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Gesundheits-Studie„Ein kleiner Betrag“

Eine Mammutstudie durchleuchtet 200.000 Menschen, um Volkskrankheiten zu erforschen. Ein Gespräch über gesundes Altern, teure Infrastruktur und sichere Daten.

Wolfgang Ahrens ist Mitglied des wissenschaftlichen Vorstands der "Nationalen Kohorte". Bild: BIPS
Interview von Jan Zier

taz: Die „Nationale Kohorte“ will die Gesundheit von 200.000 Deutschen in einer Langzeitstudie intensiv untersuchen. Überdurchschnittlich viele kommen aus Bremen. Sind die BremerInnen besonders leicht zu erforschen oder besonders repräsentativ, Herr Ahrens?

Wolfgang Ahrens: Weder noch! Es geht bei der Studie aber auch nicht um Repräsentativität für die Gesamtbevölkerung, sehr wohl aber für die BremerInnen.

Aber wie wollen Sie dann den Ursachen all der Volkskrankheiten auf die Spur kommen?

Wolfgang Ahrens

58, ist seit 2003 Professor für Epidemiologische Methoden an der Universität Bremen. Er ist Mitglied des wissenschaftlichen Vorstands der "Nationalen Kohorte" und stellvertretender Direktor des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen.

Es geht schon darum, verallgemeinere und belastbare Ergebnisse zu erzielen. Die Teilnehmer im Alter von 20 bis 69 Jahren werden per Zufallsstichprobe ausgewählt. Da wir wissen, wie die Allgemeinbevölkerung sich verteilt, können wir am Ende durchaus Rückschlüsse ziehen. Eine bundesweite Repräsentativerhebung würde den Kostenrahmen völlig sprengen.

Das Mammutvorhaben kostet auch so über 200 Millionen Euro. Warum nutzt man nicht bestehende Kohorten und Daten?

Die Nationale Kohorte

Die Nationale Kohorte (Nako) ist die derzeit größte Bevölkerungsstudie in Deutschland.

Bundesweit werden in den nächsten Jahren 200.000 Männer und Frauen in 18 Studienzentren medizinisch untersucht und nach ihren Lebensumständen befragt. Darüber hinaus werden ihnen Blutproben entnommen und für spätere Forschungsprojekte in einer zentralen Bioprobenbank gelagert.

Nach fünf Jahren werden alle TeilnehmerInnen erneut zu einer Untersuchung und zweiten Befragung in die Studienzentren eingeladen. Mithilfe der gesammelten medizinischen Daten sollen chronische Erkrankungen genauer erforscht werden.

Bezahlt wird das Projekt vom Bundesforschungsministerium, 14 Bundesländern und der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

Das ist sehr intensiv diskutiert worden. Aber die bestehenden Kohorten sind in ihren Fragestellungen und Fallzahlen sehr begrenzt. Damit lässt sich die Komplexität der vielen Faktoren, die Gesundheit und Krankheit beeinflussen, nicht wirklich erforschen. Wir wollen ja die Kombination aus sozialen Faktoren, Verhalten und Lebensstil der Menschen bis hin zu biologischen und physiologischen Faktoren oder genetischen Markern untersuchen. Dadurch haben wir viel mehr Möglichkeiten, später Zusammenhänge aufzudecken und Risikofaktoren zu erkennen. Wenn man da belastbare Aussagen machen will, braucht man eine große Stichprobe. Die Frage ist: Was unterscheidet jene, die ohne große Beschwerden alt werden von den Menschen, die sich mit chronischen Erkrankungen herumschlagen? Es geht darum, die Prävention und die Früherkennung zu verbessern, darum, die Krankheitslast im Alter zu vermindern.

Und um welche Krankheiten geht es konkret?

Die besten Chancen, Ursachen und Zusammenhänge aufzudecken hat man in einer solchen Studie bei häufigen Erkrankungen: Krebs, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes, neurokognitiven Störungen wie Demenz.

Für diese Studie werden mit sehr viel Geld fünf Kernspin-Tomographen (MRT) angeschafft, es werden Ganzkörper-Scans aller Teilnehmer gemacht. Demenz etwa kann man damit aber gar nicht diagnostizieren. Wie passt das zusammen?

Die Demenz lässt sich so nicht diagnostizieren. Aber vielleicht kann man frühzeitig Veränderungen identifizieren, die Anzeichen einer späteren Erkrankung sein können.

Wie stehen Sie zu der Kritik, dass die Studie zu viel Geld für solche Großgeräte ausgibt?

Diese Kritik kann ich nicht teilen. Die Kernspin-Tomographie kostet inklusive Personal etwa 20 Millionen Euro, knapp zehn Prozent des Gesamtbudgets. Sie müssen das mal ins Verhältnis setzen zu den Kosten des Gesundheitssystems – das sind 300 Milliarden Euro, jedes Jahr. Und wir reden hier über einen Untersuchungszeitraum von zehn Jahren. Es geht zwar um viel Geld für eine Studie, aber um einen kleinen Betrag, gemessen an dem, worum es hier geht. Es gibt auch viele Untersuchungen im Rahmen der Studie, die mit geringem Aufwand informative Ergebnisse liefern. So werden wir die Handgreifkraft messen, um die körperliche Fitness einzuschätzen. Das Gerät dafür kostet etwa 300 Euro.

Setzt die Studie zu sehr auf leicht messbare Daten und vernachlässigt den Stand der sozialmedizinischen Forschung, wie etwa Grüne monierten?

Ich glaube, die Kombination aus beiden macht’s. Wir legen großen Wert auf quantifizierbare Daten. Aber wir erheben auch viele Daten zur psychischen Verfassung und den sozialen Lebensumständen.

Ist überhaupt genügend Zeit, um bei 200.000 Menschen komplexe Ursachen komplexer Krankheiten zu erforschen?

Es sind ja keine Patienten, die zu uns kommen, sondern es ist die Normalbevölkerung. Aber der Umfang der Informationen, die wir erheben können, ist natürlich begrenzt. Trotzdem versuchen wir, uns ein umfassendes Bild über die Lebensumstände zu machen. Dazu ziehen wir dann auch Umweltmessdaten heran, etwa aus dem Lärmkataster.

Dass Lärm krank macht, ist aber nicht neu.

Nein. Wir wissen aber nicht, wie Lärm mit anderen Faktoren zusammenwirkt, wie viel Lärm wie krank macht. Solch ein komplexes Wirkungsgefüge bei der Entstehung von Krankheiten können wir hier untersuchen.

Wird die Studie nicht dazu führen, dass es noch mehr teure und bisweilen umstrittene Untersuchungen, etwa im MRT, geben wird als heute schon?

Das glaube ich nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass solche Untersuchungen sehr viel gezielter erfolgen.

Gilt da nicht auch der Satz: Wer gesund ist, wurde nur nicht gründlich genug untersucht?

Es gab vorab eine lange Debatte um die Frage der Zufallsbefunde. Die Teilnehmer haben das Recht auf Nicht-Wissen – außer es geht um eine akute Lebensgefahr. Wir machen aber keine Diagnostik.

Da werden sehr viele sehr persönliche Daten erhoben. Wie sicher sind die bei Ihnen?

Wir haben ein umfangreiches Datenschutzkonzept für diese Studie erstellt, der Bundesdatenschützer hat das abgesegnet. So ist keiner gezwungen, an allen Elementen der Studie teilzunehmen, die Zustimmung kann jederzeit widerrufen, erhobene Daten wieder gelöscht werden.

Aber meine Daten gehören erst einmal dem Trägerverein der „Nationalen Kohorte“, oder?

Ja.

Woher weiß ich, dass der die Daten nicht weiter verkauft oder an Versicherungen weitergibt?

Das dürfen wir gar nicht! Eine kommerzielle Nutzung der Daten ist explizit ausgeschlossen. Aber das ist ja eine für viel Geld geschaffene wissenschaftliche Infrastruktur. Da ist es natürlich denkbar, das wissenschaftliche Einrichtungen – und das müssen nicht nur Universitäten sein – die Daten anfordern.

Also auch solche, die von der Industrie finanziert werden?

Das ist nicht ausgeschlossen. Wer eine Projektidee hat, muss sich an den Verein wenden. Wenn alle Regeln der Studie eingehalten werden, kann der Interessent Daten teilweise und temporär bekommen. Er darf sie aber nicht für andere als die vom Verein genehmigten Zwecke nutzen, dauerhaft behalten oder weitergeben. Sonst macht er sich strafbar.

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