Reaktionen auf Hartz-IV-Kompromiss: "Fauler Kompromiss"

Die Regierung feiert die Hartz-IV-Reform. Opposition und Sozialverbände sind dagegen. Sie zweifeln, ob die Neuregelung überhaupt verfassungskonform ist.

Ob ihm drei Euro mehr reichen? Der Paritätische Wohlfahrtsverband bezeichnete das Geschacher als "erbärmlichste Farce". Bild: dpa

BERLIN taz | Der Hartz-IV-Kompromiss ist am Montag auf Regierungsseite einhellig begrüßt worden. "Wir haben uns mit unseren Vorschlägen durchgesetzt", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach dem nächtlichen Verhandlungsmarathon. "Gewinner dieser Hartz-IV-Reform sind mit Sicherheit die Familien mit Kindern, aber auch die Kinder selbst", sagte Merkel.

Auch Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) war zufrieden: "Es war eine schwere Geburt. Aber es hat sich gelohnt. Wir haben schlussendlich sozialpolitische Geschichte geschrieben." Von der Leyen wies die Kritik, der Regelsatz sei nicht verfassungskonform, zurück. Auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sagte: "Ich glaube, dass diese politische Entscheidung auch vor Gericht Bestand haben wird."

Seehofer hatte in der Nacht zu Montag mit seinem rheinland-pfälzischen Amtskollegen Kurt Beck (SPD) und Sachsen-Anhalts Ministerpräsidenten Wolfgang Böhmer (CDU) sowie den Verhandlungsführern aus CDU, FDP, Grünen und SPD über die Kompromissvorschläge beraten. Die Grünen zogen sich schließlich aus den Verhandlungen zurück, "weil Schwarz-Gelb keine verfassungsfesten Regelsätze vorgelegt hat", wie Verhandlungsführer Fritz Kuhn gegenüber der taz begründete.

"Einem Ergebnis, das wir nicht für verfassungskonform halten, konnten wir nicht zustimmen." Auch das Angebot der Regierung beim Mindestlohn sei sehr schwach: "Ob die Beschäftigten in der Weiterbildung und im Wach- und Schließgewerbe tatsächlich mehr Geld in der Tasche haben, steht in den Sternen." FDP-Generalsekretär Christian Lindner kritisierte den Rückzug der Grünen: Sie hätten versucht, sich "gesichtswahrend rauszumogeln".

Die Sozialdemokraten übten sich gestern in einem Spagat: Verhandlungsführerin Manuela Schwesig sprach von einem Erfolg: "Das kann sich insgesamt sehen lassen." Die SPD wertet den Einstieg in den Ausbau der Schulsozialarbeit und die Zusage für weitere Mindestlöhne als Fortschritt. Beim Regelsatz habe man nach wie vor Bedenken, ob er verfassungskonform berechnet sei. "Wenn die Bundesregierung auf ihrer juristischen Meinung beharrt, dann muss sie da auch die Verantwortung übernehmen, wenn das Verfassungsgericht es noch einmal anders entscheidet", sagte Schwesig.

Anette Kramme, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, kritisierte das Ergebnis zur Regelsatzhöhe: "Ich kann nur raten, die Frage der Regelsatzhöhe per Klage wieder vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen", sagte Kramme der taz. Der Paritätische Wohlfahrtsverband bezeichnete das "Geschacher um 3 Euro mehr oder weniger" als "erbärmlichste Farce, die die deutsche Sozialpolitik je erlebt hat". Der Verband forderte die SPD auf, selbst eine Normenkontrollklage anzustrengen, damit Karlsruhe so schnell wie möglich erneut über die Regelsatzhöhe urteilen könne. "Es ist schwierig, gegen eine eigene Entscheidung zu klagen", betonte dagegen Kramme.

Sozialverbände und Gewerkschaften kritisierten die Einigung: "Das ist ein enttäuschender politischer Kompromiss, weil Hartz IV nicht armutsfest gemacht wird", sagte Annelie Buntenbach, DGB-Vorstandsmitglied. Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbands Deutschland, sprach von einem "mageren Ergebnis": "Insbesondere die Regelsatzberechnung ist weder transparent noch bedarfsgerecht und nachvollziehbar." Für Martin Behrsing vom Erwerbslosen Forum Deutschland ist das Verhandlungsergebnis ein "fauler Kompromiss". Unter den Betroffenen herrsche "Wut, aber auch Fassungslosigkeit" und man fordere die Leute auf, weiter gegen Hartz IV zu klagen.

Wie schnell die Hartz-Berechnung wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landet, hängt davon ab, ob Sozialgerichte ihnen vorliegende Fälle direkt an Karlsruhe weiterreichen oder ob sich Hartz-Bezieher erst durch alle Instanzen klagen müssen. Dann könnte eine neue Entscheidung erst in einigen Jahren fallen.

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