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Neue Grünen-Fraktion wählt SpitzeDer Toni und die KGE

Der Linke Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt führen künftig die Grünen-Fraktion. Die Thüringerin zeigte ihren Machtwillen im Duell gegen Kerstin Andreae.

Der Mann rechts steht eigentlich links der beiden Frauen. Und von denen darf die etwas Linkere künftig führen Bild: montage: dpa/taz

BERLIN taz | Katrin Göring-Eckardt erzählt gern eine Anekdote aus ihrer Jugend in der DDR, um zu illustrieren, wie sie sich einen geraden Rücken antrainierte. Ihr Vater betrieb eine Tanzschule in Gotha. Mit zwölf ließ er sie auf Stöckelschuhen vor 120 aufgekratzten 16-Jährigen durch den Tanzsaal laufen. Durchziehen, nicht nach links oder rechts schauen, Göring-Eckardt hat das früh gelernt.

Dienstagnachmittag, dritter Stock des Bundestages, Fraktionssitzungssaal der Grünen: Göring-Eckardt, die Frau, die bei den Grünen schon vieles war, ist wieder ganz oben angekommen. Gerade haben sie die 63 Abgeordneten der neuen Fraktion zu ihrer neuen Chefin gewählt, geheim, extra waren zwei Wahlkabinen in dem hohen Raum aufgebaut.

Sie bekam 41 Stimmen und ließ ihre Konkurrentin Kerstin Andreae - 20 Stimmen, 2 Enthaltungen) - deutlich hinter sich. Ein „überzeugendes Ergebnis“ nannte Göring-Eckardt das. Nun könne ein Neuanfang beginnen, ohne dabei alles Alte infrage zu stellen.

Die 47-jährige Thüringerin hatte sich mit der Wirtschaftspolitikerin aus Baden-Württemberg ein Duell um den wichtigsten Job der Grünen geliefert. Dass Göring-Eckardt es für sich entschied, hat mit ihrem Machtwillen zu tun, den viele der besonnen auftretenden Grünen erst mal nicht zutrauen.

Für ihren Erfolg gibt es mehrere Motive. Göring-Eckardt steht für Kontinuität in einer Umbruchphase, in der die Grünen ihre altgedienten Führungsfiguren abgeschüttelt haben. Sie kennt die Tücken des Betriebs. Neben ihr wird ihr neuer Kovorsitzende Anton Hofreiter einiges lernen müssen. Der Verkehrspolitiker wurde als einziger Kandidat des linken Flügels mit 49 Stimmen unter den 63 Abgeordneten gewählt.

Zweite Chance

Göring-Eckardt machte schon in der rot-grünen Regierung unter Joschka Fischer eine steile Karriere. Nach der Abwahl von Rot-Grün strafte ihre von der Agenda 2010 frustrierte Partei sie ab, Göring-Eckardt verlegte sich stärker aufs Repräsentative - als Bundestagsvizepräsidentin und prominentes Gesicht der evangelischen Kirche.

Die machtbewusste Grüne nutzt also gerade ihre zweite Chance. Eröffnet hat sie ihr die Urwahl im vorigen Jahr, bei der die Mitglieder sie überraschend zur Spitzenkandidatin kürten. Am Dienstag konnte Göring-Eckardt auf die Stimmen der linken Abgeordneten zählen, sie schaffte den Brückenschlag für die Lager hinweg. Dem konnte Andreae, die von vielen als zu wirtschaftsaffin wahrgenommen wird, nichts entgegensetzen.

Göring-Eckardts Schwerpunkt ist die Sozialpolitik. Als Spitzenkandidatin habe sie glaubhaft Positionen zur sozialen Gerechtigkeit vertreten, sagen mehrere Parlamentarier. Ihr Sieg ist also Ausdruck der Furcht, dass dieses Thema bei der Neuausrichtung der Grünen ins Hintertreffen geraten könnte.

Göring-Eckardts inhaltliche Wendigkeit scheinen ihr dabei die meisten verziehen zu haben. Unter Rot-Grün war sie eine eifrige Verfechterin der Hartz-Reformen, die Urwahl gewann sie mit einem dezidiert linken Sound, jetzt blinkt sie wieder in Richtung bürgerliche Mitte.

Alle Grünen, die man fragt, bescheinigen Göring-Eckardt großen Machtinstinkt und strategische Versiertheit. Wie richtig sie liegen, hat die Grüne in den Wochen nach der Wahl vorgeführt. Geschickt nutzte sie die Egoismen der Parteiflügel für sich. Sofort nach der Wahl begann sie, sich von dem plötzlich allgemein als zu links empfundenen Kurs im Wahlkampf abzusetzen.

Blitzschnell reagiert

In der Fraktion waren Andreaes Ambitionen ein offenes Geheimnis. Doch Göring-Eckardt agierte blitzschnell: Schon auf der ersten Fraktionssitzung zwei Tage nach der Wahl erklärte sie, dass sie kandidieren werde. Göring-Eckardts Auftritt sei „extrem gut vorbereitet“ gewesen, berichteten Teilnehmer.

Auf einem kurz danach anberaumten Flügeltreffen der Realos bewies sie Nehmerqualitäten. Andreae bekam den weitaus stärkeren Applaus, die Mehrheit schien klar. Katrin Göring-Eckardt konterte kühl, sie stelle sich trotzdem in der Fraktion zur Wahl. Auf dem folgenden Kleinen Parteitag hielt sie eine taktisch kluge Rede, in der sie das Bedürfnis der Realos nach einer Neuausrichtung adressierte, aber auch Ängste der Linken.

So vorbereitet war ihre Wahl fast eine Formalie. Die entscheidenden Schachzüge hatte Katrin Göring-Eckardt schon vorher gemacht.

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21 Kommentare

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  • B
    Bronko

    Frau Göring-E. setzt sich für die Öffnung Deutschland für Migranten ein, "... weil wir auch Menschen hier brauchen, die in unseren Sozialsystemen zu Hause sind und sich auch zu Hause fühlen können" (O-Ton im Morgenmagazin). Herrlich, genau DAS möchte der deutsche, bulgarische und rumänische Michel hören!

    • LP
      le pet
      @Bronko:

      Tja, was erwarten Sie von einer Person, die ausser tagein, tagaus nix als Kirchenklüngel in Ost- u. späters West-D und ansonsten nix von diesem Planeten gesehen, erlebt hat; richtig: kein bedingungsloses Grundeinkommen, aber (trotz planetarischer Überbevölkerung) die Forderung für eine bedingungslose Kindergrundsicherung in Höhe von 300 Euro im Monat. Und nicht zu vergessen: Religionsunterricht möchte sie in allen (Bundes-) Ländern als verfassungsmäßig garantiertes Recht verankert wissen!

      Demnächst gibt ’s vielleicht auch noch ’ne Staatsbibel für jeden?!

  • S
    Stefan

    @der liberale:

    Schon trautrig, dass manche Leute Wirtschaftskompetenz mit Neoliberalismus verwechseln!

  • S
    Ästhetik

    Ich mag oberflächlich sein, aber ich denke, man sollte wissen, wann es Zeit ist, die Haare zu kürzen. Was mit 20 gut aussehen mag, ist mit über 40 bei vielen - rein ästhetisch - eher peinlich.

  • P
    Paul

    Hofreiter???

     

    Naja, als letztes Aufgebot haben die jetzt den allerletzten Hippie exhumiert???

     

    Schicke Frisur übrigens!!!

  • G
    Gast

    Erschreckend - das Bild zu diesem Artikel, mit dem schwarzen Kreuz durch ein Menschengesicht, erinnert massiv an faschistische Plakate. Was für ein Menschenbild haben der zuständige Bildredakteur und der Autor des Artikels, soweit er darauf Einfluss nehmen kann?

  • kleiner Schmunzler: falls es unseren westdeutschen Brüdern u. Schwestern noch nicht mitbekommen haben, der Osten hat das Land übernommen, Beispiele: Merkel, Gauck, Katrin Göring Eckardt alles OSSI's...,

    und bald auch der große FC Bayern München, M. Sammer macht daß schon...,

    ;) bitte locker bleiben...,

  • H
    H.Alleluja

    Bundespräsident: ev. Pastor, Bundeskanzlerin: ev. Pastorentochter, Vorsitzende der Grünen: ev. Pastorin, Vorsitzender der CSU: ein Scheinheiliger, Vizevorsitzende der "Linken": Kopie einer Säulenheiligen. Halleluja...

  • L
    lowandorder

    Na - wieder die mailmotten? 2.0

     

    Hartz-IV-Verbrecherin macht einen auf dufte:

    "…was stört mich mein Schnacken von gestern"

     

    Wendy-Windy-Katrin on high heels;

    wer's mach, mach's ja mögen;

    aber wer's nich mach,

    mach's ja wohl auch nich;

     

    un jümmers wat mit de Kark anne Hacken;

    Vize-Antje läßt grüßen.

  • U
    ulankowski

    dieser pastorin trau ich nicht über den weg !! die 180-grad-wendemanöver sind karrieremäßig durchkalkuliert. siehe hartz 4- episode... sie sollte mal lieber wieder in der kirche predigen, vielleicht gewinnt sie da an glaubwürdigkeit zurück....

  • GA
    G. Ast

    Die KGE ist am dampfen! :)

  • R
    reblek

    Mal abgesehen davon, dass ich diese Durchkreuzung des Portraits ziemlich widerlich finde, weil so etwas vor etlichen Jahren in deutschen Polizeistationen passiert ist: Die Abteilung Überschriften war mal wieder zu, sorry, dämlich, den Namen der Dame einfach korrekt abzuschreiben. Die heißt nämlich nicht "Andrae", sondern Andreae. Wie es im Text steht. Aber den lesen die Damen und Herren von der Abteilung Überschriften der taz.de nicht. Ist ihnen zu simpel.

  • G
    gast

    Für welche Inhalte steht denn der "Linke Anton Hofreiter" - außer der taz-eingangsklassifizierung findet sich ja so gut wie nichts in eurem Artikel.

    Ist er auch für die Verteidigung der unsozialen Agenda-Politik öffentlich in die Bütt gestiegen wie KGE? Wie steht er zur Agenda-Politik, stehen beide bspw. zur Rente mit 62, zu gesetzlichen Mindestlöhnen?

     

    Mehr Inhalte statt Boulevard-Geschichten wären wünschenswert.

    • @gast:

      Es ist schon verdächtig, wie über Hofreiter in der Presse geschwiegen wird.

  • Dieser KirchenTante traue ich nicht. Aber eins kann sie bestimmt: Die TotenMesse lesen für die Grünen.

    • @RPH:

      so is es....

  • Der Toni und die Karin.

    Ganze zwei Sätze über den Herrn Hofreiter, und gefühlte 1000 Sätze über die Frau Göring-Eckardt.

    Traurig, traurig.

  • I
    ion

    Träfe Ihre (Handlungs-)Analyse der KGE zu, handelte es sich um eine durch und durch opportunistische Person – offenbar DIE (neue) Grundvoraussetzung, um erfolgreiche PolitikerIN zu werden.

    Jetzt wollen auch die Grünen sich nicht mehr selbst verar***en – ihr Votum zeigt: ab sofort haben jetzt auch sie professionelles Nanny-Personal dazu; Ergo: echt regierungsfähig.

  • Die Grüne Bundestagsfraktion hat Katrin Göring-Eckardt gewählt, ohne eigentlich zu wissen, was sie mit ihr an Führung erhalten wird und wohin. Denn KGE beherrscht die perfekte Camouflage, wenn es ihrer Karriere dient. Das hat Ulrich Schulte schon richtig erkannt. Nach wie vor jedoch entblößt ihre wieselflinke Wendehälsigkeit das größte Manko: ihre fehlende Glaubwürdigkeit, ihre mangelnde Authentizität. Wenn es schiefgeht ist klar: jede und jeder trägt Schuld - sie nicht. Abstoßend.

  • DL
    Der Liberale

    Trotzdem traurig, dass 20 Stimmen auf die noch neoliberalere Gegenkandidatin entfallen sind.

  • G
    grüner

    Also doch kein Neuanfang