Kommentar Bergbau-Katastrophe: Der schwarze Tod

Erdogan hat Recht: Die Katastrophe von Soma war ein gewöhnlicher Arbeitsunfall. Denn Kohle ist ein Killer. Jedes Jahr sterben Tausende Bergleute.

Erschöpfte Kumpel nach dem Unglück von Soma. Bild: dpa

Man stelle sich vor: Bei der Produktion von Solarzellen würden 300 Arbeiter qualvoll an giftigen Dämpfen ersticken. Das Fernsehen sendete Bilder von verzweifelten Familien, die vor dem Werkstor auf Nachricht ihrer Angehörigen warten. Dann käme der Ministerpräsident des Landes und erklärte den trauernden Menschen: „Tut mir leid, aber das war ein Arbeitsunfall.“

Wie würden wir über eine so lebensgefährliche Energieform reden? Jedenfalls würden wir sie nicht „schwarzes Gold“ nennen.

Wir vergessen gern eine einfache Tatsache: Kohle ist ein Killer. Wir erregen uns zu Recht über die Gefährdung des Weltklimas durch den dreckigsten aller Brennstoffe. Wir klagen über die Quecksilberbelastung aus den Kohle-Schloten und errechnen, dass die Luftverschmutzung durch den Kohlestaub jedes Jahr zu hunderttausenden von Todesfällen beiträgt. Aber wir verdrängen, dass in jedem Jahr Tausende von Bergarbeitern einen furchtbaren Tod sterben: Sie werden tief unter der Erde in völliger Dunkelheit von Felsstürzen eingeschlossen oder von Explosionen zerfetzt, sie ersticken an giftigen Gasen oder ertrinken in abgesoffenen Stollen.

Allein in China starben 2006 nach offiziellen Angaben (und das will schon etwas heißen) 4749 Arbeiter. Wie viele in illegalen Minen ihr Leben ließen, zählt niemand. In Russland, Ekuador oder Südafrika fordert die Kohle unter und über Tage immer wieder Dutzende von Todesopfern, bei Wikipedia ist „Mining accident“ ein eigenes umfangreiches Stichwort. In den USA verkündet das Arbeitsministerium stolz, es sei gelungen, die Todesrate auf unter 100 und dann zuletzt gar auf 35 Opfer im Jahr zu drücken. Welche Debatten würde das Land führen, wenn jede zweite Woche ein Arbeiter von einem Windrad erschlagen würde?

Kohle hat viele Vorteile: Es gibt jede Menge davon, sie ist billig und leicht zu finden, einfach zu transportieren und gut zu verbrennen. Sie hat die industrielle Revolution befeuert, ungeahnten Wohlstand für viele Menschen gebracht und ist auch heute noch in den Schwellenländern der Garant für Energie und Fortschritt. Doch der Preis ist hoch. In Deutschland diskutieren wir zu Recht über die Veränderung der Landschaft durch Solarfarmen und die Vertreibung der Schweinswale durch Windanlagen in der Nordsee. Aber unseren Strom beziehen wir solange zu immer größerem Anteil aus Kohle, die wir zu sinkenden Preisen importieren. Aus Ländern, in denen Kohlekumpel sterben.

Wir sollten realistisch sein: Von der Kohle kommt die Welt in den nächsten Jahren nicht los. Aber wir sollten wenigstens unser Denken und Reden über das „schwarze Gold“ ändern. Nicht umsonst heißt ein Bergwerk eine „Grube“. Und Kohle ist kein „Bodenschatz“. Sondern der schwarze Tod.

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Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).

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