Transitraum Libyen: Die bessere Seite der Sahara

Tausende fliehen jede Woche von Niger nach Libyen. Sie wissen, die Wüste ist gefährlich. Doch das Chaos in Libyen ist ihre Chance.

Die Alaraneb-Brigade im Einsatz: Checkpoint bei Gatrun. Bild: Mirco Keilberth

SEBHA taz | Vorsichtig nimmt Schahafedin Barka sein Messer und schneidet den Karton auf. Luftdicht in Folie verpackte Briketts kommen zum Vorschein. Zweihundert Kilo Haschisch, die einen süßlichen Geruch in der Kommandozentrale der Schohada-Umm-Alaraneb-Brigade im Herzen der Sahara verströmen. „Dieses Mal waren es drei Pick-ups“, berichtet Schafedin Barka, „auf die unsere Patrouille 200 Kilometer weiter südlich zufällig gestoßen ist. Es waren wohl Tuareg aus Algerien, die kolumbianische und marokkanische Drogen über Mali in den Osten Libyens bringen. Das eigentliche Ziel ist Europa.“ Einen Jeep konnten Barkas Leute stoppen, dann schossen die Schmuggler wild um sich.

Schahafedin Barka hat schon viele solcher oft gefährlichen Begegnungen in der Sahara erlebt. Der angehende Ingenieur ist am ehemaligen Armeestützpunkt Luer für eine Truppe von 138 ehemaligen Revolutionären verantwortlich.

Keiner ist älter als 30, und doch sind sie Kriegsveteranen. Zwei Jahre nach dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi sind immer noch Milizen wie sie für die Sicherheit im Süden Libyens verantwortlich. Von den vier Kasernen und zwei Militärflughäfen südlich von Gatrun sind nur noch die verwahrlosten Checkpoints übrig. Militärschrott liegt verstreut im Sand neben der Straße. Der libysche Staat scheint sich in Luft ausgelöst zu haben.

Das Machtvakuum habe dazu geführt, erklärt Schahafedin Barka, dass etwa 600 Touareg- und Tobu-Milizionäre die 1.400 Kilometer lange Sahara-Grenze zum Niger und Tschad unter sich aufgeteilt hätten. Sie streiten mit Schmugglern und Islamisten um die Macht in der Sahara.

Es gibt Drogen- und Menschenschmuggel: Die Drogenschmuggler fahren durch die offene Wüste nach Tobruk in Ostlibyen, die Menschenschmuggler bringen die Flüchtlinge in die Städte Südlibyens oder nach Tripolis. Vor allem im Drogengeschäft mischen verstärkt islamistische Gruppen mit. Schahafedin Barka sagt: „Wir wollen keinen von ihnen auf unserem Gebiet.“

Erbarmungslos

Die Sonne brennt erbarmungslos auf den pechschwarzen Asphalt der schnurgeraden Fernstraße, die von der libyschen Oase Gatrun nach Agadez im Norden Nigers führt, 1.300 Kilometer quer durch die regenärmste Region der Erde. Der Saharasand ist hart, die Wüste eine in alle Richtungen befahrbare Ebene. Durch die gesprungene Windschutzscheibe fixieren die Brigadiere eine entfernt liegende Bergkette. Barkas Fahrer Mohammed reißt plötzlich das Lenkrad nach rechts und hält auf die Felsformation zu. Ist die kurz aufblinkende Reflexion der Sonne ein Flüchtlingskonvoi? „Es werden jede Woche mehr“, sagt Schehafedin Barka.

Abseits der Piste scheint die Orientierung unmöglich. Barkas Kollege Issa Hassan winkt ab. „Wir Tobu kennen wie die Touareg jeden Stein hier. Auch ohne GPS. In der Nacht orientieren wir uns an den Sternen.“ Aus ihrer Ortskenntnis leiten die Männer ihren Gebietsanspruch ab. Die Vorstellung, dass Beamte aus Tripolis oder gar Europa hier an der Grenzen Dienst tun, kommt ihnen absurd vor. „Schon jemand aus Tripolis kommt hier mit den Temperaturen nicht klar“, sagt Issa Hassan. „Wir wollen Teil der libyschen Armee sein und für unsere Arbeit bezahlt werden.“

Claims abgesteckt

Neben den Touareg verstehen sich die Tobu der Alanarab-Miliz als die Ureinwohner der Sahara. „Offiziell ist Libyen nun frei. Tatsächlich aber haben Stammes-Milizen im ganzen Land ihre Reviere abgesteckt. Gegen ihre Willkür ist die Regierung völlig machtlos“, sagt Issa. Seit zwei Jahren habe sich kein Politiker aus Tripolis hier blicken lassen.

„Es ist daher besser, auf alles gefasst zu sein“, ergänzt Schahafedin Barka ernst. Es sind die Islamisten, die ihm besondere Sorgen machen. „Waffen, Geld und Chaos – Libyen ist ein Paradies für jeden Terroristen geworden“, sagt auch Issa Hassan. Er ist sich sicher, dass die Regierung in Tripolis von Islamisten unter Druck gesetzt wird.

Sowohl den Angriff auf das Gasfeld in Algerien im Januar, bei dem vierzig ausländische Arbeiter starben, wie auch den Krieg in Mali haben Dschihadisten von der libyschen Sahara aus organisiert. Nun sind sie vor den französischen Truppen geflohen und schaffen ihre Waffen über Bengasi nach Syrien. Ihre Logistik finanzieren sie mit Drogenschmuggel.

„Im Gegensatz zu den Flüchtlingsschmugglern schießen die Islamisten auf jeden“, sagen Barkas Leute und sind trotz des fünften Reifenwechsels an diesem Tag guter Laune. Vom Flüchtlingskonvoi sind nur noch Reifenspuren im Sand zu sehen.

Am Abend kehren Barka, Hassan und die anderen unverrichteterdinge in ihre Basis zurück. „Besser so“, murmelt Mohammed. Denn das Internierungslager in Luer ist voll und das Benzin auch mal wieder knapp.

Nur die Kleider am Leib

200 ausgemergelte Gestalten, ausschließlich Männer aus Ghana, Nigeria, Somalia und Äthiopien, stehen streng nach Ländern getrennt in Gruppen an, als Issa Hassan das verrostete Metalltor zur Essensausgabe öffnet. Das in der Stille der Sahara laut surrende Geräusch einer Aufklärungsdrohne am Himmel ignorieren sie.

„Die Mahlzeiten für die Migranten, die wir gestern in der Wüste aufgegriffen haben, spenden Menschen aus Gatrun und Murzuk“, sagt Issa Hassan entschuldigend. Die hygienischen Verhältnisse sind katastrophal. Mehr als eine Decke und die Kleidung, die sie am Leibe tragen, haben die meisten Flüchtlinge nicht.

Es sind Tausende, die sich jede Woche von Niger nach Südlibyen durchschlagen. Sie wissen, dass Libyen gefährlich, aber unkontrolliert ist. Das Chaos ist ihre Chance auf ein besseres Leben.

Wegezoll

Außer den Alaraneb-Milizionären macht sich niemand die Mühe, die Flüchtlingskonvois zu stoppen. Andere Milizen nehmen Wegezoll, im Durchschnitt 20 Euro pro Checkpoint, sagen die Flüchtlinge.

„Wir wollen nach Schengen und dort arbeiten, lasst uns doch einfach weiterreisen“, beschwert sich ein junger Mann aus Lagos bei Issa Hassan, der nun von hundert Männern umringt ist. „Wir haben für einen Rechtsstaat gekämpft“, kontert der ruhig. „Wenn wir euch gehen lassen, versinkt Libyen noch mehr im Chaos.“ Für die Eingesperrten klingt das wenig überzeugend. Sie lassen nicht locker. „Wir wollen nur zur Küste. Dann ist hier wieder Ruhe.“

Die in die Gefängniswände von Luer gekratzten Zeichnungen und Sprüche zeugen von den Odysseen junger Afrikaner auf der Suche nach Arbeit, auf dem Weg nach Europa. Nicht alle überleben die Strapazen der Hitze, immer wieder finden die Milizionäre Leichen in der Wüste. Die Schlepper setzen ihre menschliche Ware oft ohne Wasser weit vor den Städten ab. Auch sie sind meist junge Männer und wollen nicht von Verwandten gesehen werden, die Flüchtlingswelle macht den Bürgern Angst. Für vier Wochen wandern Schmuggler in Luer in den Knast, wenn sie geschnappt werden.

Die Blicke der Flüchtlinge wandern langsam zum halboffen stehenden Tor des Gefängnisses. Aber sie wissen, eine Flucht ins 160 Kilometer entfernte Murzuk durch die Wüste würden sie nicht überleben. Resignation steht in ihren Gesichtern. Als Issa Hassan geht, sagen sie: „Zurück können wir nicht, also werden wir es wieder versuchen. Eine Zukunft haben wir nur in Europa.“

150 Euro für die Fahrt

Die Schmuggler fühlen sich mittlerweile derart sicher, dass sie in Agadez feste Abfahrtzeiten anbieten. Jeden Montagmorgen um 10 Uhr. Die Ticketpreise sind auf Schildern angezeigt, 150 Euro kostet die Fahrt nach Gatrun, 175 Euro nach Sebha. Ankunft Dienstagmorgen in Gatrun.

Im Schatten der Straßenbäume von Sebha, 250 Kilometer weiter nördlich, warten Migranten aus Ghana und Nigeria auf Arbeit. Bis zu zehn Euro am Tag zahlen die libyschen Auftraggeber, ein Vielfaches der Löhne in den Nachbarländern. Die Männer halten Malerrollen, Schaufeln oder Schraubenzieher in der Hand, um zu zeigen, was sie können. Ab und zu hält ein Pick-up und fährt mit einer Schar Arbeiter davon.

Mitten im libyschen Chaos wird privat viel gebaut. Geld gibt es genug in Afrikas ölreichstem Staat. Doch es gilt das Gesetz des Stärkeren. Einige Arbeiter berichten, dass sie nach getaner Arbeit ohne Bezahlung mit vorgehaltener Waffe weggescheucht worden sind.

Auch vor dem Haus der NGO „Caucus Fezzan“ schuften ein Dutzend Arbeiter in der Mittagssonne. In Zehnstundenschichten ziehen sie einen Rohbau im Akkord hoch. „Ich bin jetzt schon mal auf der besseren Seite der Sahara“, freut sich Emanuel Onukwen aus Ghana. „Wenn wir auf dieser Baustelle genug verdient haben, geht es weiter nach Tripolis. In Misurata habe ich eine Adresse von einem Schleuser. Ich weiß dass die Überfahrt gefährlich ist, aber eine Perspektive haben wir in Libyen nicht. Hier ist es noch gefährlicher, jeder ist bewaffnet.“

Aboazom Allafi blickt kopfschüttelnd auf die dunkelhäutigen Arbeitssuchenden auf der anderen Straßenseite. Mit seiner Organisation Caucus Fezzan versucht der 45-Jährige vom Stamm der Warfalla die libysche Gesellschaft wachzurütteln. In der gesamten Provinz Fezzan klärt er mit Freiwilligen über die neue Demokratie und die damit verbundenen Probleme auf. „Alle leben hier vom Schmuggel. Wir brauchen endlich ein staatliches Investitionsprogramm und Arbeit für unsere jungen Leute. Dann erst wird der Menschenhandel aufhören“, sagt der Aktivist.

Heute wollen sie in Murzuk und Gatrun einen Vortrag über Korruption und die neue Verfassung halten. Aboazom Allafi übt schon mal. Die Anarchie in Libyen könne man nur mit Aufklärung und Investitionen bekämpfen, ereifert er sich. Die Politiker in Tripolis und Brüssel glaubten, die Sahara sei weit entfernt von ihnen. „Aber sie irren“, sagt er mit Nachdruck. Mit den Flüchtlingen kommen auch irgendwann die Islamisten. Erst dann wird man einsehen, dass Libyens Grenze zu Europa in der Sahara verläuft und nicht am Mittelmeer.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.