Ratlose Globalisierungskritiker: Attac verschläft Finanzkrise
Die Globalisierungskritiker müssen feststellen, dass ihnen Konzepte zur Lösung der Finanzkrise fehlen. Die Floskel "Das Casino schließen" soll Dissens in der Bewegung verdecken.
Eigentlich müsste die große Stunde von Attac schlagen. "Jetzt ist die Krise da, vor der wir von Anfang an gewarnt haben", ruft ein Aktivist in die Aula der Rudolf-Steiner-Schule in Düsseldorf. Inzwischen fordern sogar Politiker, die noch vor kurzem das Loblied des Neoliberalismus gesungen haben, die Finanzmärkte umfassend zu regulieren. Es bestehe "die große Chance, dass dieses mächtige Ideologiegebäude zusammengebrochen ist", macht Attac-Geschäftsführerin Sabine Leidig den Versammelten Mut. Doch die Stimmung auf dem Ratschlag der Globalisierungskritiker an diesem Wochenende ist gedämpft. Nicht nur an der Börse herrscht Katerstimmung. Das Netzwerk hat Probleme.
Als "auf Aktion ausgerichtete Bildungsbewegung" sei Attac in der gegenwärtigen internationalen Finanzkrise "die Organisation Nummer eins, um Argumente zu liefern", sagt Attac-Koordinierungskreismitglied Pedram Shayar. Doch gerade das fällt momentan schwer - eine Folge des Generationenwechsels im vergangenen Jahr. Vor allem der Rückzug der Attac-Mitgründer Peter Wahl und Sven Giegold hat eine Lücke gerissen. "Viele Neue kamen mit Tatendrang dazu, gleichzeitig brach aber auch viel Erfahrung und strategische Kompetenz weg", räumt der Koordinierungskreis, eine Art Vorstand des Netzwerks, in seinem Bericht an den Ratschlag ein. Auch gibt es Probleme vor Ort: In etlichen Städten "hängt es ein bisschen" bei der kontinuierlichen Arbeit.
Die Folge sei, dass Attac derzeit "nicht optimal aufgestellt" sei, so der Bericht. Das sei auch der Grund, warum die Organisation so lange gebraucht habe, um auf die Finanzkrise überhaupt zu reagieren. Kompetenz sei in den vergangenen Jahren "nicht gepflegt worden", beklagt Geschäftsführerin Leidig . "Da sind wir ein bisschen blank zurzeit." Vor noch nicht allzu langer Zeit sei es schon schwer gewesen, Attac-Leute überhaupt dazu zu bewegen, sich mit dem Thema zu beschäftigen, räumt Silke Ötsch von der AG Finanzmärkte & Steuern ein.
Das Motto, mit dem sich Attac nun in der Auseinandersetzung mit der Finanzkrise Gehör verschaffen will, lautet: "Das Casino schließen!" Eine Formel, mit der ein Dissens verdeckt wird: Sollen Börsen nun geschlossen oder nur besser kontrolliert werden? Die Formulierung suggeriert zwar Radikalität, lässt jedoch notwendige Interpretationsspielräume "zwischen denjenigen, die den Kapitalismus abschaffen wollen, und denjenigen, die ihn reparieren wollen", wie es ein Attacler aus Hannover formuliert.
Es ist ein ungelöster Konflikt: Reformismus oder Revolutionarismus? "Wir müssen sehr viel grundsätzlicher werden", fordern Altlinksradikale, wie der K-Gruppen gestählte Werner Rätz. "Manchmal hat man den Eindruck, als wolle Attac schon morgen in die Regierung eintreten", kritisiert auch Peter Strotmann aus Berlin. Hendrik Auhagen aus Konstanz warnt hingegen vor "Radikalinski-Forderungen vom Rand". Es komme vielmehr darauf an, "inmitten des gesellschaftlichen Strudels zu sein". Attac solle sich "davor hüten, in den Wettbewerb einzusteigen, wer den Kapitalismus am meisten verdammt", empfiehlt auch Kokreis-Mitglied Chris Methmann. Die Grundsatzdiskussion soll auf einem "Kapitalismus-Kongress" im März 2009 fortgesetzt werden. "Wir haben wirklich Analyse nachzuholen", beklagt der Kölner Günter Küsters.
Einig waren sich die mehreren hundert nach Düsseldorf gekommenen Attacies, zum Thema Finanzkrise künftig wieder verstärkt in die Öffentlichkeit treten zu wollen. Dazu gehörten auch "provokative Aktionen im Bereich des zivilen Ungehorsams", kündigte Attac-Kokreismitglied Stephan Schilling an.
Leser*innenkommentare
Jonas
Gast
Da hat attac echt mal gepennt...
Roman Haug
Gast
Der Journalist PASCAL BEUCKER belegt durch seinen oberflächlichen Artikel nur, dass er offensichtlich zu früh abgereist sein muss und von der extrem heterogenen Struktur des attac Netzwerkes http://www.attac.de/index.php sowieso keine Ahnung zu haben scheint.
Denn es ist uns innerhalb weniger Stunden gelungen im Konsens am So. Vormittag eine Erklärung von attac D zu verabschieden, die unsere Postionen m. E. angemessen wiederspiegelt, und die sind keinesfalls von Ratlosigkeit geprägt: http://www.attac.de/fileadmin/user_upload/Kampagnen/casino/Texte/Erklaerung_Attac-Ratschlag_Duesseldorf_-_Das_Casino_schliessen.pdf
Davon ist in dem Artikel keine Rede. Ich hoffe, dass die taz in der Lage sein wird dieses handwerkliche(?)Versäumnis zu beheben.
Und Dissens zu verdecken hatte attac sowieso noch nie nötig! Denn Dissense sind angesichts der Vielfältigkeit der Zusammensetzung von attac http://attac-netzwerk.de/index.php?id=244 völlig normal und zeichnen uns auf besondere Weise aus. Ebenso wie die Fähigkeit in kontroversen, aber fairen Prozessen nach den Gemeinsamkeiten zu suchen, statt sich in endlosen Debatten gegenseitig zu zerfleischen und zu überstimmen.
Dieses "Kunststück politischer Debatten- Kultur" ist auch diesmal nach meiner Wahrnehmung auf dem 3 tägigen, bundesweiten attac Ratschlag wieder gelungen.
Sicher gibt es bei attac vieles noch zu verbessern, aber unsere Mitgliederzahlen wachsen nach wie vor in einem Ausmaß, von denen andere politische Zusamemnhänge nur träumen können. Und dass, wir "ratlos" wären, oder die "Finanzkrise verschlafen" hätten ist m. E. objektiv falsch und scheint eher der Wunschvorstellung von Herrn Beucker entsprungen zu sein. Das grenzt an gezielter Desinformation. Schade taz!
Roman HAug
attac Mainz, Mitglied im attac Rat
Danny Cook
Gast
ich gehe davon aus, dass dies die persönliche meinung des kollegen julian bank ist - oder sind gewisse teile der "bewegten linken" zu einem mimosenverein verkommen - paul krugman ist dem kollegen bank vermutlich auch schon zu liberal - wenn dem so so ist - dann schlaf mal weiter.. -:)
Lucas
Gast
Wie schön wäre esdoch wenn das ein Problem von attac wäre, aber scheinbar alle Globalisierungskritiker wurden von der Finanzkrise überrumpelt!
Götz Niemann
Gast
In gewisser Weise spricht es doch für die Seriösität von Attac, hier nicht konkret zu werden. Ich hab mir auch noch keine klare Meinung bilden können; was auffällt ist doch, dass selbst Fachjournalisten blöd aus der Wäsch gucken und Allgemeinplätze verbreiten.
Klar: verstaatlichen ist die gerechte Strafe für die Deppen die da verzockt haben, doch das ist höchstens ein Teil der Wahrheit. Als wenn beamtete Bänker den Job besser könnten...
Haben doch alle geschlafen und keiner hat ein Konzept der Neuregelung in der Schublade; mit Ausnahme der Banken vielleicht.
Warum denn nicht alle pleite gehen lassen und mit schadenersatz und Strafrecht verfolgen. Wir erhalten eine reinigende Weltwirtschaftskrise und ausreichend Zeit,eine globale Währungs - und Strukturreform zu entwickeln.
Tigerlilly
Gast
"Attac verschläft Finanzkrise": liebe taz, statt einer derartigen Überschrift wäre es schon schön, von Dir Artikel zu lesen über die Protagonisten der Deregulierung der Märkte. Wie marktschreiende Heuschrecken sind diese Leute in allen Medien über uns hergefallen, und haben den Untergang des Abendlandes prophezeit, falls die Regierungen den "Markt" nicht von allen Fesseln befreien. Nun hat diese propagierte und in Teilen auch umgesetzte Politik viele Wirtschaften an den Rand des Ruins geführt-und die gleichen Leute tauchen ab, interpretieren ihre früheren Aüßerungen und Taten um oder leugnen gleich. Sie haben uns vorher angelogen und lügen nun gleich weiter. Angefangen von der damaligen rot-grünen Regierung, den konservativen Vertretern, tief hinein in Wirtschafts-und Finanzkreise bis hin zu sogen. Beratern irgendwelcher Institute oder Initiativen, wie der sogen. 'Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft'.Aber hierzu erfahren wir von Dir, liebe taz, nur wenig. Stattdessen bietet Attac keine "...Konzepte zur Lösung der Finanzkrise..". Na sowas.
lh181
Gast
das ist sachlich falsch!
es müsste heissen:
die linken verschlafen die finanzkrise...
Julian Bank
Gast
Es lebe das Bewegungs-Bashing der taz! Nur weiter so mit dem Runterschreiben - Abgrenzung muss schließlich sein...