Debatte: Schmutzig und rentabel
Die Anhänger der Energiewende wollen nicht wahrhaben, dass sie in einer Krise stecken. Der sanfte Übergang zu einer neuen Energieversorgung droht zu scheitern
S eit einiger Zeit ruhen sich Forscher, alternative Energieunternehmer und Umweltpolitiker auf dem Gedanken aus, dass "die Energiewende" quasi von allein komme. Der angeblich unmittelbar bevorstehende Ölmangel werde schon dafür sorgen, dass die Welt automatisch zu Wind, Wasser, Sonne und Biomasse umschwenke. Allein die Atomkraft gelte es noch abzuwehren.
Schön wärs. Denn mit fast denselben Methoden, mit denen man Biosprit erzeugen will, lässt sich auch aus Erdgas oder Kohle fossiler Ölersatz destillieren. Und das deutlich billiger als aus Getreide oder Plantagenholz. Es ist völlig naiv zu glauben, das Ölzeitalter sei bereits am Ende.
Es ist paradox: Obgleich die Klimaforschung derzeit die Medien mit Horrormeldungen überflutet, war das Konzept der "Energiewende" lange nicht mehr so gefährdet wie heute. Das gilt auch für die Arbeit der Klimaschützer dieser Tage auf ihrem Gipfel in Nairobi. Sie sollten den Rückenwind durch die öffentliche Meinung dazu nutzen, sich für schwerere Zeiten zu wappnen.
Der Kampfbegriff "Energiewende" ist irreführend. Selbst in den optimistischeren Wende-Szenarios müssen fossile Brennstoffe 2050 noch knapp die Hälfte des Energiebedarfs decken. Auch in den kühnsten Visionen wird der letzte Tropfen Öl erst gegen Ende dieses Jahrhunderts fließen. Die Energiewende ruht deshalb auf vier Säulen: erstens auf der Hoffnung, Öl werde knapp. Zweitens auf Erdgas als klimafreundlicher Alternative zu den anderen fossilen Brennstoffen. Drittens auf mehr Energieeffizienz. Und viertens schließlich auf der intensiven Förderung von Wind-, Solar- und Biomassetechnik.
Tatsächlich hat sich der Ausbau von Windrädern und Solarenergie inzwischen zum Selbstläufer entwickelt. Die neue Industrie produziert so viel Wohlstand, dass selbst eine schwarz-gelbe Regierung kaum noch Hand an sie legen würde. Auch Energieeffizienz hat es inzwischen zum Mainstream-Thema gebracht - obwohl es an der Umsetzung hapert. Richtig ins Wanken geraten dagegen die Säulen eins und zwei. Das hat mit einem Irrtum zu tun. Und dem Comeback der Sorge um sichere Energieimporte.
Der Irrtum ist der Glaube ans Ende des billigen Öls. Er beruht auf der so genannten "Peak Oil"-Hypothese amerikanischer Geologen. Sie geht davon aus, dass wir bald den Gipfel der maximal möglichen Fördermenge pro Tag erreichen. Dann sei zwar noch genügend Öl im Boden, aber die Förderung könne nicht mehr mit der Nachfrage Schritt halten.
Doch diese Sicht ist völlig eindimensional. Sie ignoriert die Gesetze des Marktes wie die des technischen Fortschritts. Bislang gelten Ölquellen, die zu einem Drittel leer gepumpt sind, als erschöpft, weil es schwierig ist, den Rest zu fördern. Doch die Ölkonzerne arbeiten längst an technischen Tricks, die Ausbeute erheblich in die Höhe zu treiben. Und selbst wenn wir tatsächlich bald den Ölfördergipfel erreichen sollten, wäre das Ölzeitalter noch lange nicht am Ende. Denn Ölprodukte lassen sich auch aus Gas oder Kohle gewinnen.
Der dank der Opec hohe Ölpreis macht Alternativen rentabel. Etwa Sprit aus Biomasse. Viel günstiger jedoch ist eine alte Technik: flüssige Kohle. Schon Nazideutschland betankte damit sein letztes Kriegsaufgebot, und Südafrika lavierte sich durch die Zeiten des Wirtschaftsembargos gegen die Apartheid. Der südafrikanische Branchenprimus Sasol verarbeitet noch immer Kohle zu Sprit - für höchst wirtschaftliche 25 Dollar pro Fass (Barrel). Die Fondsmanager von Merryll Lynch empfehlen Sasol-Aktien bereits zum Kauf. Sie glauben, dass in den USA Kohlesprit für um die 40 Dollar pro Fass zu produzieren ist. In China werden 20 Dollar pro Fass angepeilt - und in Deutschland gelten etwa 60 Dollar pro Fass als realistisch. Damit sind dem weiteren Anstieg des Ölpreises natürliche Grenzen gesetzt.
Beim Erdgas denkt bislang fast niemand an Benzinersatz. Denn Gas eignet sich vor allem als Strom- und Heizquelle. Bis vor einem Jahr sah es so aus, als würde sich dieser klimaschonendste fossile Brennstoff von selbst durchsetzen: Hocheffiziente Gaskraftwerke waren um Längen wirtschaftlicher als Kohle- oder Atomkraftwerke. Doch inzwischen ist Gas teuer geworden. Und die neue Neigung Russlands, seine Stellung als größter Gaslieferant Europas als "Energiewaffe" zu missbrauchen, nährt die Furcht vor weiteren Preissprüngen.
Die Krise des Erdgases trifft die Strategie der Energiewende ins Mark, wird bislang unter Klimaschützern jedoch kaum reflektiert. Sie macht nicht nur den deutschen Atomausstieg, sondern auch die Erfüllung der Kioto-Verpflichtung Europas erheblich kniffliger als erhofft. Und stärkt die Atomkraftlobby.
Dabei spielt die Kernkraft weltweit eine eher kleine Rolle. Es sind vor allem Kohlekraftwerke, die in Ländern wie China oder den USA neu gebaut werden - nicht zuletzt, um unabhängiger von Energieimporten zu werden. In der Umweltszene ist die Frage sicherer Energieversorgung jedoch ein blinder Fleck. Energie- und Außenpolitikern bereitet dagegen kaum etwas mehr Sorge als die Ballung von zwei Dritteln der Öl- und Gasvorräte der Welt in der politisch unstabilen "Rohstoff- und Energie-Ellipse" vom Nahen Osten bis zum kaukasisch-kaspischen Raum. Kohle ist dagegen gleichmäßig über den Globus verteilt. Und selbst wenn die Welt allein Kohlesprit tankte, würde das schwarze Gold noch ein paar hundert Jahre reichen. Anders als die Atomkraft steht die Kohle tatsächlich vor einer Renaissance.
Fürs Klima wäre das verheerend: Strom und Sprit aus Kohle belasten das Klima unterm Strich etwa doppelt so stark, als würde man Gas für Strom und Öl für Sprit verwenden. Die Erde würde umso schneller in die Klimakatastrophe rasen. Die Verfechter der Energiewende werden deshalb umdenken müssen. Sie sollten sich endlich mit der Deponierung von Kohlendioxid arrangieren. Bislang werden die Versuche einiger Energiekonzerne wie Vattenfall, das Kohlendioxid am Kohlekraftwerk zu sammeln und in die Erde zu pressen, von Ökologen als "Feigenblatt" diffamiert. Dabei lässt sich die Kohle ohne diese so genannte "Sequestrierung" nicht wirklich klimafreundlich machen. Außerdem darf die Energieeffizienz nicht länger Stiefkind der Szene bleiben, die lieber mit Dünnschichtsolarzellen und Kohlefaserwindrotoren glänzt.
Wichtig wird es sein, Sprit aus Biomasse, erneuerbaren Heizquellen und Energieeffizienz gegen Preisstürze beim Öl abzusichern. Sobald die Opec eine dauerhafte Abkehr der Industriestaaten vom Öl erkennt, dürfte sie rasch ihre aktuelle Investionsverweigerung aufgeben und neue Ölpumpen in die Wüsten rammen. Noch sprudelt das Öl im Nahen Osten für wenige Dollar pro Fass. Eine Energiesteuer in Abhängigkeit vom Ölpreis zum Beispiel wäre eine gute Möglichkeit. Schon einmal erlebte die Welt eine jähe Bruchlandung alternativer Energien, als wenige Jahre nach den Ölpreiskrisen wieder billiges Öl floss. Das darf nicht noch einmal passieren. MATTHIAS URBACH
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