Kommentar Vergewaltigungen in Indien: Kein Herbst der Patriarchen
Das Indien-Bild der englischsprachigen und ausländischen Medien suggeriert eine wehrhafte demokratische Öffentlichkeit. Doch die gibt es nicht.
D as englischsprachige indische Magazin Tehelka titelte jüngst mit einer Geschichte über den „Herbst des Patriarchats“. Indiens Frauen „hätten zwar noch nicht die Bastille erstürmt, aber“ – so der Mut machende Tenor zu den Reaktionen auf die brutale Vergewaltigung einer Medizinstudentin in Delhi. Viele Beobachter loben jetzt, dass die indischen Medien ausführlicher über Vergewaltigungen berichten.
Auch hat die Regierung eine neue Verordnung in Kraft gesetzt, die Vergewaltigungen strenger bestraft. Innerhalb der informierten indischen Öffentlichkeit und im Ausland kann so leicht der Eindruck entstehen, als hätte der Delhier Vergewaltigungsfall tatsächlich ein Umdenken ausgelöst.
Doch das ist weit von der Wirklichkeit entfernt. Seit Wochen bekam die internationale Frauenkampagne der amerikanischen Feministin Eve Ensler „One Billion Risung“ in Indien alle nur erdenkliche Aufmerksamkeit in den englischsprachigen Medien des Landes. Ensler tourte im Januar lange durch Indien und empfand eine Aufmerksamkeit für das Thema Vergewaltigung, die sie selbst so noch nie erlebt hätte.
berichtet seit 2009 für die taz und die Zeit aus Indien und Pakistan. Davor arbeitete er von 1990 bis 1997 als Korrespondent in Tokio und danach 12 Jahre in Peking, wofür ihm 2007 der Liberty Award verliehen wurde.
Doch sie war Opfer der indischen Selbstverblendung in den Medien. Als dann am Valentinstag die große „One Billion Rising“-Aktion stattfand, versammelte sich vor dem Parlament in Delhi ein kleiner Haufen Ausländer und UN-Mitarbeiter.
Es ist manchmal schwer zu erklären, wie abgehoben das Indien-Bild der englischsprachigen und ausländischen Öffentlichkeit ist. Dieses Bild suggeriert eine wehrhafte demokratische Öffentlichkeit in Indien, die es im für das Land repräsentativen Maßstab nicht gibt. Jeder Vergewaltigungsfall, den die Medien jetzt melden, kann das im Einzelnen belegen. Denn fast immer bleiben die Opfer auch die moralischen Verlierer. Indiens Patriarchat steht in voller Blüte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja