Ein Erdrutschsieg für die Lady?

Historische WahlDie Birmesen können im November erstmals seit 25 Jahren selbst über die Machtverteilung zwischen dem Militär und der von Aung San Suu Kyi geführten Demokratiebewegung entscheiden – und damit über Umfang und Tempo des Transformationsprozesses

Aung San Suu Kyi bei einer Rede Mitte Mai im süd­birmesischen Staat Mon Foto: Soe Zeya Tun/reuters

Von Htet Htet Khine

Wenn die Birmesen am 8. November ein neues Parlament wählen, ist es die erste landesweite Wahl seit 1990, bei der die Nationale Liga für Demokratie (NLD) der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi ungehindert antreten darf und auch antritt. Dieser Wahl kommt also eine historische Bedeutung zu, obwohl die von den Militärs geschriebene Verfassung die Lady, wie die Oppositionsführerin ehrfurchtsvoll genannt wird, von der Präsidentschaft ausschließt.

Die NLD hatte 1990 haushoch gewonnen, doch das seit 1962 regierende Militär gab die Macht nicht ab. NLD-Mitglieder wurden verfolgt. Aung San Suu Kyi wurde für rund 15 Jahre unter Hausarrest gestellt.

Im Jahr 2010, bei den ersten Wahlen nach 1990, stand die Lady noch unter Hausarrest, die NLD rief zum Boykott auf. Bei den ersten demokratischen Nachwahlen 2012 gewann die NLD 42 von 44 Sitzen, die Oppositionsführerin zog ins Parlament ein.

Jetzt treten mindestens 75 Parteien an. Die NLD will für jeden Wahlkreis Kandidaten aufstellen und hofft auf einen Erd­rutsch­sieg. „Es ist an der Zeit für einen demokratischen Wandel, das Land muss sich entwickeln“, sagte NLD-Sprecher Nyan Win, der Zeitung People’s Age.

Myanmars Wahlsystem ist eine Mischung aus parlamentarischem und Präsidialsystem. 75 Prozent der Abgeordneten werden von der Bevölkerung gewählt. 25 Prozent der Mandate sind für das Militär und werden vom Armeechef besetzt

Die Abgeordneten nominieren drei Personen für die Regierungsspitze: Das Oberhaus bestimmt einen Kandidaten, das Unterhaus den zweiten und das Militär den dritten. Dann wählen alle Delegierten des Ober- und Unterhauses sowie des Militärs aus diesen drei Personen den Präsidenten und seine zwei Stellvertreter. Der Präsident bildet dann die Regierung.

„Erzielt die NLD 51 Prozent der Stimmen sowohl im Ober- wie Unterhaus, kann sie zwei Kandidaten für das Präsidentenamt aufstellen. Das ist sehr wichtig für die NLD“, sagt Kyaw Linn Oo, ein politischer Kommen­tator. Dafür muss sich die NLD mit den politischen Parteien der ethnischen Minderheiten einigen, in welchen Wahlkreisen die NLD nicht antritt, damit die Opposition nicht gespalten wird. 1990 hatte die Opposition einen Erd­rutschsieg erzielt. Jetzt dürfte es für sie in Regionen schwierig werden, wo viele Regierungsangestellte und Militärs leben.

Das Unterhaus hat 330 Abgeordnete, das Oberhaus 168. In beiden stellt das Militär je 25 Prozent, insgesamt 166 Abgeordnete. Jeder Wahlkreis schickt eine Person ins Unterhaus. Das Oberhaus hat je 12 Delegierte pro Unionsstaat und -region.

„Ich glaube nicht, dass die NLD wieder so haushoch wie bei den Wahlen 1990 und den Nachwahlen 2012 gewinnen kann, weil die Partei diesmal nicht mehr mit einer klaren politischen Botschaft ins Rennen geht. Aung San Suu Kyi wird nicht Präsidentin werden, weil die Verfassung es nicht erlaubt“, sagt Aung Ko Myint, der sich im Vorstand der Nationalen Blindenvereinigung engagiert. „Ein großes Problem wird für die NLD sein, die richtigen Kandidaten für die Staatsspitze zu benennen.“

Im Jahr 2010 hatte die nationale Wahlkommission dafür gesorgt, dass die Solidaritäts- und Entwicklungspartei der Union (USDP) deutlich gewann. In der USDP sind vor allem frühere hochrangige Offiziere vertreten. Kürzlich hat die NLD viele Unregelmäßigkeiten auf den von der Wahlkommission vorbereiteten Dokumenten entdeckt. So stehen zahlreiche Verstorbene auf den Wählerlisten, während viele Birmesen ihren Namen dort nicht finden können, obwohl sie gültige Ausweise haben. Die Wahlkommission hat wiederholt versprochen, sie werde für freie und faire Wahlen sorgen.

Obwohl die Verfassung Aung San Suu Kyi wegen der ausländischen Staatsbürgerschaft ihrer Söhne vom obersten Posten im Staat ausschließt, hofft sie auf einen deutlichen Sieg: „Auch wenn ich nicht Präsidentin werden kann“, erklärte sie kürzlich in der Hauptstadt Naypyidaw, „kann ich eine gute Regierung bilden, wenn die Menschen mir ihre Stimme geben.“