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Kolumne NüchternDen Kumpelabend basteln

Daniel Schreiber
Kolumne
von Daniel Schreiber

Um Erlebnisse intensiv zu erfahren, braucht man ein Hilfsmittel, denkt man sich. Aber viele benutzen Trinken einfach, um den Lärm im Kopf zu beruhigen.

Szene aus dem Film „Letzte Runde“: Eine Männerfreundschaft, die überwiegend in der Kneipe gepflegt wird. Bild: dpa

N achdem er mit dem Trinken aufgehört hatte, erklärte der französische Philosoph Gilles Deleuze, Autor von „Tausend Plateaus“, dass man dem Werk immer etwas opfern muss und dass für ihn nun eben der Alkohol an der Reihe war.

Jahrelang hatte er wie viele Philosophen und Schriftsteller vor und nach ihm unter Einfluss geschrieben. Das Trinken, habe er lange gedacht, würde ihm dabei helfen, Begriffe zu kreieren, die zu stark für ihn seien, auf Gedanken zu kommen, die man dem Leben nur mit Alkohol abringen konnte. Bis ihm auffiel, dass das alles großer Quatsch war.

Während meines Redaktionsjobs, der nach allen Maßgaben des Vorstellungsvermögens nicht zu groß für irgendein Leben war, habe ich immer ein ganz ähnliches Gefühl gehabt. In gewissem Sinne beschreibt Deleuze eine Struktur, die viele Bereiche unseres Lebens umfasst, wenn man gewohnheitsmäßig trinkt – nicht nur die eigene Arbeit, sondern auch Freundschaft, Familie oder Liebe und Sex. Um sie dem Leben abzuringen und intensiv zu erfahren, braucht man ein Hilfsmittel, denkt man sich.

Daniel Schreiber

lebt in Berlin. Er ist Autor der Biografie „Susan Sontag. Geist und Glamour“.

Das scheint tief in unserem kollektiven Verhalten verankert zu sein. Man kennt diese Denkstruktur nicht nur aus den literarischen Apotheosen des Rauschs von Fitzgerald oder Hemingway; in vulgarisierter Form begegnet man ihr an jeder Straßenecke.

Wozu Cola?

Etwa, wenn Bacardi für seinen neuen Rum namens „Oak“ mit dem Spruch Werbung macht: „Wir basteln uns einen Kumpelabend: Oak. Cola. Fertig.“ Das wird bestimmt ein lustiger Kumpelabend, denkt man sich. Es fragt sich nur, wozu man die Cola braucht.

Ich habe noch kein Familienfest erlebt, das nicht für ein paar Familienmitglieder im Halbrausch endete, war noch auf keiner Bürofeier, von der Leute nüchtern nach Hause gingen, und kenne viele Paare, deren abendliches Ritual darin besteht, sich ein, zwei Flaschen Wein zu teilen.

Ich bin schon oft genug neben jemandem aufgewacht, den ich nicht kannte, um festzustellen, dass betrunkener Sex eine recht verbreitete kulturelle Praxis ist, und habe mich in teuren Restaurants eigentlich immer lieber darüber unterhalten, wie der Wein zum Essen passt, als über das Essen selbst. Das alles ist ein Teil der Realität, der einem erst bewusst wird, wenn man nicht mehr trinkt.

Die Erfahrungen sind das Leben

Die Wahrheit ist natürlich, dass man dem Leben nichts abringen muss – weder irgendwelche intensiven Erfahrungen und Arbeitstage noch Kumpelabende, Sex oder Haute Cuisine. Denn die Erfahrungen sind das Leben. Und viele von uns benutzen das Trinken einfach, um den Lärm im Kopf zu beruhigen, der den Genuss dieser Erfahrungen sonst verstellen würde.

Um unsere Schuldgefühle, Unsicherheiten und zurückgehaltenen Vorwürfe handhabbar zu machen, dem Gefühl der eigenen Bedeutungslosigkeit im Büro zu begegnen, um sich abzulenken von dem, was man eigentlich schon immer wirklich mit seinem Leben machen wollte.

Gewohnheitsmäßiges Trinken mag zunächst dabei helfen, das alltägliche, innere Unglück einzudämmen. Aber irgendwann sorgt es vor allem dafür, dass man nichts daran ändert: dass man nicht allein ins Kino geht, anstatt mit dem Ehemann schon wieder den „Tatort“ zu schauen, oder nicht auf den Typen wartet, mit dem man wirklich schlafen will.

Dass man sich der Trotteltyrannei im Büro nicht entzieht, eben nicht wirklich mal den Jakobsweg entlangpilgert oder „Krieg und Frieden“ liest. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass Sie all diese Sachen gleich einfach so machen werden, sollten Sie auf das Trinken verzichten. Aber die realistische Möglichkeit besteht dann.

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Daniel Schreiber
Schreibt für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und das Radio über Literatur und Kunst. Sein Buch "Susan Sontag. Geist und Glamour", die erste umfassende Biografie über die amerikanische Intellektuelle, ist im Aufbau-Verlag und in amerikanischer Übersetzung bei Northwestern University Press erschienen. Im Herbst 2014 kommt sein neues Buch "Nüchtern. Über das Trinken und das Glück" bei Hanser Berlin heraus. Darin erzählt er seine persönliche Geschichte und macht sich über die deutsche Einstellung zum Trinken und Nicht-Trinken Gedanken. Schreiber lebt in Berlin. ( http://daniel-schreiber.org )
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9 Kommentare

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  • P
    petronius

    "dass man nicht allein ins Kino geht, anstatt mit dem Ehemann schon wieder den „Tatort“ zu schauen, oder nicht auf den Typen wartet, mit dem man wirklich schlafen will.

     

    Dass man sich der Trotteltyrannei im Büro nicht entzieht, eben nicht wirklich mal den Jakobsweg entlangpilgert oder „Krieg und Frieden“ liest. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass Sie all diese Sachen gleich einfach so machen werden, sollten Sie auf das Trinken verzichten. Aber die realistische Möglichkeit besteht dann."

     

    die besteht auch dann, wenn man alkohol trinkt und sogar dann, wenn man ab und zu - bei familienfeiern z.b. - einen im tee hat

     

    wer ein alkoholproblem hat, sollte nicht trinken. und mein respekt gilt allen, die das durchhalten

     

    aber keinen alkohol zu trinken, macht uns auch nicht per se zu besseren, kreativeren, unternehmungslustigeren etc. menschen

  • W
    wauz

    Was sagt uns das Bild zum Artikel? Tatsächlich etwas, wenn man die Bildunterschrift liest. Diese Illustration passt. Gut! (Der Text taugt auch!)

  • KF
    Krieg & Frieden

    Danke für die kleine Lebenshilfe. Der Autor überschätzt allerdings die Schwere und / oder das Sinnstiftungspotential der Lektüre von Krieg und Frieden; vermutlich, da es sich um eines seiner unerfüllten Ziele handelt. Das ist einfach nur ein Roman mit einem grossen Namen. Trotzdem trifft der Artikel ins Schwarze.

    • P
      Proust
      @Krieg & Frieden:

      Hauptsache mal kundtun, dass man dieses Werk gelesen hat, ne? ;-)

  • S
    Steinefreund

    Schön finde ich, dass das captcha GRAS lautet. Unterschwellige Botschaften.

  • NP
    Null Promille

    Spätestens wenn die Diagnose "Leber-Zirrhose" lautet, ist alles zu spät. Das Endstadium der Selbstzerstörung ist fürchterlich.

  • ML
    Mac Lennox

    Selten solch einen pointierten Artikel zum Thema Alkohol gelesen.

     

    Allerdings sollte man dabei nicht vergessen, dass es verschiedene "Säufertypen" gibt.

     

    Mitnichten existieren nur die "Genusstrinker", die sich mehr oder weniger "beherrschen" können.

     

    Mir fehlt ein Artikel über hemmungslose Säufer, die nicht mehr wissen, wer sie sind, woher sie kommen und wie sie überhaupt in jene missliche Lage geraten sind.

     

    Nichtsdestotrotz ein sehr gut geschriebener Beitrag zur Droge schlechthin - in unserer Gesellschaft.

  • R
    Rotwein

    Also ich geh dann doch mal gern allein ins Kino anstatt den Tatort mit meiner Frau zu gucken (durch die Kinder wird es zu zweit eher schwierig) und trink dann dort mein Glas Wein ;-)

  • D
    Danke!

    Ein ganz toller Beitrag, danke dafür!