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Prinzipiell unterstütze ich ja die Ansicht des Autors: Die Finanzmärkte haben sich teils verselbständigt und eine gewisse Erdung täte gut. In diesem Fall aber trifft er leider genau daneben.
VW befindet sich _real_ in einer extremen Situation: Porsche kontrolliert über 74% der Anteile, das Land Niedersachsen hält 20%. In der Verteilung der übrigen sechs Prozent der Anteile entscheidet sich, ob es zukünftig eine Sperrminorität geben wird oder Porsche per Diktat den Konzern steuern kann. Da ist doch offensichtlich, daß die noch gehandelten Aktien viel mehr wert sind als der verbriefte Anteil am Unternehmenskapital. Nicht abgehobene Spekulation ist hier die Ursache, sondern die Regeln des sehr realwirtschaftlichen Aktionärs-Stimmrechtes.
Das Problem ist ja auch nicht die Tatsache, daß der Aktienkurs dermaßen explodiert. Vielmehr wird hier offensichtlich, daß Tageskurse zur Bewertung von Unternehmen und gehaltenen Anteilen generell nur mäßig geeignet sind. Natürlich würde niemand zB dem Land Niedersachsen seine 20% auch nur zu einem viertel des aktuellen Kurses abnehmen.
VW sei "am Dienstag zwischenzeitlich mehr als achtmal so viel Wert gewesen wie zu Jahresbeginn". Daß das ausgemachter Blödsinn ist, muß man doch beim Schreiben merken?
Leider ist dieser Blödsinn, "mark to market" genannt, international übliche Bilanzierungspraxis -und übrigens auch ein entscheidender blasenbildender Faktor, der mit zur gegenwärtigen Finanzkrise beigetragen hat.
Daß hierzulande aus Kursänderungen resultierende reine Buchgewinne (noch) nicht bilanziert werden dürfen ist eine rühmliche Ausnahme, die aber im Zuge diverser Homogenisierungsbestrebungen auf der Strecke zu bleiben droht. Da wäre tatsächlich ein sinnvoller Ansatz für die deutsche Politik, auf internationalem Parkett offensiv aufzutreten.
Und für einen wirtschaftspolitischen Diskurs jenseits unüberlegter Reflexe.
Herr Kreutzfeld hat leider vergessen das Wichtigste zu erwähnen: Dass eben nur sehr wenige VW-Stammaktien (so um die 5%) auf dem freien Markt sind. Der Rest liegt in festen Händen, NS sowie Porsche (angeblich über Optionen). Und wenn das so ist, sollte man eher VW von der Börse ausschließen statt ein ururaltes Prinzip, den Markthandel, generell anzuzweifeln.
Soll der Ukraine erlaubt werden, Ziele tief in Russland mit westlichen Raketen und Marschflugkörpern anzugreifen? Ein Pro und Contra.
Kommentar VW und die Börse: Ein Casino ohne Spielregeln
So krass wie derzeit bei VW war das Missverhältnis zwischen Börsenwert und tatsächlichem Wert noch nie: Hier zeigt sich, wie manipulationsanfällig die Finanzmärkte sind.
Es ist schier unglaublich: Während weltweit wegen der Konjunkturschwäche die Zahl der verkauften Autos sinkt und die Politik über Hilfen für die Industrie debattiert, explodiert der Aktienwert von Volkswagen: Mit einem Kurs von über 1.000 Euro war das Unternehmen aus Wolfsburg am Dienstag zwischenzeitig mehr als achtmal so viel Wert wie zu Jahresbeginn - und damit mehr als alle seine europäischen und amerikanischen Konkurrenten zusammen.
Diese extrem gegensätzlichen Nachrichten zeigen, wie sehr die Börse bisweilen von der realen Wirtschaft entkoppelt ist. Dass der Wert der dort gehandelten Aktien mit dem tatsächlichen Wert des zugehörigen Unternehmens oft nichts zu tun hat, ist zwar - nicht erst seit der Internetblase - allgemein bekannt. Doch so ein krasses Missverhältnis wie bei VW gab es wohl noch nie.
Anders als bei früheren Spekulationsblasen, bei denen auch viele Kleinanleger ihr Geld im Börsen-Casino verspielten, trifft das Chaos beim VW-Kurs aber überwiegend professionelle Zocker: vor allem Hedgefonds, die mit Leerverkäufen auf fallende Kurse gewettet haben, dürften in den letzten Tagen viele Milliarden verloren haben. Mitleid scheint nicht angebracht.
Dennoch sind die VW-Kurssprünge mehr als eine Posse. Zum einen zeigt sich, wie intransparent bisher gehandelt werden darf: Porsche konnte sich seine VW-Optionen völlig im Verborgenen sichern und dann mit der Veröffentlichung den Kurs manipulieren. Zum anderen wird erneut deutlich, wie sich an den Finanzmärkten mit minimalem eigenem Einsatz großes Chaos stiften lässt. Die gleiche Hebelwirkung, bei der mit geliehenem Geld spekuliert wird, hat schon die Finanzkrise extrem verstärkt. Falls Hedgefonds pleitegehen sollten, gefährden sie auch die Banken, bei denen sie verschuldet sind.
Die Forderung nach restriktiveren Regeln für Hedgefonds, einem Verbot von spekulativen Leerverkäufen und mehr Transparenz auf den Finanzmärkten bekommt dadurch eine ganz neue Relevanz. Ohne solche Veränderungen bleiben die Börsen nicht nur ein Casino - sondern sogar eins, bei dem nicht für alle Spieler die gleichen Regeln gelten.
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Kommentar von
Malte Kreutzfeldt
ehemaliger Redakteur
Jahrgang 1971, war bis September 2022 Korrespondent für Wirtschaft und Umwelt im Parlamentsbüro der taz. Er hat in Göttingen und Berkeley Biologie, Politik und Englisch studiert, sich dabei umweltpolitisch und globalisierungskritisch engagiert und später bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel volontiert. Für seine Aufdeckung der Rechenfehler von Lungenarzt Dr. Dieter Köhler wurde er 2019 vom Medium Magazin als Journalist des Jahres in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2019 den Umwelt-Medienpreis der DUH in der Kategorie Print.