Soziale Stadt: Portrait des scheidenden Mieterlobbyisten: Mann der Mieter

Nach 30 Jahren geht Hartmann Vetter, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, in den Ruhestand. Ausgerechnet jetzt.

Das Klima in der Stadt wird frostiger. Besonders betroffen von steigenden Mieten und sozialer Verdrängung ist Kreuzberg. Bild: AP

Nein, sexy war das nicht: Miethöhegesetz, Kappungsgrenzen bei Neuvermietungen, ortsübliche Vergleichsmiete. Das ist kein Thema für die digitale Boheme, eher eins für die Mieterberatung. "Deshalb war Mieten- und Wohnungspolitik lange Zeit kein Thema", sagt Hartmann Vetter. "Die Besserverdienenden konnten in sanierte Wohnungen ziehen, die weniger gut Verdienenden hatten keine Stimme."

Hartmann Vetter sitzt im Charlottenburger Gasthaus Lentz, trinkt Milchkaffee und spricht in der Vergangenheitsform. Normalerweise wäre der 64-Jährige an einem Donnerstag Mittag am Schreibtisch gesessen oder hätte für eine Pressekonferenz den ordentlichen Sitz der Krawatte geprüft. Im Gasthaus Lentz reichen T-Shirt und Hemd. 30 Jahre lang war Hartmann Vetter als Hauptgeschäftsführer des Berliner Mietervereins der Mann der Mieter. Seit Dezember ist er im Ruhestand.

Das Schlagwort "Gentrifizierung" ist in aller Munde. Jahre nach der Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus wird wieder über Wohnungspolitik und soziale Stadtentwicklung diskutiert. Die taz widmet sich mit einer Serie dem Thema "Soziale Stadt". Wie funktioniert die Gentrifizierung? Und wie kann eine soziale Wohnungspolitik sinnvoll eingreifen?

Bereits erschienen sind eine Bilanz der rot-roten Mietenpolitik (19. 12.), ein Text über Baugemeinschaften (23. 12.), eine Reportage über den Hackeschen Markt, wo die Verdrängung von Mietern und kleinen Geschäften besonders deutlich ist (30. 12.), eine Analyse der Auswirkungen der Hausbesetzungen in Ostberlin kurz nach dem Mauerfall (31. 12.) das Interview mit einem Hausverwalter aus Nordneukölln (5. 1.), ein Plädoyer für Mietobergrenzen (15. 1.), ein Bericht über Möglicheiten und Grenzen von Quartiersmanagement und Schulpoltik im Wedding (22. 1.) und eine Betrachtung von edlen Wohnprojekten für die Mittelklasse (27. 1.).

Ausgerechnet jetzt, in einer Zeit, in der plötzlich auch Modedesigner, Musiker und Medienmacher wieder über Miethöhegesetz und Mietspiegel reden, weil keiner mehr ans Placebo der Politik glaubt. "Der Mietermarkt ist eine Illusion." Wie ein Mantra hat der Mann mit dem Dreitagebart den Satz die letzten Jahre ins Mikrofon gesprochen. Nun echot er durch die Straßen von Kreuzberg, Friedrichshain und Charlottenburg. Vetter nimmt es sportlich. Mit der Mietenpolitik ist es schließlich wie mit der Wohnungsnot. Mal schlagen die Wellen hoch, mal ruht der See still. Und nach dem gleichen Rhythmus funktioniert die Politik. "Vor allem die SPD", sagt Vetter, "bewegt sich nur, wenn der Verlust von Wählerstimmen droht."

Zum Beispiel in den 80er-Jahren. Ein massiver Zuzug, auch von zehntausenden Aussiedlern, hat in West-Berlin eine bis dato nicht für möglich gehaltene Wohnungsnot ausgelöst. Hinzu kam der Plan der Bundesregierung, in Berlin als letzter Großstadt die Mietpreisbindung, die in der Mauerstadt seit Kriegsende galt, abzuschaffen. Der Mieterverein und Hartmann Vetter machten mit den ersten Bürgerentscheiden mobil und erreichten einen Aufschub. Statt 1984 wurde die Wohnungszwangswirtschaft erst 1988 abgeschafft. Ein Mietspiegel sollte, wie vom Mieterverein gefordert, eine Mietenexplosion nach der Einführung des freien Wohnungsmarkts verhindern.

Hartmann Vetter rührt im Kaffee und lächelt sein Dauerlächeln. Die Erfolge sind in der Rückschau größer als die Niederlagen. Vielleicht wirkt er deshalb so gelassen. Dass sich seine Bilanz sehen lassen kann, hat ihm kürzlich auch Armin Hentschel, Leiter des Mietervereins-nahen "Instituts für soziale Stadtentwicklung" bescheinigt. Vetter, schreibt Henschel, sei ein Mensch, dessen Hemdsärmeligkeit weniger den 68er verrät, der Vetter auch war, als vielmehr den "Weberschen Bourgeois mit seinem protestantischen Ethos".

Vielleicht kommt das Ethos vom Bauernhof. Aufgewachsen ist Hartmann Vetter in Lemgo, sein Vater war Großbauer. Dort erlebt er, wie die alten Nazis wieder in Amt und Würden kommen und einer seiner Lehrer, ein ehemaliger Kommunist, aus der Schule gedrängt wurde. Seitdem treibt Vetter etwas um: Gerechtigkeit. Also geht er dorthin, wo er Gleichgesinnte vermutet - nach Berlin. "Ich bin Ostern 1968 in West-Berlin angekommen, am Tag des Attentats auf Rudi Dutschke." Vetter demonstriert am Kudamm und macht zum ersten Mal Bekanntschaft mit der berittenen Polizei. "Ja", sagt er heute, "ich bin ein 68er." Ein Antiautoritärer war er aber nicht. Seine Mitarbeiter nannten ihm gerne auch "Comandante".

In West-Berlin, der Stadt mit den Hinterhäusern, Baulücken und Einschusslöchern an Fassaden, machte er auch Bekanntschaft mit der Wohnungsnot. "Damals gab es ja nicht nur Klos auf dem Hof", erinnert sich Vetter. "In manchen Hinterhäusern waren richtige Kuhställe mit zehn, zwanzig Kühen, und die Milch wurde dann vorne, im Geschäft, verkauft." Mit der Wohnungspolitik findet Vetter das Thema, mit dem er sein Gerechtigkeitsbedürfnis ausleben kann. Er studiert neben Jura auch Stadt- und Regionalplanung, engagiert sich in der Genossenschaftsbewegung, unterstützt Mieter, ihre Häuser selbst zu kaufen. In einem davon am Stuttgarter Platz lebt Vetter bis heute. Ein bisschen Aufstieg aber darf sein. Die Wohnung, die er mit seiner Frau teilt, befindet sich im Dachgeschoss.

"Nein", lacht Vetter, "ein Revolutionär war ich nicht." Auch Politiker wollte er nicht werden. Der Rhythmus der Legislaturperioden ist für einen, der eher in Jahrzehnten denkt und im Sommer seinen zehnten Marathon läuft, zu hektisch. Lieber also in die Institutionen, hat er sich schon 1979 gedacht, als sich die Chance seiner Lebens bot. Damals wurde der alte Vorstand des Mietervereins gestürzt. Nicht mehr die alten Herren mit ihren Zweireihern hatten nun das Sagen, sondern die Langhaarigen mit ihren Schlabberpullis - und Vetter übernahm den Posten des Geschäftsführers. Wenn er heute über seine Erfolge, aber auch seine Niederlagen nachdenkt, fällt ihm ein: "In meiner Zeit ist der Mieterverein von 10.000 auf 150.000 Mitglieder gewachsen. Anders als vielen Vereinen geht es uns wirtschaftlich gut, wir wachsen sogar noch weiter."

Und die Niederlagen? Hartmann Vetter rührt im Kaffee, denkt nach. "Nein", sagt er, "dass die Mietobergrenzen 2004 abgeschafft wurden, war nicht unsere Schuld." Schuld sei vielmehr die Politik gewesen. "Das Gericht hat die Obergrenzen für ungültig erklärt, weil das Ziel der sozialen Mischung nicht im Baugesetzbuch geregelt ist." Sagts und schaltet auch im Ruhestand sofort in den Lobbyisten-Modus. "Wenn man die Mietobergrenzen will, muss man das Baugesetzbuch ändern. Aber dafür gibt es derzeit keine Mehrheit."

Hat einer, der 30 Jahre lang nur um Gerechtigkeit rang, keine Probleme loszulassen? "Ach was", sagt Hartmann Vetter und grinst. "Jetzt habe ich endlich Zeit fürs Sportstudio." Und dann ist da ja noch das Hobby: Reiten. Schon vor ein paar Jahren hat Vetter in Argentinien die Pampa auf dem Rücken eines Pferdes durchmessen. Nun steht das nächste Abenteuer bevor. "Ich werde den Gräfin-Dönhoff-Trail reiten", freut sich Vetter. In umgekehrter Richtung führt der Trail über die Stationen der Flucht der ehemaligen Zeit-Chefredakteurin nach Ostpreußen.

Vielleicht tut der Abstand ja ganz gut. Nicht nur das Thema Mieten ist derzeit wieder in aller Munde, sondern auch die SPD. Mieterpartei will sie wieder werden. Gleichzeitig plädiert der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit für mehr Wohneigentum. "So ein Unsinn", sagt Vetter und zählt auf. "Die höchste Eigentumsquote gibt es in Spanien. Dort ist grade der Immobilienmarkt zusammengebrochen." Also hat Vetter am Ende noch einen Ratschlag parat: "Warum orientiert sich Berlin immer an anderen Metropolen, in denen die Mieten explodieren und der Verkehr zusammenbricht? Warum sagt der Senat nicht, Madrid, London und Paris können auch etwas von Berlin lernen?"

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