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Terroranschlag in FrankreichWo ein Wille ist, ist auch Terror

Bei einem offenbar von Islamisten durchgeführten Anschlag wird ein Mann enthauptet. Die Täter brauchten weder Waffen noch lange Vorbereitung.

In der Nähe des Anschlagortes: Saint-Quentin-Fallavier am Freitag. Foto: dpa

Paris taz | Für einen terroristischen Anschlag mit verheerenden Folgen braucht es weder Kriegswaffen oder Sprengstoff, noch eine lange Vorbereitung oder Ausbildung, sondern nur genug menschenverachtenden Fanatismus. Das ist die erschreckende Bilanz eines Attentats am Freitagmorgen in einer französischen Industriezone östlich von Lyon.

Zum ersten Mal ist Frankreich mit einer Art Selbstmordkommando konfrontiert. In diesem Fall drangen der oder die Täter kurz vor zehn Uhr mit einem Auto in das Gelände einer chemischen Fabrik in Saint-Quentin-Fallavier ein, und die Absicht war es zweifellos, beim Zusammenstoß zwischen dem Fahrzeug und dem gelagertem Gas eine gigantische Explosion auszulösen, selbst auf die Gefahr hin, mitsamt der ganzen Fabrik selber in die Luft zu fliegen. Das Werk von Air Products ist wie viele der zahlreichen Chemiebetriebe in der Region Lyon wegen der Umweltrisiken als „Seveso“-Anlage registriert.

Die Reservoirs mit Industriegas blieben zum Glück bei der Kollision intakt, lediglich einige geöffnete Gasflaschen detonierten, ohne viel Schaden anzurichten. Beim Attentat ist dennoch eine Person getötet worden, zwei weitere Menschen sind verletzt worden. Das Todesopfer ist nach Angaben von Innenminister Bernard Cazeneuve enthauptet worden. Es soll sich um den Angestellten einer externen Firma handeln, der zufällig für eine Lieferung bei Air Products war.

Sein mit Aufschriften in arabischer Sprache versehener Kopf wurde mehrere Meter vom leblosen Körper entfernt auf dem Zaun des Werkareals zwischen zwei islamistischen Fahnen entdeckt. Diese makabere Inszenierung, die womöglich an Hinrichtungsmethoden der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) erinnern soll, hat besonders schockiert. Nach den blutigen Anschlägen auf „Charlie Hebdo“ und das Geschäft „Hyper Casher“ im Januar ist mit dieser Enthauptung eine neue Stufe der Barbarei und des Horrors erreicht worden.

Improvisiertes Vorgehen

Unheimlich erschreckend an diesem Attentat ist aber auch das geradezu improvisierte Vorgehen, das der Bevölkerung in dramatischer Weise ins Bewusstsein rufen muss, dass ein mörderischer Angriff praktisch jederzeit und überall möglich ist. Im Fall des Anschlags auf das Unternehmen Air Products im Departement Isère brauchten die beiden mutmaßlichen Terroristen weder Waffen noch eine lange Vorbereitung, sondern nur ein geeignetes Angriffsziel.

Laut Terrorismusexperten hatten IS-Propagandisten auf dem Internet ihre Anhänger seit Monaten bereits aufgerufen, wo immer möglich und mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln Franzosen zu ermorden. Im Fall von Saint-Quentin haben IS-Sympathisanten diesen Aufruf zu Mord beim Wort genommen. Laut Spezialisten soll es in Frankreich rund 3000 radikale Islamisten geben. Unter den „Dschihadisten“ in Syrien und im Irak sollen mehr als 1200 aus Frankreich stammen.

Noch am Tatort wurde ein Verdächtiger bei der Manipulation von Gasbehältern von einem mutigen Feuerwehrteam überwältigt. Der mutmaßliche Attentäter wurde rasch identifiziert, denn er war bei der Antiterrorpolizei, welche jetzt die Ermittlungen führt kein Unbekannter. Der im Lyoner Vorort Saint-Priest wohnhafte Yacine S. (35) war nicht vorbestraft, er war aber wegen seiner Nähe zu radikalen Islamisten der Salafisten-Bewegung bis 2006 registriert.

Innenminister pocht auf Antiterror-Gesetze

Die polizeiliche Überwachung war jedoch nach 2008 mangels dringender Verdachtsmomente eingestellt worden. Innenminister Cazeneuve verwies in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit der vor zwei Tagen erst verabschiedeten Antiterror-Gesetzgebung, welche den Ermittlern die Kompetenzen und Mittel gäben, die ihnen bisher „in tragischer Weise gefehlt“ hätten.

Nach einer intensiven Fahndung ist auch ein eventueller Komplize festgenommen worden. Er hatte sich angeblich mit seinem Auto am selben Tag beim Beobachten der Fabrik verdächtig gemacht. Weitere Personen aus der Bekanntschaft von Yacine S. werden laut Cazeneuve von der Polizei verhört. Staatspräsident François Hollande verließ am frühen am Nachmittag kurzfristig den EU-Gipfel in Brüssel für einen Krisenstab mit mehreren Ministern. In einer kurzen Ansprache forderte er seine Landsleute zum Zusammenhalten auf: Mit ihrem barbarischen Vorgehen hätten die „nicht nur der Republik, sondern auch der Demokratie und der Zivilisation den Krieg erklärt“.

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25 Kommentare

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  • Solche Taten machen zunächst fassungslos. Aber das macht nüchtern-kriminalistisches Denken nicht überflüssig. Und dieses hätte u.a. zu fragen: Welche Muster sind in diesen islamistischen Terroranschlägen zu erkennen? Ein Muster, das mir auffällt, ist dieses: wie bei den Anschlägen um "Charlie Hebdo" waren ein oder mehrere Täter den "Sicherheitsbehörden" bekannt. Das konnte man auch bei dem Attentäter von Toulouse (M. Merah) feststellen, der sogar Kontakte zu einem französischen Geheimdienst unterhielt. Das ließ sich ebenso bei den Boston-Attentätern wie bei der Sauerland-Gruppe bemerken. Dieses Muster ist überdeutlich und sollte unbedingt geprüft - und nicht sofort als "Verschwörungstheorie" verworfen werden. - Im Übrigen ist der islamistische Terror in dieser Form erst seit den Kriegen der USA und ihrer Verbündeten im Nahen und Mittleren Osten in der Welt (angefangen mit Afghanistan 1979).

  • Solche Akte sind NICHT zu verhindern!

    .

    Unsere Infrastruktur ist zu fargil, um sie wirklich schützen zu können. Ein wenig Phantasie, ein paar Irre die den Tod nicht scheuen.... das wars. Unabhängig ob wir eine freie oder eine Zwangsgesellschaft sind!

    .

    Der einzige Weg diese Taten einzudämmen ist der Versuch Frieden in den umkäpften Gebieten zu machen.

    .

    D.h. meiner Meinung nach den Menschen dort die Möglichkeit an zu bieten, zu leben, zu arbeiten und ein wenig mehr als die Überlebensmittel zu besitzen. Satte Menschen mit Perspektiven machen keine Terroranschläge.

    .

    Menschen die etwas zu verlieren haben bleiben friedlich, wenn ihnen die Möglichkeit dazu gegeben wird.

    .

    Die militärische Karte wird seit Korea immer wieder gespielt und hat noch NIE positive Ergebnisse gebracht.

    .

    Das Geld, den Aufwand in "Friedensprojekte" gesteckt... sollte man mal versuchen.

    .

    Geht nicht in 4 Wochen, aber.....

    .

    Meint

    Sikasuu

  • Tja, Frankreich tut sich mit antiislamischer Politik eben keinen Gefallen.

    Es wird nun Zeit, wenigstens über ein Verbot des Front National nachzudenken.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Linksman:

      Alles verbieten, was nicht in das eigene Weltbild passt? Wie wäre es stattdessen mit konfrontativen inhaltlichen Auseinandersetzungen mit der FN?

       

      Vielleicht ist selbst das nicht überall nötig. Bestimmte Menschen stellt man am Besten bloss, in dem man ihnen freie, uneingeschränkte Möglichkeiten zur Selbstdarstellung und d. h.: zur Selbstentblödung gibt.

      • @76530 (Profil gelöscht):

        Wer sich mit dem FN inhaltlich auseinandergesetzt hat, kann nur denselben Verbotsschluß ziehen.

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

          Gigantischer Irrtum.

          • @76530 (Profil gelöscht):

            Naziorganisationen verbieten, Nazis einsperren. Fertig.

            • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

              Diese "Argumente" kann man nur als äußerst schwachbrüstig einordnen. Wollen sie etwa in Frankreich 25% der Bevölkerung inhaftieren, die mittlerweile in Umfragen signalisiert, die FN wählen zu wollen? Wenn man mal genauer hinsieht, warum diese Menschen diese Partei inzwischen präferieren, stößt man sehr schnell auf eine entscheidende Ursache: Das völlige Versagen der etablierten Parteien in elementaren Politikfeldern (Europapolitik, Wirtschaftspolitik, Integrationspolitik, u. a.). Zu letzterem ein Beispiel: In einer Diskussion mit Anwohnern in der Nähe einer Pariser Banlieue forderten die anwesenden Politiker und Fachleute unentwegt „Verständnis“ und „Solidarität“ mit den Immigranten ein. Als dann ein Bürger darauf hinwies, das ihm das angesichts dreier Einbrüche in seiner Wohnung schwer falle, erhielt er als Antwort, er „wolle offensichtlich nur seine Privilegien verteidigen“. Diese Form der „Auseinandersetzung“ mit den Problemen treibt die Menschen geradezu in die Arme der FN.

    • @Linksman:

      Ich bin oft in Frankreich und höre von vielen Menschen, die nie auf den Gedanken kämen, die FN zu wählen, dass mittlerweile dringend das Verhältnis zwischen Staat und Religion(en) neu geklärt werden müsste. Es gibt zwar ein verfassungsmäßig abgesichertes Primat des Staates, das allerdings in immer größeren Bereichen nicht mehr durchgesetzt wird: Am deutlichsten sieht man das in den zahlreicher werdenden "No-Go-Areas", in denen man sich als Nichtmuslim besser nicht blicken lassen sollte. Gleichzeitig entwickeln sich Parallelgesellschaften, in denen rechtsstaatliche Prinzipien schon lange jede Bedeutung verloren haben.

      Sicherlich muss etliches geschehen, um die tagtägliche Diskriminierung von Minderheiten wirkungsvoll zu bekämpfen. Dennoch darf das nicht dazu führen, dass die Debatte über die oben genannten Probleme komplett unter den Teppich gekehrt wird. Insofern könnte ein Verbot der FN exakt das Gegenteil dessen bewirken, was Sie sich vielleicht erhoffen.

    • @Linksman:

      Genau, die Front National ist schuld.

      Ganz bestimmt auch für die 28 Toten in Tunesien und die 25 Toten in Kuwait.

  • Da will ich jetzt nicht spekulieren, ob das mit einem Angriff auf Kobane koordiniert war. Das können nur die Mörder wissen.

     

    Auch will ich es nicht hinnehmen, dass ein Burka-Verbot dann Anlass sein soll, Menschen zu enthaupten und dies absolut verständlich sei. Den Geadnaken find eich schon abstruß, wenn es schließlich um eine Enthauptung geht.

     

    Mir scheint es vielmehr an der Zeit zu sein, die Mittel gegen den Islamismus weltweit massiv aufzustocken. Aussteigerprogramme aus dem Salafismus, nach dem Vorbild in NRW, scheinen mir dabei eben so wichtig zu sein, wie eine weltweite militärische Bekämpfung.

    • @Celsus:

      "... wie eine weltweite militärische Bekämpfung."

       

      So wie in Syrien, Afghanistan, Irak und anderen Ländern? Entweder ist der Westen machtlos oder er mischt sich nicht ein, weil nichts für ihn herausspringt.

      • @Monsieur Soquette:

        ich meinte:

        die Jihadisten haben sich untereinander koordiniert.

  • Koordiniert mit dem Angriff auf Kobanê in Nordost-Syrien

  • Offenbar sorgte die antiislamische Politik Frankreichs mit Burkaverbot und anderen Diskriminierungen nicht gerade für Deeskalation.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Was mich interessiert: glauben Sie, dass es überhaupt Massnahmen gibt, die zu einer Deeskalation führen können? Und falls ja: welche?

       

      In gespannter Erwartung ...

      • @76530 (Profil gelöscht):

        Jetzt ist es natürlich zu spät. Die Eskalation ist manifest.

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

          Da hat aber jemand vor einer Antwort auf meine Frage gekniffen und lieber eine Antwort gegeben, die nichts mit meiner Frage zu tun hat.

          • @76530 (Profil gelöscht):

            Nun, wenn Sie jetzt noch Möglichkeiten sehen, die katastrophalen Auswirkungen der jahrelangen islamfeindlichen Politik umzukehren, dann ist es an Ihnen. M.E. ist da inzwischen Hopfen und Malz verloren. Es gab seit Jahren warnende Stimmen. Auf die hätte man halt hören müssen, nicht auf die Brüllaffen aus dem rechten Spektrum.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Sie sehen also eine Enthauptung sowie andere Arten des isl. Terrors als logische Konsequenz von Burkaverboten? Komisch. Ich sehe es genau umgekehrt. Enthauptungen und andere im Namen Allahs begangene Grausamkeiten schüren die Angst vor dem Islam und wirken eskalierend.

      • @Monsieur Soquette:

        Da stellt sich allerdings die Frage nach der zeitlichen Reihenfolge.

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      A....

      • @61321 (Profil gelöscht):

        Kommentar entfernt.

        • @c1zz:

          In Tunesien hat es auch einen Anschlag mit Dutzenden von Toten gegeben.

          Das muss wohl auch mit dem dort geltenden Burka-Verbot und den anderen Diskriminierungen zusammenhängen.

          • @sb123:

            Nein, nicht direkt. Da spielen andere Zusammenhänge eine wichtigere Rolle.