Flüchtlingspolitik in Australien: „Ich gebe hier keine Fluchttipps“

Australien nehme die internationalen Verpflichtungen zum Flüchtlingsschutz sehr ernst, verteidigt Ex-Premier Kevin Rudd die Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik.

Flüchtlingsboot: gestrandet auf dem Weg nach Australien. Bild: dapd

taz: Am Freitag sind die ersten 30 Bootsflüchtlinge von Australiens Weihnachtsinsel in ein Lager in den Pazifikstaat Nauru gebracht worden. Nachdem Sie Premierminister in Canberra geworden waren, hatten Sie 2008 das Lager in Nauru schließen und Asylbewerber fortan in Australien selbst überprüfen lassen. Warum?

Kevin Rudd: Meine Regierung wurde gewählt mit dem Versprechen einer humaneren Behandlung von Asylsuchenden. Dazu gehörte, Zwangsinternierungen von Flüchtlingskindern zu beenden und Flüchtlinge künftig auf Australiens Weihnachtsinsel zu überprüfen. Doch seitdem haben sich Dinge geändert. So hat sich die Zahl der Flüchtlinge aus der Region durch politische Unruhen dort erhöht, besonders durch den Bürgerkrieg in Sri Lanka. Das zwang Australiens jetzige Regierung von Premierministerin Gillard, kürzlich neue Maßnahmen zu ergreifen.

Von denen, die per Schiff übers Meer zu uns fliehen, ertrinken viele. Deshalb müssen wir Menschen an der Flucht per Boot hindern. Zugleich müssen mehr Flüchtlinge, die vom UNHCR offiziell anerkannt sind, aufgenommen werden. Australien nimmt nach den USA und Kanada die dritthöchste Zahl der Welt auf. 20.000 können jetzt pro Jahr aus allen Flüchtlingslagern der Welt zu uns kommen.

Bestätigt das nicht indirekt den Vorwurf, dass Australien bisher schon längst mehr Flüchtlinge hätte aufnehmen sollen?

Nein, wir nehmen unsere internationalen Verpflichtungen des Flüchtlingsschutzes sehr ernst. Das zeigt sich doch darin, dass, wenn wir weniger Boat People aufnehmen, um sie vom Risiko der Fahrt abzuhalten, wir gleichzeitig mehr anerkannte Flüchtlinge aufnehmen. Die moralische Frage ist doch: Wie viel Leute darf man ertrinken lassen, bevor man Maßnahmen zur Abschreckung unternimmt?

Kevin Rudd, (54, Labor) war von 2007 bis 2010 Australiens Premierminister, bevor er von seiner Stellvertreterin Julia Gillard gestürzt wurde. Von 2010 bis Februar 2012 war er Außenminister.

Warum wehrt sich Australien so gegen Flüchtlinge, die dort direkt Asyl beantragen?

Das setzt doch voraus, dass sie es bis Australien schaffen. Damit werden die übergangen, die bereits in Lagern sind, was ein moralisches Problem ist. Denn diese sind früher geflohen und vom UNHCR anerkannt. Australien hat eine offene Migrationspolitik. Wir nehmen 180.000 Einwanderer pro Jahr aus aller Welt auf, dazu 20.000 anerkannte Flüchtlinge. Dann haben wir noch 300.000 ausländische Studenten und Saisonarbeiter im Rahmen von Working-Holiday-Visa.

So nimmt unser Land von 23 Millionen Einwohnern eine halbe Million Menschen pro Jahr auf, davon 200.000 dauerhaft. Eine große Zahl. Dass wir unterscheiden, wer übers Wasser kommt, liegt daran, dass zu viele dabei ertrinken. Viele Bootsflüchtlinge kommen aus Ländern wie dem Iran, doch für Iraner ist die Anerkennungsquote als Flüchtlinge international gering. Das hält sie leider nicht davon ab, mit ihren Kindern die gefährliche Fahrt zu riskieren.

Auf Initiative von Premierministerin Julia Gillard (Labor) beschloss das australische Parlament am 15. August, nach Australien geflohene „Boat People“ wieder außerhalb des Landes zu internieren und dort zu überprüfen. An diesem Freitag wurden die ersten 30 Flüchtlinge von Australiens Weihnachtsinsel in den Südpazifikstaat Nauru gebracht. Gillards Amtsvorgänger und Parteikollege Rudd hatte diese „pazifische Lösung“ genannte Politik 2008 gestoppt. Sie war Ende 2001 vom konservativen John Howard eingeführt worden. Menschenrechtsgruppen kritisierten diese Politik als unmenschlich. Gillard folgte mit ihrer Kehrtwende einer Kommission, die sie nach mehreren Untergängen von Flüchtlingsbooten und dem Anstieg der Flüchtlingszahlen eingesetzt hatte. Die Kommission empfahl, künftig 20.000 statt 13.500 Flüchtlinge pro Jahr aufzunehmen, was beschlossen wurde. (han)

War es ein Fehler, das Lager in Nauru geschlossen zu haben?

Das Problem hat viele Dimensionen. Wir haben ja die Zwangsinternierung für alle Asylsuchenden beibehalten, egal, ob sie per Boot oder Flugzeug kommen. Wir haben die Bearbeitungszeit während der Zwangsinternierung auf drei Monate begrenzt. Früher war das unbegrenzt. Und wir haben dafür gesorgt, dass Kinder nicht mehr interniert werden.

Boat People wurden fortan auf der Weihnachtsinsel überprüft. Es hat sich seitdem aber aus verschiedenen Gründen die Zahl der Bootsflüchtlinge stark erhöht wie auch die Zahl derjenigen, die ertrunken sind. Deshalb ist es verantwortliche Politik, Menschen davon abzuhalten. Deshalb hat die Regierung die Politik wieder geändert.

Australiens konservative Opposition sagt, gerade Ihre Schließung des Lagers in Nauru war der Anreiz, dass wieder mehr Flüchtlinge übers Meer kamen.

Das sind typische Worte von Politikern. Unser Job ist doch, die Migrationspolitik zu regeln. Wir sind ein Land, in dem von 23 Millionen Menschen ein Drittel im Ausland geboren wurde, zählen wir die Elterngeneration mit, ist es gar die Hälfte. Wir sind also sehr offen und nehmen deshalb 180.000 Migranten im Jahr auf. Wir glauben, wir machen die richtige Migrationspolitik.

Wie kann ein Tamile aus Sri Lanka nach Australien fliehen?

Flieht jemand, geht es laut Flüchtlingskonvention nicht darum, dass die Person ihr Wunschland erreicht, sondern vor Verfolgung geschützt wird. Ich gebe hier keine Fluchttipps. Das UNHCR verwaltet die Flüchtlinge. Ist eine Person im UNHCR-Prozess, übernehmen irgendwann Aufnahmeländer den Fall. Würde jeder Flüchtling gefragt, wo er gern hinwollte, würden die meisten wohl Deutschland, Schweden oder Australien sagen. Dafür wurde die Konvention aber nicht geschaffen. Es geht nicht um wirtschaftliche Motive, sondern um Schutz.

Kritiker empfinden Australiens Flüchtlingspolitik insofern als rassistisch, als Zwangsinternierungen von Bootsflüchtlingen Personen aus armen Staaten betreffen, während wohlhabendere Migranten aus Industrieländern als Touristen einreisen, dann untertauchen und meist damit durchkommen.

Das stimmt nicht. Von den 180.000 regulären Einwanderern, die wir pro Jahr aufnehmen, kommt die Mehrzahl aus nichtwestlichen Staaten. Und von den 20.000 Flüchtlingen, die wir jedes Jahr aufnehmen, kommt die Mehrheit aus Afrika. Und im Internierungslager Villawood in Sydney gibt es viele junge Europäer, die ohne gültige Visa aufgegriffen wurden.

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