: Schlupfloch Bayern
Einreisen Weil Behörden überlastet sind, werden eingereiste Flüchtlinge teilweise nicht erfasst. Gleichzeitig sollen Strafverfolger bei Bedarf Zugriff auf alle Daten erhalten
aus Berlin Josephine Schulz und Konrad Litschko
Sie kommen in Nachtzügen über die österreichische Grenze, in Kleintransportern, manche zu Fuß. Hunderte Flüchtlinge erreichen derzeit jeden Tag Passau, am vergangenen Mittwoch waren es erstmals mehr als 1.000. Die bayrische Uni-Stadt ist dabei Endpunkt gleich zweier Flüchtlingsstrecken – der „mediterranen“ aus Italien und der „Balkan-Route“ aus der Türkei.
Bundespolizeipräsident Dieter Romann sprach am Montag von einem „ungebrochenen“ Anstieg der Einreisen. So hätten seine Beamten im vergangenen Jahr 57.000 Fälle „unerlaubter“ Einreisen festgestellt – der Höchstwert seit der Wiedervereinigung und 75 Prozent mehr als im Vorjahr. Der nächste Rekord steht schon: In diesem Jahr waren es bereits 63.000 Einreisen.
Ein Viertel der aktuellen Fälle wurden in der für Passau zuständigen Inspektion Freyung festgestellt. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnte am Wochenende vor einem Kollaps. Die Bundespolizei sei in der Region extrem überlastet, nur noch mit der Registrierung von Flüchtlinge beschäftigt, kämpfe dazu noch mit veralteter Computertechnik. Die Folge, so GdP-Vize Jörg Radek: Seit Jahresbeginn seien rund 45.000 Flüchtlinge nicht mehr erkennungsdienstlich behandelt worden.
Das aber sieht das Asylrecht vor. In Deutschland ankommende Flüchtlinge müssen mit Fotos und Fingerabdrücken registriert werden. Dann wird geprüft, ob sie bereits in anderen Ländern gemeldet sind und dort ihren Asylantrag stellen müssen.
Stattdessen, glaubt man der GdP, sei zuletzt oftmals nur noch ein Computercheck erfolgt, ob etwas zu den Namen vorliege. Dann seien die Flüchtlinge direkt zu Erstaufnahmestellen geschickt worden. Für GdP-Mann Radek entsteht damit auch ein Sicherheitsproblem: könnten so doch auch IS-Kämpfer unerkannt einreisen.
Bundespolizei-Präsident Romann widersprach am Montag. Weder gebe es ein „Sicherheitsdefizit“, noch stimme die hohe Zahl. Wohl aber, räumte er ein, gebe es Einzelfälle, in denen wegen Überlastung keine oder nicht alle Fingerabdrücke genommen würden.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verwies auf die 350 neuen Stellen bei der Bundespolizei, die im kommenden Haushalt eingeplant seien – der erste Zuwachs seit Jahren.
Eric Töpfer, DIM
Gleichzeitig wachsen die Befugnisse der Polizei in Bezug auf die gesammelten Flüchtlingsdaten. Ab Montag gilt in Deutschland die neue Eurodac-Verordnung. In dieser europäischen Datenbank werden Fingerabdrücke und andere personenbezogene Daten von Flüchtlingen zentral gespeichert. Ziel war bisher die Umsetzung des Dublin-Abkommens. Zukünftig steht die Datenbank auch Polizeibehörden für den Abgleich von Fingerabdrücken offen. Zur Terrorabwehr und zur Bekämpfung schwerer Kriminalität, lautet die Begründung.
Eric Töpfer vom Deutschen Institut für Menschenrechte sieht darin einen schweren Verstoß. „Das führt zu einer Stigmatisierung und dem Eindruck, Flüchtlinge wären allesamt potenzielle Verbrecher“, sagte Töpfer am Montag.
Damit Sicherheitsbehörden die zentrale Flüchtlingsdatenbank nur in Einzelfällen und nur bei Gefahr für die öffentliche Sicherheit nutzen, sollen die Anfragen der Ermittler laut Verordnung objektiv, das heißt von unabhängigen Kontrollinstanzen, geprüft werden. Diese Kontrollinstanzen können die Behörden allerdings im eigenen Haus einrichten. Heißt: BKA und Interpol wachen selbst über die Benutzung der Flüchtlingsdatenbank. „Eine unabhängige Prüfung sieht anders aus“, so Töpfer. Er befürchtet, dass unter dem Deckmantel der Bekämpfung von Schleusern und Terroristen ein systematischer Abgleich mit Flüchtlingsdaten zur Regel wird.
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