: Wolken ziehen vorüber
Ausstellungen Das belgische Mons, Kulturhauptstadt Europas in diesem Jahr, startet mit weiteren Schauen durch – den heimlichen Höhepunkt findet man dabei im Dunst
aus Mons Ronald Berg
Zur Halbzeit der diesjährigen Kulturhauptstadt Europas gibt es drei neue Ausstellungen in Mons. Die rund hunderttausend Einwohner zählende Stadt in der Borinage, der ehemaligen Steinkohlegegend in der belgischen Wallonie, startet noch einmal durch. Nachdem gleich zu Anfang des Jahres mit einer Van-Gogh-Ausstellung im örtlichen Museum die größte Rakete abgebrannt worden war, kommt nun noch einmal eine neue Staffel von Ausstellungen.
Mons hatte sich für diesen Titel auch beworben, weil es sich davon etwas für den Strukturwandel der Stadt versprach. Statt Kohle will Mons auf neue Technologien und die Kreativwirtschaft setzen. Google hat hier bereits seine Europazentrale. Microsoft unterstützt die Entwicklung eines neuen Business-Viertels für die Ansiedlung junger Start-ups gleich hinter dem neu eröffneten Kongress-Centers von Stararchitekt Daniel Libeskind.
Zur Nachhaltigkeit des Kulturjahrs gehörte auch die Wiedereröffnung des Mundaneums im Juni in einem umgebauten Jugendstilkaufhaus. Das Mundaneum sollte der Idee nach ein Archiv des gesamten Weltwissens werden. Von den beiden Rechtanwälten Paul Otlet und Henri La Fontaine 1895 als Office International de Bibliografie in Brüssel gegründet, zog das „Google auf Papier“, wie man es inzwischen genannt hat, 1993 nach Mons. Das Archiv wurde nach der universellen Dezimalklassifikation organisiert, was Schule machen sollte. Heute beherbergt das Archiv rund sechs Kilometer Material auf Papier. Es gibt ein internationales Zeitungsarchiv und, gemäß der Überzeugung der Gründer von der Wirkung des Wissens, Sammlungen zum Anarchismus und Pazifismus. Die Dokumentensammlung ist zum großen Teil unterirdisch in den Hof des Kaufhauses gebaut worden, während die ehemaligen Verkaufsräume um einen früher offenen Lichthof nun als Ausstellungsfläche dienen. In einer neu eröffneten Schau geht es hier um „Mapping Knowledge“, also um die Visualisierung von Wissen. Im Prinzip eine uralte Angelegenheit – das fängt bei Landkarten an, auf denen Seewege und Verkehrsströme verzeichnet wurden, und reicht über Kurvendiagramme und Baumschemata bis zu komplexen Software-Lösungen. Das Mundaneum ist eine prima Sache, geht es doch hier um Organisation von Wissen, heute der wichtigere Rohstoff als die Kohle, von der die Borinage einst lebte.
Auch die aktuelle Ausstellung mit Gegenwartskunst – halb auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne, halb in einer ehemaligen Schule– hat etwas mit Mons’Neuaufstellung als IT-City zu tun. Die Gebäude sollen nach Ablauf der Ausstellung als eine Art Pflanzgarten für junge Start-ups fungieren. Derzeit läuft hier „Atopolis“, eine Kunstausstellung über Orte und Nicht-Orte. Eine gute Idee, wenn man bedenkt, wie sehr das Oszillieren zwischen realen und virtuellen Orten unseren Alltag bestimmt.
Doch verortet die Ausstellung das Thema eher in den Koordinaten des politisch Korrekten und modisch Angesagten im Sinne von Migration und Identität. Anknüpfungspunkte finden sich in Mons selbst, das zur Steinkohlezeit ja so etwas wie ein Magnet für Arbeitsimmigranten war. Die Schau wirkt dennoch bemüht, Themenfelder zu bebildern und den regionalen (Klein‑)Künstlern wie den großen Kunstzirkus zu einem heute üblichen Quark anzurühren, bei der im Katalog alles passend erklärt wird, was man den Werken bei besten Willen nicht ansehen kann.
Der Atem als Werk
Der bekannte Aktions- und Videokünstler Francis Alÿs liefert mit seiner großformatigen Installation Propaganda für eine Brücke zwischen Europa und Afrika, die er mit Kindern auf beiden Seiten der Straße von Gibraltar inszeniert hat. Gut gemeint, aber ebenso einseitig wie die nationalistische Gesinnung, die er damit kritisieren will. Fast schon eine Parodie auf die plurale Identität ist Thomas Hirschhorns Installation, in der er den Besucher über den kreolischen Autor und heimlichen Chefideologen der Schau, Édouard Glissant, lesen und forschen lassen will. Die durchmischte Identität einer besseren Gesellschaft wirkt hier zwischen Sperrmüllmöbeln wie die Hölle auf Erden.
Versöhnen kann dann nur noch eine Fahrt ins 13 Kilometer entfernte Örtchen Le Rœulx. Der Prince de Croÿ-Rœulx hat anlässlich des Kulturjahres in Mons sein Privatanwesen mit Schloss und Park für eine Kunstausstellung zur Verfügung gestellt. Das heißt, das große Barockschloss ist tabu. Aber in den alten Stallungen und herrlichen jahrhundertealten Gartenanlagen hat die französische Kuratorin Michèle Moutashar rund zwanzig Künstler zum Thema „Wolken“ versammelt. Ort und Ausstellung entpuppen sich als heimlicher Höhepunkt des Kulturjahres, obwohl oder weil es um ein so sonderbares wie alltägliches Phänomen wie Wolken geht. Gerade aus der Tatsache, dass Wolken uns stets begleiten, aber nie greifbar sind, schlägt die Ausstellung poetisches Kapital. Vor allem deshalb, weil Wolken sich nicht vereinnahmen lassen für aktuelle Zwecke und Ziele.
Leitfaden der Schau war eine Fantasie von Hans Arp, wonach der Künstler die Wolken vom Himmel holen kann und sie sich dann in Steine verwandeln. Und so finden sich in der sensiblen Komposition der Schau sowohl handfeste Skulpturen aus Stein, Metall oder Alabaster wie eine echte im Garten dahinschwebende Wolke aus feinsten Wassertröpfchen. Wolken sind im Grunde überall, wo man sie sehen will, wenn man poetisch sensibilisiert ist, im mikroskopisch Kleinen wie bei den durchlöcherten, chinesischen Meditationssteinen, die im Garten des Prinzen stehen. Die große Qualität der Schau ist es, dass sie es schafft, diese andere Wahrnehmung zu erzeugen, gemäß dem Motto: „Jeder Atem ist ein Werk, das nirgendwo eingeschrieben ist.“ Der Satz findet sich auf einem Spiegel in der Ausstellung und wird nur dann sichtbar, wenn man ihn anhaucht.
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