Die Kontakte der Agenturen, so sagen es Syrer, würden in die Botschaften reichen.

In Ankara und Beirut werden Syrer unterschiedlich behandelt. In der Türkei hat die Botschaft die Terminvergabe an einen externen Telefondienst ausgelagert und mussten sich Syrer im Libanon bislang über das Onlinesystem bewerben. Agenturen versprechen auf dem Schwarzmarkt sowohl beim türkischen Telefonanbieter wie auch beim libanesischen Internetportal schnelle Termine – selbst dann, wenn die offiziellen Stellen ausgebucht sind.

Bereits Ende 2013 wurde das Auswärtige Amt über den Missbrauch bei der Terminvergabe informiert. Techniker der Beiruter Botschaft integrierten daraufhin im Januar 2014 eine Sicherheitsabfrage in ihr Onlineportal. Sie soll unterscheiden, ob ein Mensch oder ein Programm auf das System zugreift, um zu verhindern, dass ein System gehackt wird. Im Mai dieses Jahres, rund anderthalb Jahre später, besserte das Auswärtige Amt noch einmal nach. Nun können sich Flüchtlinge zusätzlich auch direkt per Mail an die Botschaft wenden, um die Buchungsmaske zu umgehen.

Doch der Schwarzmarkt ist nach wie vor lebendig. Knapp hundert Meter vor der Botschaft in Beirut bietet ein Geschäft Hilfe bei Visumformularen und Passfotos an. Auch die Terminbuchungen gebe es. „Wir haben da so eine Art gentle agreement mit der Botschaft“, versichert der Ladenbesitzer in unbeholfenem Englisch, er meint eine stille Übereinkunft. Mitarbeiter der Botschaft kämen vorbei und hielten ihn über Änderungen der Antragsregeln auf dem Laufenden – er dürfe dafür die Anmeldung übernehmen.

Per Software geblockt

Händler haben zwei Möglichkeiten, die begehrten Termine zu bekommen. Im Libanon können sie in dem System freie Termine mit einer Software automatisch belegen. Die Termine verkaufen sie dann an ihre Kunden. Eine zweite Möglichkeit wäre – und sie könnte vor allem für Flüchtlinge in der Türkei zum Tragen kommen –, dass die Terminhändler mit Angestellten in den Botschaften direkt zusammenarbeiten. Der Händler im Beiruter Fotogeschäft gibt zu, dass sein Geschäft in den letzten Monaten schwieriger geworden sei – allerdings nicht, weil er nicht mehr an die Onlinetermine herankomme, sondern nur, weil immer mehr Syrer fliehen wollen. „Die beste Zeit, Termine im Internet einzutragen, ist kurz nach Mitternacht“, sagt er. Für welche Summe er die gekaperten Termine dann weiterverkauft, will er nicht sagen.

Andere Terminhändler sind ungezwungener. Im modernen Stadtkern von Beirut, zwischen Boutiquen und Cafés, versichert die Mitarbeiterin eines Reisebüros, dass sie für 200 US-Dollar einen Termin binnen drei Monaten beschaffen könne. Wie sie das anstelle? „Na, ich rufe einfach in der Botschaft an.“

Viele Terminbeschaffer bewerben ihre Dienste auf Facebook und suggerieren legale Kontakte in die Botschaften. In ihren Profilen wehen Deutschlandfahnen, syrische Mobilfunknummern stehen daneben. Hinter den Nummern verbergen sich Kontaktmänner in Syrien, dem Libanon, aber auch in der Türkei und sogar in Deutschland. Das Netzwerk verläuft entlang der Knotenpunkte der Fluchtrouten. Ein Terminhändler gibt an, für die deutschen Vertretungen in der Türkei zu arbeiten – und mit ihnen zu teilen. Am Telefon erklingt eine hohle Stimme im syrischen Dialekt. „Wenn du einen Termin willst, brauchst du eine Kopie deines Passes und 100 türkische Lira (35 Euro).“ – „Das ist der Preis, den das [deutsche] Konsulat verlangt?“ – „Nein, die wollen weniger. Aber ich will ja auch meinen Anteil. […] Ich nehme 40 türkische Lira und das Konsulat bekommt 60.“ Welches Konsulat er meint – es gibt je eine Vertretung in Istanbul, Izmir und Antalya –, verrät der Terminhändler nicht.

„Kein Fall bekannt“

Wir haben da so eine Art ‚gentle agreement‘ mit der BotschaftEin libanesischer Terminhändler

Das Auswärtige Amt streitet ab, dass es solche Formen des Termingeschäfts gibt. Es sei bislang kein Fall bekannt, in dem ein Botschaftsmitarbeiter mit solchen Agenturen zusammengearbeitet habe, heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Die Botschaften und das Ministerium würden „jedem geäußerten Verdacht auf Unregelmäßigkeiten nachgehen“ – sofern „überprüfbare Anhaltspunkte mitgeteilt werden.“ Es ist eine Standardantwort.

Wie die Termine für die Agenturen zugänglich sind, kann sich das Auswärtige Amt nicht erklären. Nur aus Berlin entsandte Mitarbeiter, also keine der sogenannten Ortskräfte, hätten Zugang zum internen Terminvergabesystem. Und das sei sicher: Die Kontrollmaßnahmen würden „kontinuierlich überwacht und verbessert“.

Die Botschaften und Konsulate in Beirut und der Türkei sind seit der Schließung der Botschaft in Damaskus einem regelrechten Ansturm von Visumgesuchen ausgesetzt. Im Vergleich zu 2012 habe sich die Zahl der Anträge auf Familiennachzug in der Türkei fast verdoppelt, im Libanon gar verfünffacht.

Doch auch die Aufstockung des Botschaftspersonals, Schicht­betrieb und Wochenenddienste helfen den Botschaften nicht, der Nachfrage gerecht zu werden. Mit eineinhalb Stunden Verspätung wird Amira in die Sicherheitsschleuse gewinkt, vorbei an anderen, die bereits seit drei Stunden warten. „Kein Problem,“ versichert eine Mitreisende Amira, sie habe Verständnis dafür, dass eine Frau mit Kleinkind bevorzugt werde. „Aber wieso verteilt man Termine, wenn man dennoch stundenlang warten muss?“, fragt sie. „Das ist respektlos.“

Die Sonne steht im Zenit, als Amira nach einigen Stunden die Botschaft wieder verlässt. Erschöpft und sehnsüchtig bli­cken ihr jene nach, die noch immer darauf warten, vorgelassen zu werden. Ihr Visum sei jetzt beantragt und die ­B­otschaft werde sie anrufen, sobald es ­be­willigt ist. Eine Sicherheitsüberprüfung steht an. In der ­Regel braucht die Botschaft dafür zehn bis zwölf Tage. Amira hat im Libanon eine Aufent­halts­erlaubnis für sechs Tage. „Alles wird gut“, sagt sie, als sie ihren Mann in Deutschland anruft.

*Namen aller Flüchtlinge ­geän­dert

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