Streit um Industriedenkmäler: Tokio verschweigt Zwangsarbeit
Japan will Fabriken zum Weltkulturerbe erklären lassen – ohne den Hinweis, dass dort Zwangsarbeit verrichtet wurde. Südkorea wehrt sich dagegen.
BERLIN taz | | Wenn Südkoreas Außenminister Jun Buyng Se am Freitag seinen deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier in Berlin trifft, geht es aus koreanischer Sicht dortigen Medienberichten zufolge vor allem um eins: die Sorge, dass Japan seine Kolonial- und Kriegsverbrechen abstreitet. Tokio hat bei der Kulturorganisation der Vereinten Nationen, der Unesco, beantragt, 23 japanische Industriestätten in die Liste des Welterbes aufzunehmen.
Diese Bergwerke, Stahlfabriken und Schiffswerften, die zum Teil noch heute produzieren, hätten bei Japans Industrialisierung in der Meji-Zeit (1868 bis 1912) eine Schlüsselrolle gespielt. Sie seien bedeutende Zeugnisse für die erste Industrialisierung außerhalb westlicher Staaten, lautet die Begründung der Regierung in Tokio.
Über Japans Antrag will der Welterberat der Unesco in seiner Sitzung vom 28. Juni bis 8. Juli in Bonn entscheiden. Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, die CDU-Politikerin Maria Böhmer, ist derzeit Vorsitzende des Rates aus 21 Nationen. Koreanische Politiker von Regierung und Opposition bereisen derzeit die Hauptstädte der sieben den Rat führenden Länder, um gegen Japans Antrag zu argumentieren. Für dessen Annahme braucht Tokio eine Zweidrittelmehrheit.
Die Südkoreaner misstrauen der zu Geschichtsrevisionismus neigenden japanischen Regierung zutiefst. Sie verweisen darauf, dass in 7 der 23 Industrieanlagen im Zweiten Weltkrieg zum Ende der japanischen Kolonialzeit (1910 bis 1945) 59.000 koreanische Zwangsarbeiter brutal ausgebeutet worden und zum Teil zu Tode gekommen seien. Befürchtet wird, dass Tokio dieses dunkle Kapitel bei einer Glorifizierung seiner Industriedenkmäler aussparen werde.
Japan wirft Südkorea vor, die Angelegenheit zu politisieren, und argumentiert, dass die Meji-Zeit vor der Ausbeutung der koreanischen Zwangsarbeiter gelegen habe.
Auf zwei bilateralen Treffen, das letzte davon am Dienstag in Seoul, konnten sich beide Seiten nicht einigen. Korea hatte sich bereit erklärt, auf sein Veto zu verzichten, wenn Japan bei den entsprechenden Anlagen auf die dortige Ausbeutung der Zwangsarbeiter hinweist. Auch der Internationale Rat für Denkmalpflege (Icomos) der Unesco hatte Japan aufgefordert, die gesamte Historie der Industrieanlagen darzustellen. Das lehnt Japan ab. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes wollte sich auf taz-Anfrage am Donnerstag nicht zu der Angelegenheit äußern.
Leser*innenkommentare
19122 (Profil gelöscht)
Gast
Wird dann demnächst auch den Pyramiden von Gizeh und dem Kölner Dom der Status als Weltkulturerbe aberkannt? Da wurde meines Wissens auch nicht ausnahmslos freiwillig dran gearbeitet.
Lindenstock
Vielleicht fängt eine Kritik nach Würdigung einer Feststellung, dass die Industrialisierung Japans, allein schon weil sie außerhalb Europas stattfand, schon ein herausragendes Ereignis war, damit an, danach zu fragen, wer überhaupt dort die arbeitenden Massen gewesen waren, wie diese zur Arbeit in diesen Fabriken gebracht wurden.
Auch kann gefragt werden, wie die Besitzverhältnisse und die Verteilung der Gewinne aussah, welche Vor- und Nachteile die industrielle Entwicklung in Japan brachte.
Wenn Geschichte nicht den Blick auf die Menschen und ihr Leben hat, die sie durchlebt und vollbracht haben, liegt schon eine einseitige Erfassung vor, was bei einem Autor verwundert, der an anderer Stelle Kritik daran anmeldet, weil Chinesen und Koreaner etwas Vorbildhaftes in bundesdeutschem Umgang mit Geschichte haben sollen.
Das auswärtige Amt kann gefragt werden, ob hinreichende Gesellshaftsbeschreibung und -kritik beim Ausweis von "Weltkulturerbe" stattfindet...
Lindenstock
@19122 (Profil gelöscht) geht dies mit dem Unfreiwilligen bei den Pyramiden, wie auch beim Kölner Dom genauer oder wie begründet sich die Aussage?
19122 (Profil gelöscht)
Gast
@Lindenstock Ich werde jetzt nicht müßigerweise anfangen, altägyptische oder römisch-mittelalterliche Annalen zu zitieren, Sie verstehen bestimmt auch so, was ich meine: Indizien für Fronarbeit finden sich in durchgehend allen großen Kulturen der Menschheitsgeschichte, vom Altertum bis in die Neuzeit. Wenn wir die kulturelle Relevanz monumentaler Bauwerke stets an die beim Bau angewandten ethisch-moralischen Prinzipien binden, dürfte nicht viel Relevantes übrigbleiben.