Terminverschleppung: Und leise wächst der Gen-Mais

Weil zwei niedersächsische Ministerien geschlampt haben, ist auf deutschen Feldern gentechnisch veränderter Mais ausgesät worden. Greenpeace vermutet hinter den Verzögerungen Kalkül.

Genmais auf einem Feld im Brandenburg: Hat auch hier Niedersachsen gepennt? Bild: Fritz Engel/Zenit

Auf deutschen Feldern wird dieses Jahr Gen-Mais wachsen, weil sich das niedersächsische Landwirtschaftsministerium Zeit gelassen hat. Erst Ende April, nach Ablauf der vereinbarten Fristen, hatte es dem niedersächsischen Umweltministerium mitgeteilt, dass zwei der überprüften Maissorten gentechnisch verunreinigt waren. Für eine Rückrufaktion war es da bereits zu spät: Das Saatgut war verkauft und auf die Felder gebracht.

EU-weit gilt ein Reinheitsgebot für Saatgut. Deshalb überprüfen die Bundesländer jedes Frühjahr die Qualität des Saatguts auf eventuelle gentechnische Veränderung. Rund 400 Stichproben nehmen sie dazu insgesamt. Bis Ende März - also noch vor der Aussaat - sollten die Ergebnisse vorliegen, darauf haben sich die Länder geeinigt. So ist sichergestellt, dass kontaminiertes Saatgut zurückgerufen werden kann und nicht auf die Felder gelangt.

Werden gentechnisch verunreinigte Proben gefunden, wird der Hersteller aufgefordert, das Saatgut vom Markt zu nehmen. Der Forderung kommen die Unternehmen üblicherweise nach. Sie wollen damit eventuellen Schadensersatzforderungen vorbeugen, die im Nachhinein an sie gestellt werden könnten.

Zurück geht der Anbau von Genmais in der EU insgesamt: von 110.050 Hektar im Jahr 2007 auf 94.750 Hektar im Jahr 2009.

Verboten ist der kommerzielle Anbau von Genmais in Deutschland seit April 2009 wegen der Umweltrisiken. Gentechnisch veränderte Maissorten wie MON810 sind nicht nur gegen bestimmte Schädlinge resistent. Sie gefährden auch andere Kleintiere.

Saatgut darf nicht gentechnisch verunreinigt sein. Erlaubt ist allerdings die Einfuhr von Genmais in die EU als Futtermittel.

Überprüft werden die Maissorten von den Landwirtschaftsministerien der Länder.

Nur drei Bundesländer fanden keine Rückstände in den Saatgut-Proben. Insgesamt wiesen 25 von rund 400 Proben gentechnische Verunreinigungen auf. 2009 waren es 22 von 386 Proben.

Zwei davon wurden in Niedersachsen gefunden.

Soweit die Theorie - die Praxis in Niedersachsen sieht anders aus. Fast vier Wochen nach Fristende, am 27. April, leitete das Landwirtschaftsministerium die positiven Testergebnisse an das Umweltministerium weiter. Zwei der 35 Proben waren mit dem Gen-Mais NK603 verunreinigt. Eigenen Angaben zufolge informierte das Umweltministerium daraufhin sofort betroffene Bundesländer. Verkauft wurde das Saatgut nämlich nicht nur in Niedersachsen. Man habe das betreffende Unternehmen unverzüglich aufgefordert, Vertriebswege und die verkauften Mengen offen zu legen, erklärt Stefanie Becker, Sprecherin des Umweltministeriums.

Angesichts des Zeitpunkts geht Becker allerdings davon aus, dass der Gen-Mais bereits ausgesät wurde. Wie nun verfahren wird, ist Ländersache. "Ob man die Äcker umbrechen lässt und umsät oder den Mais hochwachsen lässt und dann in einer Biogasanlage vernichtet, entscheidet sich noch", sagt Becker. Zunächst müsse die Stellungnahme des verursachenden Unternehmen angehört werden. Die Frist dafür ist am gestrigen Freitag abgelaufen.

"Die Behörden in Niedersachsen befinden sich offensichtlich in einem Dornröschenschlaf", sagt Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Martin Hofstetter. Niedersachsen sei das einzige Bundesland, das keinerlei Maßnahmen ergriffen hätte, die Aussaat von Gen-Mais zu verhindern. Er vermutet hinter den Verzögerungen Kalkül. "So wie Niedersachsen zur Gentechnik steht, liegt der Schluss nahe, dass hier bewusst verzögert wurde, nach dem Motto: Ein bisschen Gentechnik schadet ja nicht", so der Greenpeace-Experte.

Diesem Vorwurf widersprechen sowohl Umwelt-, als auch Landwirtschaftsministerium. Umweltministeriums-Sprecherin Becker verweist auf das Landwirtschaftsministerium, das die Ergebnisse erst Ende April weitergab. "Wir haben ganz stringent sofort alle Maßnahmen ergriffen", sagte sie. Der Sprecher des Landwirtschaftsministeriums, Gert Hahne, möchte die Verzögerungen nicht erklären. "Der eine ist manchmal schneller, der andere langsamer", sagt er.

Mitte Mai startete Greenpeace eine Umfrage, nach der 25 Sorten der über 350 getesteten kontaminiert waren. Nur in Sachsen, dem Saarland und Mecklenburg-Vorpommern gab es kein gentechnisch verändertes Saatgut. Bis auf Niedersachsen ergriffen aber alle Bundesländer Maßnahmen, um die Aussaat zu verhindern. Sie veranlassten die Vernichtung oder den Rückruf aus dem Handel.

Das niedersächsische Landwirtschaftsministerium dagegen weist dem betroffenen Unternehmen die alleinige Verantwortung zu. "Wir sind nur für die Überprüfung zuständig. Die Reinheit des Saatguts müssen die Unternehmen sicherstellen. Es ist schon komisch, dass nicht der Verursacher angegriffen wird, sondern der, der die Ergebnisse übermittelt", sagt Ministeriumssprecher Hahne.

Dass Niedersachsen einen eigenen Weg in Sachen grüner Gentechnik geht, zeigte sich bereits vor drei Jahren. Kurz vor dem Verbot der Gen-Maissorte MON810 hatte der Präsident der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, Fritz Stegen, auf seinem Hof in Bokel Gen-Mais aussäen lassen. Landwirtschaftsminister Hans-Heinrich Ehlen (CDU) stellte sich damals demonstrativ vor ihn - obwohl er frühzeitig von dem drohenden Verbot gewusst haben dürfte.

In welchen Bundesländern das verunreinigte Saatgut gelandet ist und wie groß die damit bestellten Flächen sind, dazu schweigen beide Ministerien. Äußern wollen sie sich auch nicht zum betreffenden Saatguthersteller. Der Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Martin Hofstetter tippt auf den US-Konzern Pioneer. Der handelte sich zuletzt im Februar Kritik ein, weil er in Unterfranken Gen-Mais aussähen wollte.

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