Debatte Deutsche Bahn: So schnell wie nötig

Das Chaos bei der Berliner S-Bahn ist ein weiterer Beleg: Der Kurzstreckenverkehr wird vernachlässigt. Kunden gewinnt man so nicht.

In Europa gibt es zwei Eisenbahnsysteme, die beide von sich behaupten, in den vergangenen Jahren Erfolge erzielt zu haben: die SBB in der Schweiz und die SNCF in Frankreich. Während die Schweizer die Konkurrenz mit dem Auto ins Visier genommen haben, wollten die Franzosen den Airlines die Kunden abjagen.

Die Schweizer verzichteten auf die Höchstgeschwindigkeit und proklamierten "So schnell wie nötig", wobei sie für die Verbindung der Fahrgäste von Haus zu Haus immer ein besonders waches Auge hatten. Die Franzosen wollten von A nach B "so schnell wie möglich" und bauten die neuen Bahnhöfe auf der grünen Wiese, damit ihre TGVs beim Durchfahren der Städte keine Zeit verlieren. So haben von den zehn neuen TGV-Bahnhöfen gerade mal zwei einen Schienenanschluss an das bestehende Netz, sind also nur über die Straße erreichbar.

Den Kampf gegen die Airlines hat die SNCF gewonnen. Zwischen Paris und Lyon wird ebenso wenig geflogen wie zwischen Paris und Brüssel. Den Kampf um die Fahrgäste im Nahverkehr allerdings hat sie gar nicht erst aufgenommen und deshalb gegen das Auto verloren.

ist Abgeordneter im Europäischen Parlament und dort seit 2004 verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. Davor saß er für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus und war ebenfalls für Verkehrspolitik zuständig. Seit 1979 ist er ohne Auto mobil.

Die Schweizer aber haben doppelt gewonnen. Wegen der hohen Fixkosten sind Schienenstrecken nämlich nur dann rentabel, wenn sie gut ausgenutzt werden. Und ein kleines Stück vom großen Kuchen Autoverkehr ist eben mehr als ein etwas größeres vom - zahlenmäßig gesehen - kleinen Luftverkehr. Mit dem integrierten Taktverkehr ohne Höchstgeschwindigkeit wird in der Schweiz pro Einwohner doppelt so viel Bahn gefahren wie in Deutschland.

Welchen Kurs verfolgt die DB AG nun unter ihrem neuen Chef? Fährt Rüdiger Grube weiter in der französischen Spur à la Hartmut Mehdorn, oder setzt er auf Schweizer Intelligenz statt Beton?

Wie sehr sich die Landschaft im Eisenbahnfernverkehr verändert hat, zeigt sich beispielsweise im Land Brandenburg. Dort hielten im Jahr 1999 noch 400 Fernzüge pro Tag. Heute, zehn Jahre später, sind es nur noch 100. Und Brandenburg ist keine Ausnahme.

Die InterRegios wurden abgeschafft, die InterCity-Züge zum großen Teil durch die ICE-Züge ersetzt. Durch die Aufschläge und auch durch die jährlichen Fahrpreiserhöhungen um insgesamt 24,3 Prozent seit 2004 wurde das Bahnfahren in Deutschlands Fernverkehrszügen aber nicht nur erheblich verteuert. Es wurde durch das erzwungene mehrfache Umsteigen auch unbequemer. Zudem verlängerte sich die Fahrzeit - sofern man nicht in den Genuss einer Direktverbindung kam. Das Gesamtangebot des Fernverkehrs auf dem deutschen Netz liegt heute unter dem von 1994, obwohl seither 50 Milliarden Euro in die Schiene investiert wurden.

Auch wenn mit dem neuen Bahnchef Rüdiger Grube erneut kein "Bahner" an die Spitze des Unternehmens aufgerückt ist, könnte ihm seine Vergangenheit als Daimler-Manager dennoch helfen. Navigationssysteme in Autos berechnen schließlich die Wege vom Abfahrtsort zum Zielpunkt und nicht nur den Teil auf der Autobahn. Die alte Logik, die Fahrzeit zwischen Berlin und Hamburg ohne Rücksicht auf die Fahrgäste auf 90 Minuten zu verkürzen, bedeutet allenfalls für die Statistik einen Mehrwert. Denn für mehr als eine Million Bahnkunden, die vorher in Berlin-Spandau oder am Bahnhof Zoo ein- und aussteigen konnten, hat sich die Fahrt von und zum Berliner Hauptbahnhof um etwa 30 Minuten verlängert.

Wie fixiert die Bahnspitze auf diese falsche Fährte setzt, zeigt sich aktuell auch darin, dass sie selbst dann einen Fernverkehrshalt im Bahnhof Zoo verweigert, wenn der S-Bahn-Verkehr im Berliner Innenstadtbereich zusammenbricht.

Dieses Beispiel ist leider kein Einzelfall, es demonstriert nur die falsche Punkt-zu-Punkt-Philosophie. In der Schweiz stecken die Eisenbahnplaner ihre Energie vor allem in vertaktete Fahrpläne, um die Umsteigezeiten zu verkürzen, und ziehen ihre Bürger damit erfolgreich in die Bahn.

In Deutschland müssen Bahnchef und Verkehrsminister, die jahrelang in ihrer Höchstgeschwindigkeitsstrategie ein Herz und eine Seele waren, das Verhältnis von Fern- und Regionalverkehr wieder ins Lot bringen. Bisher gehen nämlich 80 Prozent der Investitionen in den Fernverkehr - eine Priorisierung, die an den wahren Wachstumsfeldern der Bahn vorbeifährt.

Seit 15 Jahren stagniert der Anteil des Fernverkehrs bei 7 Prozent. Die Wachstumsrate zwischen 1993 und 2006 liegt aber im von Bundespolitik und Bahnspitze stiefmütterlich behandelten Nah- und Regionalverkehr bei 48 Prozent. Der Kurzstreckenverkehr wird vernachlässigt, um die unrentablen Hochgeschwindigkeitsstrecken zu finanzieren. 84 Prozent der Stationsentgelte und 64 Prozent der Trassenpreise werden durch Regional- und Nahverkehrszüge erzielt, ohne dass die dafür zahlenden Bundesländer Einfluss auf die Preisgestaltung und die Investitionsentscheidungen haben. Allein bei der Berliner S-Bahn - sie und nicht der ICE finanziert den neuen Hauptbahnhof in Berlin - wurden in den vergangenen Jahren zweistellige Millionenbeträge abgeschöpft. 2010 sollte es mit 125 Millionen Euro sogar ein dreistelliger werden.

Bahnchef Grube muss klar analysieren, mit welchen Investitionen die größten Erfolge erzielt werden. Eine bessere Vertaktung von Regional- und Fernverkehr bringt dabei größeren Zeitgewinn für die Kunden als ein mit Milliardeninvestitionen um fünf Minuten beschleunigter Zug. Gleiches gilt auch für Prestigeobjekte, die noch immer nicht ad acta gelegt wurden, zum Beispiel Stuttgart 21.

Denn auch die Milliarden für die Versenkung des Stuttgarter Bahnhofs in den Untergrund werden Deutschlands Bahn nicht voranbringen. Abermals soll dort das Geld vergraben werden, das andernorts für eine effiziente Bahn benötigt wird.

Stattdessen würden ein paar kluge Navigatoren beim Gestalten des Fahrplans, in Verbindung mit der Beseitigung von Engpässen und Lücken bei der Bahn, den Quantensprung bringen, den sich die Steuern zahlenden Bahnkunden von ihren Milliardeninvestitionen seit Langem erwarten.

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