Freihandelsabkommen EU-Kanada: Steaks, Feta, Ahornsirup
Es ist der erste Freihandelspakt zwischen der EU und einem G7-Land. Die Vereinbarung mit Kanada gilt als Test für eine ähnliche Regelung mit den USA.
EDMONTON/BRÜSSEL taz/afp | Nach mehr als vierjährigen Verhandlungen haben sich die Europäische Union und Kanada auf den Abschluss eines Freihandelsabkommens geeinigt. „Wir haben heute den Durchbruch in den Verhandlungen über ein umfassendes Freihandelsabkommen erreicht“, sagte EU-Kommissionschef José Manuel Barroso am Freitag in Brüssel bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem kanadischen Regierungschef Stephen Harper.
Die beiden Parteien wollen die Zollschranken für Güter und Dienstleistungen schrittweise abbauen und die Exportquoten für Agrarprodukte deutlich erhöhen. Unternehmen der jeweils anderen Seite sollen sich leichter für öffentliche Aufträge im Ausland bewerben können. Außerdem werden zahlreiche technische Standards und Zulassungsverfahren vereinheitlicht.
Für die EU ist es der erste Freihandelspakt mit einem Land der sieben größten Wirtschaftsnationen (G7). Laut Experten in Brüssel dürfte sich das Handelsvolumen zwischen beiden Seiten damit um bis zu zwanzig Prozent erhöhen. Die Regierung in Ottawa rechnet alleine für Kanada mit rund 18.000 neuen Arbeitsplätzen.
Für beide Seiten bietet das Abkommen mehrere strategische Vorteile. Die Europäer sehen darin eine Art Testlauf für den geplanten Freihandelspakt mit den USA, der für die kommenden Jahre avisiert ist. Dieser Freihandelsraum wäre der weltweit größte und umfangreichste, sollte er tatsächlich zu Stande kommen.
Europäische Unternehmen erhalten außerdem einen leichteren Zugang zu einem kanadischen Markt und können ihre technischen Produkte leichter an die in Kanada dominierende Rohstoffindustrie verkaufen. Für die EU ist das Ahornland bereits heute der zwölftgrößte Handelspartner und der Abschluss spült nach Schätzungen in Ottawa etwa elf Milliarden Euro im Jahr europäische Wirtschaft.
Ökonomische Abhängigkeit
Kanada kann im Gegenzug seine Agrarprodukte leichter in Europa vermarkten und dadurch seine ökonomische Abhängigkeit von den USA verringern. Für die Kanadier ist die EU nach den USA schon der zweitwichtigste Handelspartner, rund zehn Prozent ihres gesamten Außenhandels wickeln sie mit der EU ab. Der Warenaustausch zwischen EU und Kanada summierte sich zuletzt auf immerhin rund 62 Milliarden Euro im Jahr.
Dennoch gestalteten sich die Verhandlungen bis zuletzt als äußerst zäh. Knackpunkt war bis zum Schluss die Landwirtschaft. Die Regierung in Ottawa steht unter Druck der heimischen Agrarlobby und schottet seine Märkte bislang mit Zöllen von bis zu 300 Prozent ab. Milchprodukte und Lebensmittel sind in Kanada daher erheblich teurer als in Europa.
Nach langem Hin und Her erklären sich die Kanadier nunmehr bereit, doppelt so viele Milchprodukte wie Feta-Käse aus der EU zuzulassen wie bislang. Außerdem akzeptieren die Kanadier längere Patentfristen für europäische Medikamente, was der europäischen Pharmaindustrie entgegenkommt. Die Zölle für europäische Autos sinken.
Im Gegenzug dürfen die kanadischen Farmer zukünftig deutlich mehr Rind- und Schweinefleisch in Europa verkaufen und zwar im im Umfang von bis zu 700 Millionen Euro im Jahr. Profitieren werden auch die Lebensmittel-Produzenten. Dazu gehören auch jene, die den für Kanada typischen Ahornsirup abfüllen.
Visumspflicht aufgehoben
Bevor das neue Abkommen in Kraft treten kann, muss es noch von allen 28 Mitgliedsstaaten der EU und dem Europaparlament ratifiziert werden. Lange drohte die Tschechische Republik wegen umstrittener Visa-Regelungen Kanadas mit einem Veto. Am Donnerstag hob Kanada die Visumspflicht für tschechische Staatsbürger überraschend auf – und machte damit den Weg zur Unterzeichnung frei.
Im EU-Parlament gibt es ebenfalls noch Bedenken. Manche Abgeordnete befürchten, dass Umweltschutzregeln aufgeweicht werden. Unter anderem sieht das Abkommen vor, dass Unternehmen bei Streitfragen, etwa über Öko-Auflagen, die nationale Gerichte umgehen und sich direkt an die internationale Gerichte wenden können.
In Kanada müssen noch die zehn Provinzen zustimmen. Dort gibt es noch beträchtliche Widerstände. Viele kanadische Kommunen befürchten, dass europäische Unternehmen bei öffentlichen Infrastruktur-Ausschreibungen zukünftig die Oberhand behalten und strategisch wichtige Rohstoffvorräte in ausländische Hände geraten könnten. Die französischsprachige Provinz Québec sorgt sich um die heimischen Käsereien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod