Debatte Copyrights: Russische Erfahrungen

Die Tage des Copyrights sind gezählt. Höchste Zeit, an neue Modelle zu denken. Etwa an "Creative Commons"-Lizenzen. Ein Blick nach Osten.

Die Geschichte des Urheberrechts zeigt, dass es niemals dazu gedacht war, Autoren zu schützen, sondern dass es vielmehr die kommerziellen Interessen großer Unternehmen stärken sollte. Die jüngsten Entwicklungen auf dem Markt allerdings weisen darauf hin, dass die Tage des Urheberrechts gezählt sind.

Die sogenannten Kern-Copyright-Industrien machen einen großen Brocken des US-amerikanischen Exports aus; 127 Millionen US-Dollar waren es im Jahr 2007. Das ist mehr, als Landwirtschaft und Automobil- und Pharmaindustrie zusammen erbringen. Nach dem Bericht der International Intellectual Property Alliance (IPA) aus dem Jahr 2008 liefern die Kern-Copyright-Industrien bis zu 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der USA, tragen 23 Prozent zum ökonomischen Wachstum bei und beschäftigten mehr als 4 Prozent der amerikanischen Arbeiterschaft.

Die Copyright-Industrien sind damit ein wesentliches Standbein der US-Wirtschaft, und das ist auch der Grund, warum die USA das existierende Urheberrecht so vehement verteidigen. Interessanterweise liefert die Branche der Computersoftware 72 Prozent der oben genannten Exporte, während die Musikindustrie nur 8 Prozent ausmacht. Das bedeutet, dass letztlich Softwareunternehmen und ihre mächtige Lobby über die Zukunft des Urheberrechtsgesetzes entscheiden werden. Sobald sie der Meinung sind, dass das Urheberrecht ein Hindernis für ihre weitere Entwicklung ist, werden sie es in seiner derzeitigen Form abschaffen. Die Musikindustrie mit ihrem mageren Marktanteil wird da wenig mitzureden haben.

Die Indizien dafür, dass sich die Softwareunternehmen vom Urheberrecht entfernen, mehren sich. So haben beispielsweise viele, wie Google oder Computerspieleentwickler, bereits Modelle eingeführt, in denen das eigentliche Produkt kostenlos verbreitet wird und die Einkünfte über die Kundenbetreuung, die Produktplatzierung, den Aboservice und die Werbung gesichert werden. Große Content-Provider wie Wikipedia, Yahoo und YouTube werben aktiv für "Creative Commons"-Lizenzen. Diese Lizenzen stärken die kostenlose Verbreitung des Inhalts und stellen verschiedene legale Möglichkeiten zur Verfügung, wie die Urheber mit ihrer Arbeit Geld verdienen können. Beispielsweise gibt es eine Variante von "Creative Commons"-Lizenzen, die die nichtkommerzielle Verbreitung erlaubt: Sie ermöglicht es anderen, die ursprüngliche Arbeit zu remixen und Neues darauf aufzubauen und anschließend offen zu verbreiten. Die Bedingung: Das neue Produkt muss nichtkommerzieller Natur sein und immer den ursprünglichen Autor nennen. Auf diese Weise erhalten die Urheber kostenlose Werbung und können sichergehen, dass sie diejenigen sind, die mit ihrem Inhalt Geld verdienen. Anders als das Urheberrecht verhindern diese Lizenzen nicht, dass sich das kreative Potenzial des Inhalts voll entfalten kann.

Vor einigen Monaten kündigte Global Gaming Factory X AB an, für 6 Millionen Dollar die populäre Filesharing-Seite ThePirateBay.Org zu kaufen. Global Gaming Factory macht den meisten Umsatz mit Computerspiellizenzen und gezielt auf Internetcafés ausgerichteter Werbung. Das Unternehmen würde keine derart große Risikoanlage tätigen, wenn es die freie Softwareverbreitung nicht als Teil seines zukünftigen Geschäftsmodells erachten würde. Die derzeitigen Inhaber von Pirate Bay ihrerseits sind für ihre militante Haltung bekannt, wenn es darum geht, ihr Recht auf die gemeinsame Benutzung von Musik und Software zu verteidigen. Auch bei ihnen steht nicht zu vermuten, dass sie ihre Website an ein Unternehmen verkaufen, das diese dann einfach schließen würde. Selbst wenn der Verkauf nicht zustande kommt - die Ankündigung von Global Gaming Factory ist ein veritabler Indikator dafür, wohin der Markt sich entwickelt.

Russland, eines der weltweit größten Soziallabors, liefert im Rahmen seiner Entwicklung in den 1990er-Jahren ein gutes Beispiel, inwiefern derartige Transformationen des Umgangs mit Copyrights von gesellschaftlichem Nutzen sein können. Als sich das Land dem Rest der Welt öffnete, wurde es mit Kulturprodukten aus der ganzen Welt überschwemmt. Der Umstand, dass diese vielfach virtuell und damit kostenlos zu haben waren, erlaubte einer finanzschwachen Bevölkerung den Zugriff auf Musik, Filme, Literatur und Software.

Nach Angaben von Business Software Alliance (BSA) und der International Data Corporation (IDC) waren im Jahr 2004 mehr als 87 Prozent der Software in Russland Raubkopien. Das Land unterzeichnete zwar bereits 1995 das Genfer Welturheberrechtsabkommen, begann aber erst 2006 damit, das Urheberrecht strikt anzuwenden - auf Druck der Welthandelsorganisation WTO und der Lobbyorganisationen großer Unternehmen.

Ungeachtet dessen trugen 15 Jahre ohne Urheberrecht nicht wenig dazu bei, dass sich Russlands Kulturlandschaft rasant veränderte, ausdifferenzierte und weiterentwickelte. Mit einer rigorosen Durchsetzung des Urheberrechts wäre das nicht möglich gewesen. Gleichzeitig befördert der laxe Umgang mit dem Urheberrecht eine Kultur des freien Austauschs. Der Nachteil: Für viele Unternehmen, Musiker und Künstler gibt es nicht genug Anreiz, selbstständig qualitativ hochwertige kulturelle Inhalte zu produzieren, denn sie haben keine Möglichkeit, damit Geld zu verdienen.

Daher ist eines klar: Eine Welt ohne Urheberrecht ist nur dann erstrebenswert, wenn sie den Künstlern ausreichend Anreize bietet und realisierbare Geschäftsmodelle für Unternehmen bereithält, die die kreative Arbeit distribuieren und bewerben. Doch dies wird nicht dadurch erreicht werden, dass man blind veralteten Gesetzen folgt und fortschrittliche Technik verbietet. An die Stelle des Urheberrechts sollte ein neues System treten, das von den jüngsten Entwicklungen des Marktes inspiriert ist und das die legalen Initiativen - wie "Creative Commons"-Lizenzen - und die Technologien wie Open Source und Filesharing Communities einbezieht.

Aus dem Englischen von Doris Akrap

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