Ranickis Leben verfilmt: Eine Spur von Andacht
Überleben im Ghetto: In Berlin feierte die Verfilmung von Marcel Reich-Ranickis Autobiografie "Mein Leben" Premiere. Ein bemerkenswert subtiler Film.
Knurriger Glamour? Etwa von der Sorte, wie ihn Marcel Reich-Ranicki bei seinem großen Fernsehauftritt präsentiert hatte, als er den Fernsehpreis für sein Lebenswerk vor die Füße der Intendanten warf? Nein, der blieb aus. Was zum einen daran lag, dass die gewohnt laute Hauptfigur im Saal des Berliner Babylon-Kinos fehlte, als dort am Donnerstagabend der Fernsehfilm "Marcel Reich-Ranicki: Mein Leben" Premiere feierte.
Aber zum anderen hätte Reich-Ranicki auch gar keinen Grund gehabt, sich zu beklagen. Denn die sich an seiner Autobiografie orientierende filmische Darstellung des Überlebens im Warschauer Ghetto erwies sich als bemerkenswert subtiler Film über den Holocaust. Zuvor hatte es eine "private" Erstaufführung des Films gegeben, ausschließlich für Reich-Ranicki und seine Frau Tosia - und nach dieser soll der an sich wortmächtige Kritiker schier sprachlos gewesen sein. Auch in dem Kinosaal war nach der Vorführung eine Spur von Andacht spürbar, als einige Beteiligten unter Applaus nach vorne gebeten wurden, begleitet von den Kommentaren des 1959 geborenen israelischen Regisseurs Dror Zahavi.
Zahavi entgeht geschmackssicher der Penetranz, die das dramaturgisch schwer umsetzbare historische Material mit sich bringt. Der Schauspieler Matthias Schweighöfer versucht sich zum Beispiel keineswegs als Reich-Ranicki-Plagiator, sondern zeigt eine Figur - einen 19-Jährigen, der angesichts des Leids umsichtig reagiert, ja beeindruckend in eine Rolle schwer zu tragender Verantwortung schlüpft. Und alle Beteiligten sind klug genug, Roman Polanskis Film "Der Pianist" aus dem Jahre 2002, der das Leben im Warschauer Ghetto schaurig nahe an den Zuschauer gebracht hatte, dramaturgisch und bildkompositorisch nicht zu folgen.
Dror Zahavis Film hat zwar ein ähnliches Grundmuster, aber einen anderen Takt. Er zeigt eben nicht allein die grotesk-brutale Vereinzelung der Opfer, ihren von den Tätern aufgedrängten Schrumpfungsprozess unter den Bedingungen der Vernichtung, sondern ist eine Geschichte des Emporwachsens aus den Fesseln des Grauens anhand des Beispiels einer ungewöhnlichen Geschichte eines jungen Paares, ihres Zusammenhalts und ihrer Liebe; und dabei spielt Katharina Schüttler als Tosia Reich-Ranicki keine geringe Rolle. Obwohl sie nur wenig Text zur Verfügung hat, strahlt sie eine unbeugsame und stille Präsenz aus.
Eine ebenso eindringliche Rolle spielt in Zahavis Streifen die Literatur. Auch da genügen dem Regisseur wenige Einstellungen, um das Verhältnis zu verdeutlichen, das seine Figur zu Texten hat: Einmal ist die Literatur eine Art Vehikel eines assimilierten Juden oder anders: eines polnischen Jungen, über den man sich wegen seines Akzents lustig macht - und der sich dann durch die Weltliteratur liest und als Klassenbester im Fach Deutsch die anderen überholt. Ein andermal ist sie eine Art Festung, an dem die gehässigen Geschütze des Rassismus abprallen; und gleichzeitig Ausdruck eines selbstbewussten Mannes, der in überfüllten Zügen Balzac liest.
Der Film ist auch in diesen Szenen keinesfalls eine cineastische Kommentierung von Reich-Ranickis Ruhm. Zahavis Drama zeigt zwar im letzten Drittel die ersten Schritte seiner Figur zu einer Karriere in der Nachkriegs-BRD. Aber auch da ist das dramaturgische Konzept so klug gesetzt, dass es nicht dem Fehlschluss unterliegt, Reich-Ranickis späteren Ruhm als eine logische Folge der Schoah, als eine Art schwarzbitteren Triumph zu deuten. Nein, dieser Film zeigt auch am Ende, wie zwei junge Leute das Zwangssystem des Ghettos überwinden. Mit sehr viel Glück sind Reich-Ranicki und seine Frau aus dem mörderischen Käfig geschlüpft und haben bei einem polnischen Bauern den Rest der Kriegszeit überlebt.
Am 14. April wird der Film in der ARD laufen.
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