piwik no script img

„Eine große Entlastung“

KUNSTAKTION „Die Toten kommen“ sorgte für Aufsehen. Der Wirtschafts­student Yasser Almaamoun stellte den Kontakt zu den Familien her

Foto: privat
Yasser Almaamoun

ist Architekt aus Damaskus. Seit Januar 2013 studiert er an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft Construction and Real Estate Management. Nebenbei arbeitet er als Architekt in einem Berliner Architekturbüro.

Am Montag, den 6. 7., diskutiert er im taz-Café um 19 Uhr die Kunstaktion: „Die Gewissenshelden“.

Interview Ines Kappert

taz: Herr Almaamoun, Sie haben den Kontakt hergestellt und die Kommunikation zu den Angehörigen der Geflüchteten ermöglicht, die vor Kurzem in einer spektakulären und auch umstrittenen Aktion mit dem Titel „Die Toten kommen” in Sizilien exhumiert und in Berlin begraben wurden. Warum?

Yasser Amaamoun: Ich komme auch aus Syrien und lebe seit zwei Jahren in Deutschland. Ich verstehe und fühle, wie schrecklich es ist, nicht zu wissen, wo die eigene Frau und Mutter oder der eigene Vater begraben sind. Beide Familien habe ich persönlich kennengelernt. Wir haben so viel miteinander gesprochen! Zudem wollte ich helfen, dass man in Deutschland darauf aufmerksam wird, wie mit den im Mittelmeer gestorbenen Flüchtlingen verfahren wird und welches Leid damit verbunden ist.

Seit wann unterstützen Sie die Aktionen des Zentrum für Politische Schönheit?

Seit etwa zwei Jahren. Ich habe auch bei der vorhergehenden zu syrischen Flüchtlingskindern mitgemacht. Das war damals mein erster Kontakt mit der „Straße” in Deutschland. Ich war entsetzt, wie wenig die meisten hier über die Situation in Syrien wissen.

Wie war die Reaktion der Familien auf „Die Toten kommen”?

Zunächst waren sie schockiert und haben ihre Einwilligung verweigert. Wir haben dann etwa zwei Wochen miteinander diskutiert und verhandelt, erst dann entstand Vertrauen.

Worüber waren die Familien schockiert?

Sich vorzustellen, wie die Überreste ihrer Angehörigen exhumiert und nach Deutschland transportiert werden, war auch für sie ein Tabu. Hinzu kommt der politische Teil der Aktion. Syrer haben mit Behörden, der Regierung, der Polizei und der Presse in Syrien so viele schlechte Erfahrungen gemacht, dass sie auch in Deutschland nichts mit offiziellen Leuten zu tun haben wollen. Sie gehen erst mal davon, dass die auch hier gefährlich sind.

Die Familien waren bei der Beerdigungen nicht anwesend. Wie haben sie die Trauerfeiern erlebt?

Die erste Beerdigung haben wir live per Video übertragen, und ich habe gemeinsam mit der Familie die Übertragung angesehen. Ihre allererste Reaktion war ein vorsichtiges Lächeln. Sie waren erleichtert zu sehen, dass ihre Frau und Mutter in Würde beerdigt wird, in Anwesenheit eines Imam. Die Familie ist sehr religiös. Der zweiten Familie haben wir die Videoaufzeichnung einen Tag nach der Beerdigung geschickt. Auch für sie war die würdevolle Zeremonie eine Entlastung.

Die vielen Journalisten haben sie nicht gestört?

Nein. Darauf waren sie vorbereitet. Zudem haben die Journalisten sich während der Beerdigung als Trauergemeinde und nicht als Journalisten verhalten. Und am Ende waren sie auch nicht wichtig. Der Fokus der Familien galt allein ihren Angehörigen.

Hier wurde kritisiert, dass das Zentrum pietätlos mit den Toten verfahre. Hatten Sie sie nie Zweifel daran, dass das Ganze schiefgehen kann?

Ich hatte Zweifel daran, dass wir die Leichen überführen können, also dass wir alle nötigen Papiere zusammen bekommen. Noch eine Woche vorm Termin war alles völlig offen.

Wie lange hat es von der Exhumierung bis zur Überführung nach Berlin gedauert?

Wir brauchten rund drei Wochen, bis wir in Sizilien die Genehmigung für die Exhumierung und Überführung nach Deutschland bekamen. Der Transport selbst hat dann noch mal zwei Wochen in Anspruch genommen.

Der eine Leichentransporter wurde bei München von der Polizei angehalten. Warum?

Es gab den Verdacht, dass der Fahrer unter Drogen stünde.

Stimmte das?

Natürlich nicht. Wir haben die Transporte mit einer Firma gemacht, die auf Überführungen spezialisiert sind. Das sind Profis, die ganz genau darauf achten, dass mit den Überresten korrekt verfahren wird.

Letztlich hat die Kontrolle der Aktion geholfen, denn es untermauerte die Erzählung, dass es sich tatsächlich um auf der Flucht kurz vor Sizilien Verstorbene handelte.

Stimmt, die Polizei uns geholfen, allerdings sehr unfreiwillig.

Sie beteiligen sich an den Kunstaktionen als eine Art loses Mitglied. Wie viel Gestaltungsraum hatten Sie?

Die Familie erlebte die Beerdigung per Video. Die erste Reaktion war ein vorsichtiges Lächeln

Ich hatte großen Einfluss darauf, wie das Zentrum über die Familie und ihre Reaktionen und Widerstände denkt. Denn zunächst haben die Deutschen nicht verstanden, warum die Familien nicht mitmachen wollen. Erst nachdem ich eine dreistündige Präsentation gemacht habe, sagten sie: „Okay, das also ist das Problem.”

Dass zwei deutsche weiße Männer die Aktionen dominieren, hat Sie nicht gestört?

Warum denn? Die Mehrheit in Deutschland ist nun einmal deutsch und weiß. Wenn zwei weiße Deutsche eine Aktion in Afrika dominieren würden, wäre das etwas anderes. Außerdem haben wir und auch andere vor der Aktion über Monate miteinander diskutiert und daraus die Aktion entwickelt.

Wie kümmert sich das Zentrum jetzt um die Familien der Verstorbenen?

Wir stehen im ständigen Kontakt mit ihnen, und sie versichern uns immer, dass es ihnen gut ginge.

Typische syrische Höflichkeit, oder?

Natürlich. Aber das Zentrum unterstützt sie materiell und auch mit Sachspenden, und ich kümmere mich vor allem um die psychologische Seite und spreche viel mit den Kindern. Leider müssen sie noch immer auf ihre Papiere warten. Doch mir ist ganz wichtig, dass sie schon jetzt mit dem Leben hier anfangen und nicht nur warten. Stellt man einen Asylantrag, dann muss man ankreuzen, dass man Deutschland als neue Heimat gewählt habe und sich hier integrieren werde. Natürlich liest das keiner. Deshalb weise ich immer darauf hin. Die Familien haben jetzt auch eine Verantwortung für die deutsche Gesellschaft.

Ist das zum jetzigen Zeitpunkt nicht eine Überforderung? Sie müssen ja erst einmal ihre Flucht, den Verlust von Angehörigen verkraften und eine ganze neue Kultur kennenlernen.

Nein, sie haben es Motivation verstanden. Besonders für die Kinder waren diese Gespräche wichtig. Sie sind nun sehr motiviert, schnell Deutsch zu lernen, und sie wissen, dass sie das in ein paar Monaten auch können werden. Das hilft ihnen, die manchmal komischen Blicke ihrer Mitschüler nicht so ernst zu nehmen. Es ist ja normal, dass sie noch als „die anderen” angesehen werden, aber das geht vorbei.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen