Eurokolumne: „Haltet den Zyprer!“

Der Russe ist ein böser Oligarch und der Zypriot ein Geldwäscher. Aber was tun deutsche Politiker gegen die Steuertricks deutscher Unternehmen?

Ein Oligarchengeld bewachender Russe. Bild: reuters

Es ist wie beim alten Gaunertrick: „Haltet den Dieb!“, rufen die Verantwortlichen für die vergurkte Zypern-Rettung, um von ihrem Versagen abzulenken. Besonders dreist ist, dass sie mit ihrem Nationalchauvinismus beim bürgerlichen Publikum auch noch durchkommen, da es gegen Russland geht.

Russische Spareinlagen auf zyprischen Banken stammen – so lesen wir – grundsätzlich von Oligarchen. Und Geld von Oligarchen ist – so lesen wir – grundsätzlich illegal, stammt aus Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Daher ist es – so ahnen wir – auch nur rechtens, wenn man den Besitz russischer Staatsangehöriger im EU-Land Zypern beschlagnahmt.

Die Russen sind schuldig – ohne Prozess, ohne Richter, ohne Verteidigung, ja gar ohne Anklage und auch ohne jegliche Beweise. Was ist eigentlich ein „Oligarch“? Das Oxford Dictionary definiert den Begriff so: ein sehr reicher Geschäftsmann mit hohem politischem Einfluss. Nach dieser Definition wären auch die Damen Springer, Mohn und Klatten Oligarchinnen. Macht etwa auch die Deutsche Bank, bei der die Axel Springer AG ihre Konten führt, Geschäfte mit Oligarchen?

Wäre es legitim, der Deutschen Bank vorzuschreiben, von heute auf morgen zehn Prozent der Einlagen von Frau Springer zu konfiszieren? Sind doch nur „Oligarchengelder“. Wie würde die deutsche Regierung handeln, wenn ein Staat, nennen wir ihn Liechtenstein, mit dieser Begründung deutsche Staatsgehörige teilenteignen würde? Peer Steinbrück dürfte seine „Kavallerie“ aufsatteln lassen.

Nun ist Liechtenstein kein Staat, der etwas gegen Oligarchengelder, egal aus welchem Land, hätte – ganz anders als linke Populisten wie Hugo Chávez oder Evo Morales … und europäische Finanzminister. Mehr als 20 Milliarden Euro sollen russische Oligarchen auf der Mittelmeerinsel „bunkern“. Ja: Russen „bunkern“; wenn Deutsche Gelder verschieben, dann „investieren“ sie.

So, so.

Richtig ist: Zahlreiche russische Geschäftsleute, die man als Oligarchen bezeichnen könnte, kontrollieren über zyprische Holdinggesellschaften russische Konzerne. Dazu gehören einige der weltgrößten Stahlkonzerne, Bergbau- und Energieunternehmen. Alles nur Geldwäsche? Sicher, der Hauptgrund, Unternehmensteile nach Zypern zu verlegen, dürften die niedrigen Steuersätze sein. Aber im Falle russischer Unternehmen ist dies ein Problem Moskaus – schließlich schädigt die Steuerflucht den russischen Fiskus. Ein weiterer Vorteil Zyperns ist die Rechtssicherheit, die mit einem Firmensitz in der EU verbunden ist.

Frau Merkel sollte sich künftig sehr gut überlegen, ob sie Russland ermahnen will, die Rechtssicherheit für Investoren zu verbessern. Dies könnte in Moskau als schlechter Witz verstanden werden. Und bevor wir nun den Russen Vorwürfe wegen „ihrer“ Holdinggesellschaften auf Zypern machen: Wie sieht es denn bei der Speerspitze der deutschen Unternehmen aus?

Es gibt wohl kein DAX-Unternehmen, das keine Niederlassung in einer der Steueroasen der westlichen Hemisphäre hätte. Keine größere deutsche Bank kommt ohne Niederlassung in fragwürdigen Inselstaaten aus. Was bei hiesigen Unternehmen die kreative Nutzung des internationalen Steuerwettbewerbs ist, bedeutet bei den russischen Schattenwirtschaft, Geldwäsche und Steuerhinterziehung.

So, so.

Sicher: Moskau kann und muss russische Unternehmen, die mit Steuertricks den Fiskus schädigen, juristisch verfolgen. Wenn solche Vorwürfe aber von deutschen Politikern kommen, sollte die Frage gestattet sein, was eben diese Politiker gegen die Steuertricks deutscher Unternehmen tun, die den deutschen Fiskus schädigen.

„Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, den Balken im eigenen Auge aber nimmst du nicht wahr?“, fragt Jesus im Matthäusevangelium. Wir wissen ja schließlich alle: Der Russe ist ein böser Oligarch, der Zypriot ein Geldwäscher, der Grieche, das hat sich längst gezeigt, stinkfaul – und wir die Musterknaben in allen denkbaren Disziplinen. Die Welt muss uns lieben.

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