: Auftritt vor Unternehmerlobby: Gabriel hat dummes Gerede satt
Über das Buch, das Gabriels Exparteifreund Wolfgang Clement herausgegeben hat, muss man eigentlich kein Wort verlieren. Gesponsert hat es die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Die von Konzernen getragene Lobbyorganisation wirbt seit Jahren für neoliberale Politik. Im Saal sitzen mehr als 100 Damen und Herren dicht gedrängt, die Damen im Sommerkleid mit blondiertem Haar, die Herren im schwarzen Anzug, manche mit Seideneinstecktuch und Spazierstock.
Und Gabriel? Der SPD-Chef denkt gar nicht daran, die INSM oder das Buch höflich zu loben. Er nutzt die Gelegenheit, den versammelten Unternehmern eine Gardinenpredigt zu halten: Er rate allen, mal nachzulesen, was die alten Ordoliberalen zur Erbschaftsteuer geschrieben hätten: Diese sei ein leistungsloses Einkommen, das reiche Erben gegenüber jungen, klugen Unternehmern bevorzuge. „Die Ordoliberalen waren kluge Leute. Die sahen das als Marktverzerrung.“
Das ist harter Tobak für die INSM-Vertreter, die sich gerne Liberale nennen und im Auftrag der Großunternehmen gegen eine Besteuerung von Millionenerben kämpfen. Einem Herrn fällt vor Schreck das Monokel aus dem Auge. Entschuldigung, diese Szene ist jetzt erfunden, aber sie beschreibt die Stimmung im Saal einfach zu gut. Er könne das dumme Gerede über die Rente mit 63 nicht mehr hören, macht Gabriel weiter. Sie komme auch eher von Akademikern, für die es kein Problem sei, bis 67 zu arbeiten. „Ein bisschen Demut gegenüber denen, die härter arbeiten als die, die über sie entscheiden – auch das ist soziale Marktwirtschaft.“
Am Ende bedankt sich INSM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr sogar noch für den Besuch. Dann rauscht der SPD-Chef ab. Es ist ja fast etwas peinlich, das mal hinzuschreiben: Aber manchmal ist Sigmar Gabriel wirklich eine coole Sau. Ulrich Schulte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen