Spanien vor dem Halbfinale: Sie können's ja, eigentlich
Das spanische Kombinationsspiel lief bei dieser WM überraschend holprig. Doch Trainer del Bosque vertraut darauf, dass sich das gegen Deutschland schon ändern wird.
BERLIN taz | Vicente del Bosque ist ein netter Onkel. Jedenfalls sieht der spanische Trainer immer so aus, wenn er nahezu teilnahmslos am Spielfeldrand sitzt oder ruhig das Training des Europameisters leitet. Als könnte ihn nichts, aber auch gar nichts erschüttern.
Diese Unerschütterlichkeit ist dieser Tage besonders gefragt. Denn auch wenn die spanische Nationalmannschaft es unter seiner Ägide erstmals in ein WM-Halbfinale geschafft hat: So richtig rund läuft der sonst so phänomenale Ballbesitzfußball der Spanier noch nicht. Aber del Bosque hat schon weit Schlimmeres hinter sich. Real Madrid feuerte ihn nach 35 Jahren im Klub als Spieler, Nachwuchscoach und Trainer - obwohl er gerade die Meisterschaft und zuvor zweimal die Champions League gewonnen hatte. Das bisschen Verunsicherung vor dem Spiel gegen Deutschland am Mittwoch (20.30 Uhr, ARD) sollte den 59-Jährigen da kaum aus der Fassung bringen.
Etwas Beunruhigung wäre aber durchaus angebracht, so mühevoll und holprig wie diese WM für die Spanier bisher verlaufen ist. Fließendes, rauschendes Spiel gab es nur in einzelnen Augenblicken, eine ganze Partie nach ihrem Geschmack ist den Europameistern dabei noch nicht gelungen. Schnöde, schmucklose Arbeitssiege haben sie ins Halbfinale gebracht, keine Demonstrationen der erhabenen Eleganz aus den vergangenen Jahren.
Vicente del Bosque und seine Spieler sind noch auf der Suche nach dem richtigen Rezept, das ihnen wieder jene Leichtigkeit und Dominanz beschert, die ihnen einst weltweite Bewunderung einbrachte und nicht nur Joachim Löw davon träumen ließ, aus seinem Deutschland ein zweites Spanien zu machen.
Ballbesitzquoten und die Anzahl der gespielten Pässe sind hoch wie gewohnt, und trotzdem gelingt es den Spaniern noch nicht, daraus richtig Kapital zu schlagen, sich Chancen zu erarbeiten und Tore zu erzielen. Was fehlt, ist die Torgefahr, die Kanalisierung der ewigen Ballzirkulation, die sich zumeist in der Nähe der Mittellinie abspielt und früher oder später an den Rändern des Spielfelds zerfasert, anstatt sich zielgerichtet auf das gegnerische Tor zu bewegen. Stünden die Tore an den Seitenlinien, würde Spanien haushoch gewinnen, hatte Diego Maradona schon zu Beginn der WM bemerkt.
Und so experimentiert Vicente del Bosque viel: Er schiebt seine Spieler ein wenig nach links oder nach rechts, versammelt sie mehr im Zentrum oder schickt sie weiter auf die Flügel. Mal lässt er im alten 4-1-4-1 spielen, dann stellt er mit Fernando Torres und David Villa doch zwei Spitzen im 4-4-2 auf, um anschließend eine wieder etwas zurückzuziehen und die Mannschaft im 4-2-3-1 agieren zu lassen.
So richtig überzeugend ist bisher keine Variante gewesen, und so wird auch vor dem Spiel gegen Deutschland viel darüber debattiert, welche Formation dafür sorgen kann, dass Spanien wieder zur spielerischen Überlegenheit zurückfindet.
Zu Beginn des Turniers wurde del Bosque immer wieder, nicht zuletzt vom ehemaligen Trainer Luis Aragonés, dafür kritisiert, vom erfolgreichen System der Europameisterschaft 2008 mit nur einem echten "Sechser" (damals: Marcos Senna) abzurücken und mit Sergio Busquets und Xabi Alonso zumeist zwei zumindest nominell defensive Mittelfeldspieler aufzustellen. Diese Debatte hielt del Bosque stoisch aus, und in der Tat hat sie sich verflüchtigt wie die Torgefahr von Rooney, Messi und Ronaldo in der südafrikanischen Winterluft.
Inzwischen konzentriert sich die Diskussion auf ein anderes Thema, nämlich die Ausrichtung in der Offensive. Konkret, ob Torres eine weitere Chance in der ersten Elf erhalten soll. Er hat bis jetzt enttäuscht, er ist nach seiner Knieverletzung sichtlich außer Form und konnte dem Spiel seiner Mannschaft keine Impulse verleihen. Viel spricht dafür, dass er gegen Deutschland auf der Bank sitzen wird. Ob für ihn ein anderer Stürmer (Llorente) spielen wird oder aber ein weiterer Mittelfeldspieler (Fàbregas oder Pedro), ist allerdings offen, Trainer del Bosque hielt sich in den letzten Tagen bedeckt und ließ unter Ausschluss der Öffentlichkeit trainieren.
So oder so, sollte del Bosque mit seiner ersten Elf auch diesmal nicht die richtige Abstimmung gefunden haben, kann er sich immer noch auf seine Auswechslungen verlassen, mit denen er bisher fast jeder Partie eine neue Dynamik verleihen konnte. Ob mit Llorente gegen Portugal oder mit Pedro und Fàbregas gegen Paraguay: Die Auswechslungen sorgten dafür, dass das Spiel der Spanier strukturierter und flüssiger wurde und sich die Qualität der Mannschaft am Ende durchsetzte.
Vielleicht ist es das, was die Spanier so ruhig bleiben lässt: Das Wissen um ihre Fähigkeit, in ein Spiel hineinzufinden, es zu lesen und ihm dann eine entscheidende Wendung zu geben. Dass das gegen Deutschland allerdings vielleicht zu lange dauern könnte, sollte del Bosque wirklich beunruhigen.
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