Auftritt vor Unternehmerlobby: Gabriel hat dummes Gerede satt

BERLIN taz | Eine Buchvorstellung, zu der ein prominenter Politiker kommt, läuft in Berlin-Mitte normalerweise so ab: Das Buch wird vom Verlag gelobt, der Politiker spricht ein paar warme Worte, der Autor tut bescheiden. Danach gibt es Sekt und Kanapees für alle. Doch die Vorstellung des 3,5 Kilogramm schweren Schinkens „Das Deutschland-Prinzip“ am Freitag im Kulturkaufhaus Dussmann hat mit gepflegter Langeweile nichts zu tun. Im Gegenteil, sie ist richtig lustig dank Stargast Sigmar Gabriel.

Über das Buch, das Gabriels Exparteifreund Wolfgang Clement herausgegeben hat, muss man eigentlich kein Wort verlieren. Gesponsert hat es die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Die von Konzernen getragene Lobbyorganisation wirbt seit Jahren für neoliberale Politik. Im Saal sitzen mehr als 100 Damen und Herren dicht gedrängt, die Damen im Sommerkleid mit blondiertem Haar, die Herren im schwarzen Anzug, manche mit Seideneinstecktuch und Spazierstock.

Und Gabriel? Der SPD-Chef denkt gar nicht daran, die INSM oder das Buch höflich zu loben. Er nutzt die Gelegenheit, den versammelten Unternehmern eine Gardinenpredigt zu halten: Er rate allen, mal nachzulesen, was die alten Ordoliberalen zur Erbschaftsteuer geschrieben hätten: Diese sei ein leistungsloses Einkommen, das reiche Erben gegenüber jungen, klugen Unternehmern bevorzuge. „Die Ordoliberalen waren kluge Leute. Die sahen das als Marktverzerrung.“

Das ist harter Tobak für die INSM-Vertreter, die sich gerne Liberale nennen und im Auftrag der Großunternehmen gegen eine Besteuerung von Mil­lio­nen­erben kämpfen. Einem Herrn fällt vor Schreck das Monokel aus dem Auge. Entschuldigung, diese Szene ist jetzt erfunden, aber sie beschreibt die Stimmung im Saal einfach zu gut. Er könne das dumme Gerede über die Rente mit 63 nicht mehr hören, macht Gabriel weiter. Sie komme auch eher von Akademikern, für die es kein Problem sei, bis 67 zu arbeiten. „Ein bisschen Demut gegenüber denen, die härter arbeiten als die, die über sie entscheiden – auch das ist soziale Marktwirtschaft.“

Am Ende bedankt sich INSM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr sogar noch für den Besuch. Dann rauscht der SPD-Chef ab. Es ist ja fast etwas peinlich, das mal hinzuschreiben: Aber manchmal ist Sigmar Gabriel wirklich eine coole Sau. Ulrich Schulte