Debatte Sterbehilfe: In Freiheit aus dem Leben gehen

Ärzte müssen verantwortungsvolle Suizidhilfe leisten dürfen. Sonst wird sie der kommerziellen Branche dilettierender Nichtärzte überlassen.

Sie ruhen in Frieden. Die Frage ist nur, wie sie gestorben sind. Bild: ap

Stellen wir uns vor: Einem Menschen mit aussichtsloser Krankheit oder Versehrtheit werden alle palliativen Versorgungsangebote zuteil: Er erfährt menschliche Zuwendung, optimale Pflege und medizinische Behandlung – und leidet dennoch.

Frei verantwortlich und wiederholt äußert er deshalb den Wunsch, mit ärztlicher Hilfe sein Leben zu beenden. Leidensmüdigkeit ist sein Motiv, wie Karl Jaspers es formulierte, nicht Lebensmüdigkeit.

Sind wir als Gesellschaft mitfühlend genug, uns diesen Wunsch als ein plausibles und legitimes Anliegen eines Menschen im Finalstadium einer schweren Erkrankung vorzustellen?

So lautet – jenseits der sekundären Frage der Einbettung der Sterbehilfe in Organisationen mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht – die Kernfrage der Sterbehilfedebatte. Meine Antwort als ehemaliger Chefarzt der Rettungsstelle des Urban-Krankenhauses, als Mitgründer eines Hospizes und einer Stiftung für Palliativmedizin lautet: Ja.

Und ein Drittel der deutschen Ärzteschaft würde mir beipflichten. Nicht nur ist das Anliegen eines solchen Patienten nachvollziehbar; auch für einen Arzt kann die von ihm erbetene Hilfe zum Sterben nicht allein gerechtfertigt, sie kann sogar ethisch geboten sein.

ist seit dreißig Jahren als Arzt tätig, u.a. war er als Internist Chefarzt der Rettungsstelle eines Berliner Krankenhauses. Er ist Vorsitzender einer Stiftung für Palliativmedizin und erhielt im Jahr 2009 den Ossip-K.-Flechtheim-Preis.

Demagogie in einer facettenreichen Debatte

Ärztliche Suizidassistenz wird zwar, ebenso wie der Suizid selbst, nicht vom Strafrecht verfolgt, ganz im Gegensatz zur ärztlichen Berufsordnung, die ihn untersagt und mit einem Berufsverbot ahnden kann. Doch darf die Berufsordnung etwas sanktionieren, was das ihr übergeordnete Recht ungestraft lässt?

Eine höchstrichterlich zu klärende Frage, wie auch die, ob das Betäubungsmittelrecht die Verordnung von Opiaten für die Suizidassistenz unterbinden darf und die ärztliche Garantenpflicht zur Lebenserhaltung bei einem frei verantwortlichen Suizid Bestand haben kann.

Ein Mitglied des deutschen Ethikrates, der Mediziner Prof. Nagel, bezeichnet die ärztliche Beihilfe zum Suizid als „Tötung des Menschen durch einen Arzt“; eine Aussage, die nicht die geringste Kenntnis der Rechtslage erkennen lässt; von „Alten, die aus Gründen ihrer Einsamkeit getötet werden“, spricht Thomas Sitte, der Vorsitzende der Deutschen Hospizstiftung.

Welcher Arzt, bitte, möchte einsame Alte umbringen? Äußerungen, die nur eines auszeichnet: Demagogie hineinzutragen in eine ernste und facettenreiche Debatte, um der Stärkung der eigenen Position willen.

Denn so hoch der Wert und die Reichweite der Palliativmedizin auch zu veranschlagen sind und sosehr auch ich selbst mich starkmache für die Ausweitung ihrer Angebote gerade in unserem Land, das auf dem Feld palliativmedizinischer und hospizlicher Versorgung noch großen Nachholbedarf hat – sie hat Grenzen, wie auch von Palliativmedizinern selbst zugegeben wird.

Suizidhilfe ist kein Ersatz für soziale Aufgehobenheit

Palliativmedizin und ärztlich assistierter Suizid, so unbestritten die Vorrangstellung der Ersteren in ihrer klassischen Ausprägung umfassender Symptomlinderung auch ist, schließen sich gegenseitig nicht aus; sie sind vielmehr, formal betrachtet, miteinander komplementär. Denn auch die Suizidbeihilfe lässt sich vom Wohl des Patienten leiten, über das letztlich aber er selbst befindet.

In der Tat dürfen wir niemals zulassen, dass Menschen nach Suizidbeihilfe verlangen, weil ihnen das, was sie mit Fug und Recht am Lebensende verlangen dürfen, die Linderung von Schmerzen und Angst, besonders aber Zuwendung und soziale Aufgehobenheit, vorenthalten wird.

Indes irrt Herr Müntefering, wenn er (wie kürzlich im „ZDF-Morgenmagazin“) glaubt, dass Verzweiflung und Leiden eines Menschen in jedem Fall durch Palliativmedizin erträglich werden, ganz abgesehen davon, dass niemand genötigt werden kann, sie anzunehmen.

Die von den Gegnern ärztlicher Suizidbeihilfe immer wieder beschworenen Dammbruchargumente tragen nicht: Keineswegs kommt es zu Nachahmerverhalten, also zu Sterbewünschen dort, wo bisher keine waren.

Gegen eine kommerzialisierte Sterbehilfe von Dilettanten

Und dort, wo ärztliche Suizidassistenz möglich ist, wie etwa im amerikanischen Bundesstaat Oregon, ist mitnichten das Szenario einer generellen Lockerung gesellschaftlicher Moralvorstellungen zu konstatieren, die den Weg für die hemmungslose Beseitigung gerade der Hochbetagten und Schwerstpflegebedürftigen, die sich gesellschaftlichem Druck ausgesetzt sähen, bahnen könnte. Im Gegenteil: Die Nachfrage nach ärztlicher Suizidassistenz ist rückläufig, und die Palliativmedizin erfuhr eine Aufwertung!

Was die Praxis ärztlicher Suizidassistenz angeht, so darf sie keinesfalls der organisierten oder gar kommerzialisierten Sterbehilfe dilettierender Nichtärzte vom Schlage des ehemaligen Hamburger Justizsenators Roger Kusch oder des Schweizer Anwalts Ludwig Minelli („Dignitas“) überlassen werden, die nicht davor zurückschrecken, terminal Kranke in klandestinen Pensionen, auf Parkplätzen und mittels eigens konstruierter Selbsttötungsmaschinen oder heliumgefüllter Tüten zum Tode zu befördern.

Ärztliche Suizidassistenz gehört vielmehr in den Intimraum von Arzt und Patient. Nur ein zwischen beiden gewachsenes Vertrauensverhältnis sowie die eingehende ärztliche Kenntnis der Kranken- und Leidensgeschichte des Patienten bieten die Gewähr, dass der Arzt nach bestem Wissen und Gewissen Hilfe zum Sterben leistet.

Diese Auffassung vertrat auch der vormalige Präsident der Bundesärztekammer, der 2011 verstorbene Prof. Jörg Dietrich Hoppe: „Die Beihilfe zum Suizid ist keine ärztliche Aufgabe, doch sie sollte möglich sein, wenn der Arzt sie mit seinem Gewissen vereinbaren kann.“

Sigmund Freud, der sich am Lebensende mit einem Mundbodenkarzinom grausam quälte, erbat und erhielt von seinem Arztfreund Max Schur Sterbehilfe, die als Tötung auf Verlangen sogar über die Beihilfe zum Suizid hinausging.

Und kein Geringerer als Franz Kafka war es, der, Lunge und Kehlkopf von Tuberkulose zerfressen, seinen ärztlichen Freund Robert Klopstock um eine sein Leiden beendende Morphiumspritze bat: „Sie haben es mir immer versprochen. Töten Sie mich, sonst sind Sie ein Mörder.“ Und Klopstock erfüllte sein Versprechen.

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