Neue "Spiegel"-Chefredaktion gefunden: Das Doppel-Ich

Der "Spiegel" hat wohl - wenn auch nicht offiziell - zwei neue Chefredakteure: die Eigengewächse Mathias Müller von Blumencron und Georg Mascolo.

Die Nachfolge-Charade beim "Spiegel" könnte vor bei sein. Bild: dpa

Als sich Mathias Müller von Blumencron am Mittwochabend von seinem reservierten Sitz erhob, um in Frankfurt den Preis als "Mann des Jahres" in der Kategorie Medien entgegenzunehmen, klebte ihm hinten sein Namensschild auf dem Jackett. Peinlich? Nicht doch. "Ist er wenigstens richtig geschrieben?", konterte Müller von Blumencron trocken, um danach den Fragen des Laudators zum Stand der Hamburger Chefredaktionssuche auszuweichen: Er sei schließlich nur Online-Chef. Beziehungsweise war.

Der langjährige Spiegel-Chef Stefan Aust erfährt im Novemberurlaub 2007, dass sein Vertrag nicht über 2008 hinaus verlängert wird. Die Mitarbeiter KG und Geschäftsführer Mario Frank - ein Mann des am Spiegel beteiligten Verlags Gruner + Jahr - sind die treibenden Kräfte. Austs Stellvertreter Joachim Preuß kündigt daraufhin seinen Rückzug an. Die Nachfolgersuche beginnt. Viele Namen werden gehandelt, "heute journal"-Chef Claus Kleber soll es schließlich machen - Gruner + Jahr und Mitarbeiter KG, eigentlich zerstritten, haben sich geeinigt. Die Erben von Gründer Rudolf Augstein können zwar nicht mit entscheiden, haben aber den einen oder anderen Kontakt zu großen Medien. Auf welchem Weg auch immer: Die Personalie Kleber jedenfalls wird frühzeitig öffentlich. Er bleibt daraufhin doch in Mainz, auch alle anderen externen Kandidaten sind im Grunde aus dem Rennen - und nun sieht es also stark nach einer internen Lösung aus. TAZ

Zwar ist die Meldung offiziell noch nicht bestätigt, doch nach Informationen des NDR-Medienmagazins "Zapp" und des Hamburger Abendblatts sollen nämlich Georg Mascolo, derzeit Leiter des Berliner Spiegel-Büros - und eben Spiegel-Online-Chef Mathias Müller von Blumencron gemeinsam die Nachfolge von Chefredakteur Stefan Aust antreten. Offiziell gibt es allerdings noch keine Bestätigung. Die Beratungen seien noch nicht abgeschlossen, sagte eine Spiegel-Sprecherin. Sie dementierte die Personalie jedoch auch nicht.

Austs Vertrag war auf Druck der mächtigen Spiegel-Mitarbeiter KG im November nicht wie ursprünglich geplant verlängert worden. Der Spiegel-Verlag gehört zu 50,5 Prozent seinen MitarbeiterInnen, 25,5 Prozent hält die Bertelsmann-Tochter Gruner + Jahr, der Rest liegt bei den Kindern von Spiegel-Gründer Rudolf Augstein.

Nach der Entscheidung, zu der die Zustimmung von Gruner + Jahr laut Insider-Einschätzung "nur noch eine Formalie ist", dürfte sich in Hamburg Erleichterung breitmachen: Mitarbeiter berichten von einer skurrilen Stimmung in der Spiegel-Zentrale, die durch das nicht eben glückliche Agieren von Mitarbeiter-KG und Spiegel-Verlagsgeschäftsführer Mario Frank seit dem Herbst immer weiter angeheizt worden sei (siehe Kasten).

Mit dieser Lösung setzt sich beim Spiegel eine der schon seit Weihnachten diskutierten internen Nachfolgevarianten durch: Müller von Blumencron steht als erfolgreicher Online-Chef für den Aufbruch und gilt als eher uneitler Typ, der sich lieber im Hintergrund hält. Das dürfte nun ungleich schwieriger werden, doch auch ganz anders als bei Aust, der breitbeinig in der Redaktion auftrat und seine Texte der Sekretärin in den Computer diktierte. Sollte ihm nun die Doppelspitze mit Müller von Blumencron und Mascolo folgen, wäre das also nicht nur die Ablösung einer Person, sondern auch einer Ära: Die Zeit der Alphamänner ist vorüber. Müller von Blumencron gilt als Chef mit Führungsqualitäten, der wochenends Produktionsdienst schiebt, nah an der Redaktion ist und - das wäre eine Neuerung für den Spiegel - keine Geschichten verhindert, deren Linie er nicht teilt.

Georg Mascolo ist Rechercheur aus der Schule von Hans Leyendecker, der schon in kurzer Zeit aus dem früher vom neoliberalen Scoop-Jäger Gabor Steingart geführten Berliner Büro einen Ort gemacht hat, wo auch wieder differenzierte Zwischentöne zulässig sind. Von Mascolo werden nun klare Akzente in Sachen journalistischer Qualität erwartet - wohl auch deshalb, weil das von Müller von Blumencron verantwortete Online-Angebot seit längerem immer Klickzahl- und unterhaltungsorientierter daherkommt. Manchmal fällt hier sogar das Wort "Boulevard". Seine Zahlen allerdings lassen sich sehen.

Leicht wird der neue Job für beide nicht, zumal noch unklar ist, wie sich die neue Doppelspitze ergänzen wird - und inwiefern Mascolo und Müller von Blumencron unterschiedliche Konzepte verfolgen. Zum Erfolg verdammt sind beide: Die Spiegel-Auflage sinkt weiter und nähert sich bedenklich der psychologisch wichtigen Marke von nur noch einer Million Exemplaren - Ende 2006 verkaufte das Nachrichtenmagazin im Durchschnitt noch 20.000 Hefte mehr. Als erste Amtshandlung einem weiteren Auflagenschwund zuzusehen, hat in Hamburg schon manche neue Chefredaktion - zum Beispiel beim Stern - schnell wieder den Kopf gekostet. Mascolo und von Blumencron müssten sich "im Sinne des Leistungswettbewerbs ergänzen, nicht im Sinne von Kuscheln", sagte ein ehemaliger Spiegel-Mann. Zudem stünden sie unter der permanenten Beobachtung der mächtigen Spiegel-Ressortleiter, von denen einige nach wie vor verschnupft sind über die Art, wie Aust abgesägt wurde.

Offen bleibt, was die neue Wendung für den Verlagsmanager Frank bedeutet: Er gilt als Mann von Gruner + Jahr im Spiegel-Verlag, ihm werfen viele vor, für die unprofessionelle Charade in Sachen Aust-Nachfolge mit verantwortlich zu sein. Ob die große Konfliktlinie, die hinter dem Personalwechsel steht, damit nun gebrochen ist, ist also weiter offen: Wird der Spiegel ein redaktionsorientiertes oder ein verlagsorientiertes Blatt?

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