Arme Schiedsrichter: Mehr Respekt für die Männer mit Pfeife

Attacken gegen Schiedsrichter in den unteren Ligen häufen sich. Ohne Assistenten und vierten Mann an der Linie sind sie aggressiven Spielern oft hilflos ausgeliefert.

Warum tut sich das jemand an? Allein gegen alle für ein paar Euro und weg von der Familie? Bild: kallejipp / photocase.com

BERLIN taz | Nach dem Schlusspfiff hat sich der kleine Glatzkopf mit dem großen Glatzkopf in der Wolle. Böse Worte fallen. Die Spieler von Borussia Pankow und den Sportfreunden Neukölln laufen aufgeregt zusammen. Es kommt zur "Rudelbildung". Man schreit, gestikuliert. Schiedsrichter Gerald Bothe ist mittendrin, nach zwei Minuten hat sich die Aufregung gelegt. Der kleine Glatzkopf schiebt seinen Schmerbauch über den Platz, holt sich ein Bier im Vereinsheim des Neuköllner Silbersteinsportplatzes. Auch der große Glatzkopf dreht ab und freut sich über den 2:1-Sieg in der Seniorenliga. "Eigentlich hätte ich beiden die Rote Karte zeigen müssen", sagt Bothe, "aber das war das Fingerspitzengefühl, das Schiedsrichter angeblich nicht haben." Ein ganz normales Spiel ist das gewesen, versichert Bothe: zwei Gelbe Karten und 22 kickende Männer, deren Ehrgeiz Wochenende für Wochenende auf ganz großer Flamme brennt.

Die Partie am 7. Oktober war kein normales Spiel. In der 61. Minute wird Bothe von einem Spieler des Tempelhofer Vereins TSV Helgoland niedergeschlagen. Angreifer Hakan Güngör hat sich über eine Entscheidung Bothes empört. Er kommt von hinten, trifft Bothe hart. Der Unparteiische geht bewusstlos zu Boden. Verschluckt seine Zunge, fängt an zu krampfen. Die Lage ist lebensbedrohlich. Ein Spieler von Medizin Friedrichshain, ausgebildeter Rettungssanitäter, erkennt den Ernst der Lage und greift ein. Bothe wird mehrere Tage im Krankenhaus behandelt. Ein paar Tage nach seiner Entlassung pfeift er schon wieder. Es ist wie immer, bereits "nach 18 Sekunden versucht einer, mich komplett rundzumachen".

Sein Fall macht auf ein virulentes Problem im Berliner Fußball aufmerksam: Attacken gegen Schiedsrichter. In dieser Spielzeit hat es im Berliner Fußball 52 Übergriffe auf Referees gegeben. In einem Papier des Berliner Fußballverbandes (BFV) werden unter anderem 16 "tätliche Angriffe und versuchte tätliche Angriffe" aufgelistet, elf Beleidigungen "übelster Art", sieben "Bedrohungen". Ein Schiedsrichter, so ist zu lesen, wurde angespuckt. Das geschah im Spiel BSV Al-Dersimspor II gegen SC Charlottenburg II. Der Hergang: Schiri Ralf Kisting zeigt Deniz Aydogdu die Gelbe Karte. "Dir fehlt nur noch das blöde Grinsen im Gesicht", erwidert der Verwarnte. Er sieht daraufhin Gelb-Rot. Wütend bedroht der BSV-Spieler Schiri Kisting mit der Faust - und rotzt.

"In diesem Jahr haben sich die Übergriffe in einer merkwürdigen Mischung stark vermehrt", sagt Jörg Wehling vom Spandauer SV. Er sitzt im Schiedsrichterausschuss des Berliner Verbands und weiß um den Verdruss vieler Berliner Schiedsrichter, vor allem jener, die in den unteren Ligen ohne Assistenten und vierten Mann pfeifen. Für 15 Euro die Partie. In der Vergangenheit habe der Verband vielleicht "hier und da etwas unter den Teppich gekehrt und bagatellisiert", sagt er und berichtet vom Martyrium der Schiris, die Telefonterror und bisweilen auch die Ignoranz des Sportgerichts zu ertragen hätten. Es kam vor dieser Instanz immer wieder mal vor, dass Vereine sich etwas "auskungelten, und der Schiedsrichter stand dann bedröppelt da". Wehling fordert mehr Sensibilität von Verbandsseite, sieht aber auch eine Mitschuld der Pfeifenmänner. "In den unteren Ligen sind manche Schiedsrichter nicht mit dem großen Instrumentenkasten unterwegs", sagt er.

Die Angriffe auf Schiris münden immer wieder in Spielabbrüchen. 25 hat es nach Angaben des BFV in dieser Saison gegeben, eine Zahl, mit der der Verband recht gut leben kann. In der Saison 2006/07 wurden 101 Abbrüche gezählt, im Folgejahr 81. Seitdem liegt der Mittelwert bei etwa 73 Spielabbrüchen pro Spielzeit. Über die Ursachen ist man sich im Berliner Verband nicht einig. Während Sprecher Kevin Langner weder einen "Trend noch andere Tendenzen" erkennt, meint Wehling, häufig sei "ein Migrationshintergrund dabei, das tut weh, das zu sagen". Das liege aber weniger an den Spielern selbst als an einer nachlässigen und inkonsequenten Vereinsführung. Der Chef der Verbandsgerichts, Jürgen Lischewski, wird deutlicher: "Wenn jemand sagt: ,Ich ficke deine Mutter', dann sehen die Menschen mit Migrationshintergrund rot, das ist einfach so." Immerhin sei 21 Jahre nach dem Mauerfall die Ost-West-Problematik zu vernachlässigen, führt der 67-jährige Notar aus.

Verrohung der Sitten

Wen man auch fragt, alle sprechen von einer Verrohung der Sitten, von einem moralischen Niedergang, der sich auch auf den Berliner Fußballplätzen niederschlage.

Gerald Bothe spricht davon, dass der Fußball ein Spiegel der Gesellschaft sei. Einen Unterschied zwischen Türken, Arabern, Kroaten oder deutschen Spielern macht er nicht. "Verrückte" gebe es überall, sagt er. Auch bei Eiche Köpenick. Im Frühjahr wurde Bothe von drei Spielern dieses Vereins attackiert. Der Torwart will Bothe verprügeln, ein anderer schlägt ihm die Gelbe Karte aus der Hand, der Spielertrainer beleidigt den Schiedsrichter "aufs Übelste": deutsche Eichen allesamt. Es ist jener Spielertrainer, der Bothe nach dessen Knock-out im Internet verhöhnt. "Herr B. fühlt sich in seiner Opferrolle sichtlich wohl", schreibt er auf nordostfussball.de, "traurigerweise kam der Schläger nicht aus Köpenick, sondern aus Tempelhof."

Warum tut sich das jemand an? Allein gegen alle, manchmal vier Spiele an einem Wochenende, nur ein paar Euro Aufwandsentschädigung und weg von der Familie? "Die Frage ist nicht, warum ich mir das antue, sondern warum solche Spieler noch auf dem Platz sind", antwortet der 50-Jährige. Das Pfeifen mache ihm nun mal Spaß, "ich beobachte auch sehr gerne". Aber wiegt das die Anfeindungen auf, die Pöbeleien, ein Dasein als Paria, Buhmann und Hassobjekt? "Ich weiß, wir werden als Außerirdische angesehen, die nur dazu da sind, das Spiel zu zerstören." Aber jetzt, nach all dem Medienrummel um seine Person, habe er die Möglichkeit, etwas zu verändern. "Vorher war ich vielleicht der Querulant, inzwischen sieht das anders aus." Alle waren sie da: ARD, FAZ, ZDF. Bothe fühlt sich wohl im Fokus der Öffentlichkeit. "Ich wusste, irgendwann kommt meine Chance", sagt er, wohl wissend, dass er diese Chance mit einem Krankenhausaufenthalt und einem Blutgerinnsel im Kopf bezahlen musste.

Problemspieler "aussortieren"

Im Januar möchte er dem Verband einen Katalog mit Maßnahmen vorlegen. Problemspieler, fordert er in seiner Agenda, müssten von den Vereinen "aussortiert" werden. Wenn nötig, sollte vor dem Vereinseintritt ein polizeiliches Führungszeugnis verlangt werden. Meint er das ernst? Ja, antwortet Bothe, in Unternehmen sei das schließlich auch nicht anders; er hat selber mal ein kleines Unternehmen in der Zeitarbeitsbranche geführt. Darüber hinaus sollten gewaltbereite Kicker zu Schiedsrichtern ausgebildet werden, "damit könnte man dann auch das Nachwuchsproblem bei Schiedsrichtern in Berlin lösen".

Man merkt dem Schiri von Hetha BSC Berlin an, dass die Attacke am 7. Oktober nicht so spurlos an ihm vorbeigegangen ist, wie er glauben macht ("Ich habe ja keine Erinnerung daran, mir fehlt nur eine halbe Stunde meines Lebens"). Seit dieser Sache trägt er ein Mikrofon am Jersey und ein kleines rotes Aufnahmegerät in der Tasche. Es zeichnet alles auf, was während der 90 Minuten gesagt wird. Außerdem stellt sich Bothe vor Spielbeginn beiden Mannschaften als jener Schiedsrichter vor, der niedergeschlagen wurde. "Ich gehe offensiv damit um, irgendwie muss man sich ja Respekt verschaffen", erklärt er die ungewöhnlichen Maßnahmen, die beim Berliner Verband auf wenig Gegenliebe stoßen. Dort heißt es, ein Unparteiischer sollte nicht mit Mikro als potenzieller Ermittler auftreten, sondern einfach nur die Spiele pfeifen. Auch sein Auftreten in der Öffentlichkeit passt vielen nicht.

Bothe ist das egal. Er befindet sich auf einer Mission: Mehr Respekt für die Männer mit der Pfeife! Er will nicht mehr Freiwild sein, Opfer schon gar nicht. Jeden, der ihn beleidigt, zeigt er an. Körperliche Attacken sowieso. Sein Peiniger befindet sich mittlerweile auf der "schwarzen Liste" des Verbandes. Er kann erst in fünf Jahren ein Gnadengesuch auf Wiedereingliederung in den Berliner Fußball stellen. Gerald Bothe dürfte das gefallen.

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