: Jahrmarkt der Eitelkeiten
Kommentar
von Susanne Memarnia
Flüchtlinge erhalten Gesundheitskarte
Keine Frage: Dass Flüchtlinge in Berlin in naher Zukunft eine Gesundheitskarte bekommen sollen, ist eine gute Nachricht. Schon lange ist offenkundig, dass das bisherige System bürokratisch ist, teuer – und die Leute eher krank als gesund macht. Dennoch bleibt die Freude getrübt – vor allem, weil die Umstände, unter denen CDU-Sozialsenator Mario Czaja die Neuigkeit verkündete, vermuten lassen, dass es ihm weniger um das Wohl der Flüchtlinge geht als darum, endlich mal wieder gute Schlagzeilen zu produzieren. Und nebenbei seinen SenatskollegInnen eins auszuwischen.
Seit Monaten steht Czaja in der Kritik: Sein Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) ist mit den steigenden Flüchtlingszahlen überfordert und agiert bei der Unterbringung von Flüchtlingen offenbar systematisch außerhalb der Gesetze, wie zuletzt der Bericht einer externen Wirtschaftsprüferfirma belegte. Ebenfalls seit Monaten versucht Czaja, aus der Rolle als Alleinschuldiger herauszukommen: Seine Kritiker lädt er zum runden Tisch, den Senat hat er gedrängt, mit einem flüchtlingspolitischen Konzept Verantwortung zu übernehmen. Beides funktioniert nur begrenzt.
Jede Menge Schuldzuweisungen
So wurde das Senatskonzept, an dem nicht weniger als sechs Verwaltungen beteiligt sind, nun doch nicht wie geplant am Dienstag verabschiedet. Offiziell geht es zwar lediglich um „Detailfragen“. Aber hinter den Kulissen rumort es offenbar kräftig: Je nach dem, wen man fragt, ist eine andere Senatsverwaltung an der Verzögerung schuld.
Auch der runde Tisch läuft nicht rund: SPD-Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel hält es offensichtlich nicht für nötig, teilzunehmen – obwohl es auch um Wohnungen für Flüchtlinge und die Politik der Städtischen Wohnungsbaugesellschaften geht. Und die SPD-Arbeitssenatorin Dilek Kolat schickt zwar ihre Staatssekretärin, aber die will nicht über das Thema Arbeit reden. Was auch nicht verwundert, schließlich hat Kolat kürzlich ihren eigenen runden Tisch gegründet, die sogenannte Lenkungsgruppe Arbeitsintegration Geflüchteter.
Nur Ankündigungen?
Dass Czaja aus diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten ausbrechen und wenigstens an einer Stelle einen Fortschritt vorweisen will, ist verständlich. Den Beweis, dass die gute Nachricht mehr ist als reine Ankündigungspolitik, muss er noch antreten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen