Rauswurf von "Spiegel"-Chef Aust: Es war nicht alles schlecht
Auch der "Spiegel" wird irgendwann langweilig: Zuletzt interessierte sich Stefan Aust nur noch für Autos, Schirrmacher und Pferde. Nun hat ihn die Redaktion erlöst.
Eigentlich ist die Angelegenheit ja undramatisch: Ein Chefredakteur wird nach 13 Jahren im Amt gekündigt - er kann sogar noch bis zum 31.12.2008 bleiben. Dass diese doch eher schnöde Personalie für einen mittleren Aufruhr in den Medien und einen großen in der Redaktion sorgt, zeigt, dass der Spiegel immer noch ein besonders Blatt ist. Und das ist das eigentlich Verwunderliche: dass der Spiegel den Menschen trotz Austs Wirken nicht völlig egal geworden ist - schließlich war er es Aust zuletzt ja auch.
Stefan Aust, 1946 in Stade als Sohn eines Landwirts geboren, begann seine Karriere 1966 als Redakteur bei Konkret und den St. Pauli-Nachrichten. In dieser Zeit knüpfte er persönliche Kontakte zur ersten Generation deutscher Linksterroristen. Von 1972 bis 1986 produzierte er viel beachtete Beiträge für das NDR-Politmagazin "Panorama". 1985 veröffentlichte er seinen RAF-Bestseller "Der Baader-Meinhof-Komplex", 1988 verhalf er der Sendung "Spiegel-TV" zu einem erfolgreichen Start - und erweiterte das Format zu einem kleinen Imperium mit Ablegern bei Vox, Sat.1 und RTL. Aus der Führungskrise beim Spiegel 1994 konnte sich Aust - als Wunschkandidat des Herausgebers Rudolf Augstein - anstelle des entlassenen Hans Werner Kilz als Chefredakteur durchsetzen. 2004 wurde sein Vertrag bis Ende 2008 verlängert. Am Donnerstag entschied die Mitarbeiter KG des Spiegel, von der Option auf eine Verlängerung um weitere zwei Jahre Abstand zu nehmen.
Zumindest las sich der Spiegel zuletzt so, und die Geschichten, die man aus der Redaktion hörte, verstärkten den Eindruck. Im Grunde, so hieß es, interessiere sich Aust nur noch für eine Freundschaft zum FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher und seine Pferde, von denen er unlängst einen rassigen Renner für eine mittlere sechstellige Summe verkauft hat. Gern würde er auch für die ARD RAF-Dokus basteln.
Tatsächlich wirkte der Spiegel viel zu oft so, als säße der Chefredakteur irgendwo in Stade im Pferdestall oder so tief in die Ledersitze eines VW-Touareg oder Porsche 911 versunken, dass man kaum noch rausschauen kann. Mal erklärte das Nachrichtenmagazin auf dem Titel Hamburg zur coolsten Stadt der Welt, dann entdeckte er "Second Life" oder pries die Klimakatastrophe als touristischen Heilsbringer für Sibirien. Die Strom-Industrie wurde quasi jede Woche anders bewertet: Mal klarsichtig als oligarchische Krake, dann wieder als letzter Hort der Vernunft in Zeiten der Klimahysterie. Einem ernsten Thema wie dem Erbe der 68er konnte sich der intellektuell ausgehöhlte Spiegel zuletzt nur noch in Herrenwitz-Manier nähern: "Es war nicht alles schlecht", lautet die Zeile vor wenigen Wochen, dazu stellte man eine schlechte Karikatur von Reiner Langhans. Das sah schon alles mehr nach Eulenspiegel als nach Spiegel aus.
Diese Form der Wurstigkeit hat selbst den loyalsten Redakteuren mittlerweile klargemacht, dass etwas schief läuft beim Nachrichtenmagazin, und dass der Themenkanon des Chefredakteurs wohl doch nicht mehr ausreicht, um ein zeitgemäßes Blatt zu machen. Es gibt kein Bernsteinzimmer mehr auszugraben, keine Bugklappe der "Estonia" zu heben, kein Gehirn der Meinhof mehr zu untersuchen - das waren so die Steckenpferde des Spiegel-Chefs, danach wurde er irgendwie lustlos. Zumal es auch nicht klappte, Joschka Fischer zu stürzen.
Der Spiegel brauche eine "neue, frische Kraft" - diesen Satz hat sich der Sprecher der Mitarbeiter-KG, Armin Mahler, nun abgerungen - und diese Hellsichtigkeit hätte man sich schon vor Jahren gewünscht, oder zumindest zu der Zeit, als Aust mit Gabor Steingart und Matthias Matussek zwei restaurative Großkaliber an entscheidenden Stellen installierte: Den einen ließ er das Berliner Parlamentsbüro von jeglicher Widerrede gegen einen neoliberalen Kurs und die internen Hierarchien befreien - dem anderen gestattete er, ausgerechnet im Feuilleton einen Hosenträger-Journalismus zu kultivieren, der den Aufbau des Berliner Stadtschlosses als Vision feiert und sich mit seiner Pop-Journalisten-WG Gedanken darüber macht, ob die Volksseele nicht leidet, wenn auf deutschen Bühnen zuviel Kunst-Blut vergossen wird.
Zwar schraubt sich der Spiegel immer noch irgendwie fast jede Woche über die Auflagen-Million, aber seine inhaltliche Relevanz hat er längst verloren. Und das liegt auch an ihm selbst. Der Spiegel hat in einer immer ausdifferenzierteren Gesellschaft, in der etliche Lebensstile nebeneinander existieren, unbeirrbar ein zu großes Raster angelegt und immer neue Trends ausgerufen, die in Wahrheit nicht nur haarscharf an der Realität vorbeigingen. Der Kampf gegen die Windkraft, das Gerede vom "neuen Bürgertum", der nicht nachlassende Furor gehen die politischen Gutmenschen, die es in der Zahl, wie sie der Spiegel bekämpft, ja nie gegeben hat - wen interessierte das denn noch? Was hatte das mit der Realität außerhalb des Restaurant Borchardt zu tun, in dessen Sesseln Aust, Schirrmacher und Springer-Chef Mathias Döpfner einst den Sturm auf die Rechtschreibreform planten. Dass sich Aust in dieser Situation zum Büttel von Bild-Chef Kai Diekmann und dem Springer-Verlag hat machen lassen, ist eigentlich der größte Sündenfall in seiner Spiegel-Karriere. Mit dieser Männerbündelei, die sich um eine eigenständige publizistische Haltung nicht mehr scherte, hat er dem Ansehen des Blattes nachhaltig geschadet.
Dabei sah es am Anfang noch ganz gut aus - als Augstein der Redaktion im Herbst 1994 mit Rücktritt drohte, wenn sie Aust nicht als Chefredakteur nähme. Die wollte den lieben Hans-Werner Kilz behalten, der auf das Erscheinen von Focus nur panische Antworten fand. Aust galt ihnen als Mann des Privatfernsehens, der nun gedrucktes Fernsehen machen würde - aber letztlich schaffte er es, den Spiegel aus dem Auflagentief zu holen - mit seinen geliebten Agentengeschichten wie der über den Plutoniumschmuggel oder Schnurren über die "Letzten Tage im Führerbunker."
An den erinnerte bald auch das Klima in der Redaktion, denn Aust erlag als Chefredakteur schnell Allmachtsphantasien - zumal er auch noch Herr über Spiegel-TV war und sich längst mehr als Geschäftsmann denn als Journalist sah. So autokratisch, wie er dort regiert hatte, versuchte er es anschließend auch beim Spiegel, was viele Enthüllungsreporter, die sich eine eigene Meinung anmaßten, zu anderen Blättern trieb. Die Skandale entdeckten fortan andere.
Es waren nur noch ganz wenige, die Aust an seiner Macht teilhaben ließ - den Berliner Parlamentsbüroleiter Gabor Steingart, der den Wunsch des Chefs nach wirtschaftsfreundlicher Berichterstattung an die normalen Redakteure durchreichte, die peu à peu zu einem Heer namenloser Infosoldaten wurden, die den wenigen Starschreibern beim Blatt Häppchen zuliefern dürfen. "Es gibt keine Schere im Kopf", hat ein Politikredakteur mal gesagt, "aber wir denken den Hierarchien entgegen."
Auf den Höhepunkt seiner Macht geriet Aust schließlich durch den Tod Rudolf Augsteins, den er nutzte, um sich quasi selbst zum Herausgeber zu machen - auch wenn diese Personalie abgeschafft wurde. Aber genau das war der Trick. Der berechtigten Kritik von Augsteins Tochter Franziska, dass der Spiegel ein geschwätziges Blatt geworden sei, begegnete die eingeschüchterte Redaktion, als sei das eine Majestätsbeleidigung.
Erst mit dem neuen Geschäftsführer Mario Frank, der den Aust wohlgesonnenen Dietrich Seikel ablöste, kam plötzlich jemand in den Verlag, der Austs Allmacht anzweifelte. Der sich erlaubte, über eigene Geschäftsideen zu sinnieren. Etwa darüber, ob es nicht neben dem Spiegel noch andere Blätter aus dem Haus geben könne - was beim Spiegel immer kritisch ist, weil sich die Mitarbeiter, denen 50,5 Prozent des Ladens gehören, immer so auf die jährliche Gewinnausschüttung freuen und daher wenig investieren wollen. Zuletzt soll die Sprachlosigkeit zwischen Aust und Frank so groß gewesen sein, dass sie bis in die Redaktionsstuben hineindröhnte.
Es ist nun die schiere Angst vor der Zukunft, die die Mitarbeiter KG und den Verlag Gruner + Jahr, dem 25,5 Prozent gehören, zu der Kündigung getrieben haben. Denn niemand ist in den Zeiten des Internet so schnell gealtert wie Stefan Aust. Und mit ihm das Blatt. Nichts ist in Zeiten von "public publishing" so aus der Mode gekommen wie der Gestus des allwissenden Journalisten, der - dank der Gnade eines vermögenden Verlegers oder Verlags und auf keinen Fall auf eigene Kosten - sein immer undemokratischer werdendes Weltbild millionenhaft unter das Volk bringt. In einer Zeit, in der im Web massenhaft Gegenöffentlichkeit entsteht, ist Aust ein Mann von gestern: ein passionierter Rechthaber, der weder die Niederlage im Kampf gegen die Rechtschreibreform einräumen konnte, noch jemals verstanden haben dürfte, warum es sich für einen Spiegel-Chef nicht schickt, in einem Beirat der Telekom zu sitzen. Oder mit dem Springer-Verlag Geschäfte zu machen. Und der, in dieser Hinsicht vielen Politikern nicht unähnlich, einfach nicht gehen mochte - und so lange gewartet hat, bis man ihm den Stuhl vor die Tür setzt.
Dabei hatte er sich doch schon seit Jahren mehr und mehr auf seinen inneren Landsitz zurückgezogen, auf dem all die schönen Pferde grasen und es einen Keller voller Barschel- und RAF-Akten gibt. Das wäre ihm auch kaum zu verübeln, hätte er nur einmal die Chuzpe gehabt, von selbst zu gehen. Genervt genug war er ja, und auch das ist nach fast 13 Jahren im Amt verständlich. Dass er das einzige Mal die Option gespürte haben soll, in den Sack zu hauen, als ihm beim Springer-Verlag der Job eine Vorstands winkte, spricht Bände.
Nun wird er eben fortgejagt: Obwohl Austs Amtszeit nun noch bis Ende nächsten Jahres geht, wird er früher ersetzt werden - es gilt schließlich, den Abstand des Spiegel zu den gesellschaftlichen Realitäten wieder zu verringern.
Denn mittlerweile ist die Gesellschaft im Zweifel links, nur der Spiegel ist nicht hinterhergekommen.
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